Erwachsene tun ja gern so, als wären Jugendliche einfach nur rebellisch, undankbar und unaufmerksam. Doch das ist fast immer nur die Projektion von alt gewordenen Leuten, die sich nicht vorstellen können, dass die von Erwachsenen geschaffene Welt sehr belastend ist für junge Menschen, die darin Orientierung suchen. Und diese Belastungen macht die neue Studie „Jugend in Leipzig 2023“ sehr deutlich sichtbar. Die befragten Schülerinnen und Schüler wissen genau, was sie quält.
Mit psychischen Probleme haben viele der befragten Jugendlichen zu kämpfen. Die Rumpeltour durch die Corona-Zeit hat das Ganze nur noch verstärkt. Viel zu viele Erwachsene gehen einfach davon aus, dass Kinder und Jugendliche zu funktionieren und sich einzuordnen haben. Motto: Bitte nicht stören.
Doch das funktioniert nicht, wenn die elementaren Bedürfnisse der Heranwachsenden immer wieder ignoriert werden.
„Jugendliche sind keine Kinder mehr, aber auch noch keine Erwachsenen. Erlebte Gewohnheiten der Kindheit lösen sich auf, beobachtete Gepflogenheiten aus der Erwachsenenwelt sind gleichzeitig noch fremd. Viele ‚Weichenstellungen‘ und Lebensentscheidungen bezüglich Schulabschluss und Berufswahl stehen an und können Druck erzeugen. Individuelle Wünsche und gesellschaftliche Erwartungen treffen aufeinander. Zudem prägten in der jüngeren Vergangenheit multiple Krisen die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler“, schreiben die Autor/-innen des Berichts.
„In den bundesweiten JuCo-Studien waren die psychische Belastung von Jugendlichen und sich verschärfende und manifestierende Zukunftsängste im Verlauf der CoronaPandemie ein zentraler Befund.“
Wer arm ist, hat mehr Probleme
Und auch die Belastungen durch die von den Älteren zu verantwortenden Krisen sind in der Leipziger Studie ablesbar: „Die multiplen Krisen der jüngeren Vergangenheit, wie die Corona-Pandemie, der Klimawandel, die Inflation und der Krieg in der Ukraine, stellten – insbesondere für Kinder und Jugendliche – eine erhebliche emotionale Belastung dar. Im Rahmen von deutschlandweiten Erhebungen 2020 gaben 61 Prozent der befragten jungen Menschen an, sich teils oder dauernd einsam zu fühlen und 64 Prozent stimmten teils oder vollständig zu, psychisch belastet zu sein (Andresen & Heyer, 2021, S. 33f).
Auch wenn die Feldphase der Leipziger Jugendstudie 2023 nach Aufhebung der Auflagen zum Schutz vor Ansteckung mit dem Coronavirus stattfand, ist ein Nachwirken des Belastungserlebens der Pandemiejahre denkbar.“
Und das hat direkte psychische Probleme zur Folge: „Die Belastung durch psychische Probleme belegt den zweiten Rang der am häufigsten erlebten persönlichen Probleme unter Leipziger Schülerinnen und Schülern: 34 Prozent geben an, davon häufiger belastet zu sein. Als Beispiele für psychische Probleme wurden im Fragebogen Depressionen, Angststörungen und Burn-Out angeführt, wobei anhand der Daten nicht ersichtlich ist, bei wie vielen Befragten ein diagnostiziertes Krankheitsbild vorliegt.“
Und die Befragung macht noch etwas sichtbar: Kinder aus prekären Familienverhältnissen leiden stärker unter Belastungen und Ängsten.
„52 Prozent der Schüler/-innen mit eingeschränkter oder schlechter finanzieller Situation der Familie empfinden häufiger eine Belastung durch die Unsicherheit der eigenen Zukunft – deutlich mehr als Befragte mit (sehr) gutem Wohlstandshintergrund. Die These liegt nahe, dass eine bessere materielle Situation ein finanzielles Auffangnetz und vielleicht auch größere zeitliche Spielräume birgt und dadurch weniger Stress entsteht.
Der Einfluss der finanziellen familiären Situation ist für fast alle erfragten, möglichen persönlichen Belastungen ein bedeutender Einfluss: Je geringer der Wohlstand, desto größer ist in der Tendenz die Belastung“, heißt es im Bericht. „Auch dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen zu schulischen Belastungen, wonach eine schlechtere finanzielle Situation in der Familie mit einer stärkeren schulischen Gesamtbelastung einhergeht.“
Falsches Wettbewerbsdenken und PISA-Schock
Womit man im Grunde an der Wurzel des deutschen und auch sächsischen PISA-Problems ist. Denn das Schulsystem nimmt keine Rücksichten auf den größeren Problemrucksack von Kindern aus ärmeren Familien. Schule in Deutschland benimmt sich wie ein selbstgerechter Vormund, der Kinder von vornherein in schlechte und gute einteilt. Und dem völlig egal ist, ob die Kinder aus prekären Verhältnissen überhaupt zum Bildungserfolg kommen.
Das darf man ruhig Ignoranz oder Gleichgültigkeit nennen. Es ist Ausdruck einer Gesellschaft, in der das falsche Wettbewerbsdenken dominiert. Motto: Hast du zu wenig Geld? Selber schuld.
Dass aber gerade Kinder aus problembelasteten Familien deutlich mehr Unterstützung in der Schule brauchen, betonen die Autor/-innen ebenfalls: „Für Jugendliche mit eingeschränkter oder schlechter finanzieller Situation Zuhause ist der stärker belastete Anteil mit 43 Prozent deutlich größer als bei Jugendlichen mit sehr gutem finanziellem Hintergrund (+ 16 Prozentpunkte).
Hier besteht ein Hinweis darauf, dass eine ungünstigere materielle Situation das Konfliktpotential innerhalb der Familien schüren kann, was anhand der vorliegenden Daten jedoch nicht abschließend zu prüfen ist. Schüler/-innen, die im letzten Jahr Nachhilfe in Anspruch genommen haben, waren anteilig häufiger durch Konflikte mit den Eltern belastet (mit Nachhilfe: 39 Prozent stärker belastet, ohne Nachhilfe: 29 Prozent stärker belastet).
Der Befund weist darauf hin, dass Schulnoten und der Anspruch an Schulleistungen familiäres Konfliktpotential bergen. Auffällig ist auch eine Wechselwirkung mit dem Rauchverhalten: In der Gruppe, die stärker von Auseinandersetzung mit den Eltern belastet ist, ist der Anteil der Raucher/-innen größer als unter weniger belasteten Jugendlichen.“
Psychische Belastungen führen zu schulischen Misserfolgen
Das ist der Punkt, an dem die von der Stadt Leipzig organisierte Schulsozialarbeit ansetzt, auch wenn die Ergebnisse der Befragung einmal mehr zeigen, dass die Sozialarbeiter/-innen die Fehlstellen eines dysfunktionalen Schulsystems nicht ausgleichen können.
Für die Kinder ist es ein Teufelskreis, denn die empfundenen Belastungen wirken sich auch wieder auf ihre schulischen (Miss-)Erfolge aus. Und diese sorgen für weitere Belastungen.
„Schulische Probleme traten 2023 deutlich häufiger auf, als noch im Jahr 2015“, kann man im Kapitel zu den schulischen Problemen lesen. „Ein Zuwachs war in fast allen Bereichen zu verzeichnen, lediglich von Mobbing und schlechten Noten wurde 2023 etwas weniger berichtet. Am stärksten hat die gefühlte Überforderung im Kontext von Schule zugenommen. Diese stieg um 17 Prozentpunkte.
Auch die damit verbundene Angst vorm Sitzenbleiben ist deutlich angestiegen, von 19 auf 25 Prozent. Eine Ursache der gestiegenen schulischen Probleme kann in den Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden junger Menschen gesehen werden. Auch wenn diese Effekte mittlerweile etwas zurückgegangen sind, führen die aktuellen gesellschaftlichen Krisen, wie der Klimawandel oder der Krieg in der Ukraine, weiterhin zu einer Zunahme an Sorgen, Belastungen und Ängsten.“
Es stimmt also nicht, dass die jungen Menschen sich für die Probleme der Welt nicht interessieren. Sie leiden genauso darunter, sogar noch stärker als Erwachsene. Denn wenn es darum geht, dass ihnen zugehört wird, stellt sich schnell, heraus, dass ihre Meinung eigentlich nicht gefragt ist.
Das ist ein eigenes Kapitel, das wir an dieser Stelle auch noch beleuchten werden.
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