Wenn man wirtschaftliche Faktoren ausblendet, erscheinen sie natürlich auch nicht im Ergebnis. So ungefähr kann man eine Erhebung zusammenfassen, die das ifo Institut Dresden im Auftrag des Deutschen Familienverbandes, Landesverband Sachsen e. V., durchgeführt hat: „Faktoren der Familiengründung, Kinderlosigkeit und Kinderreichtum“. Untersucht wurde, so das ifo Institut, welche subjektiven Gründe die Entscheidung für oder gegen Kinder sowie die Gründung einer Familie beeinflussen.
Das Wort „subjektiv“ darf man nicht überlesen. Denn es steht im deutlichen Gegensatz zum Fazit, das das ifo Institut am Ende zieht: „Es kristallisieren sich demnach vorwiegend gesellschaftspolitische – anstatt finanziell beeinflussbare – Faktoren heraus, die Kinderlosigkeit in Ostdeutschland beeinflussen.“
Befragt wurden Ostdeutsche im Alter zwischen 45 bis 49 Jahren. Also jene Jahrgänge, bei denen dann in der Regel endgültig klar ist, dass sie Kinder haben oder eben nicht.
Der Hintergrund
Ausschlaggebend für die Studie ist die aktuelle demografische Entwicklung, deren Auswirkungen bereits spürbar sind. Seit ca. 1970 sinkt in Deutschland die Geburtenzahl kontinuierlich unter das Bestanderhaltungsniveau von rund zwei Kindern je Frau und ist damit ein wesentlicher Grund für den voranschreitenden „demografischen Wandel,“ genauer die zunehmende Kinderlosigkeit. Daraus folgen gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme. Besonders in Ostdeutschland schreitet dieser Schrumpfungs- und Überalterungsprozess schnell voran.
Diese Entwicklung zu bremsen oder umzukehren sei eine wichtige Herausforderung für die Politik der nächsten Jahre, meint der Deutsche Familienverband. Um wirksame politische Maßnahmen ergreifen zu können, sei es notwendig, die beeinflussenden Faktoren zu kennen und die Ursachen zu hinterfragen.
In der vorliegenden Studie werden freilich nur einige – subjektive – Faktoren beleuchtet, welche die Familiengründung generell, Mehrkindfamilien – Familien mit drei oder mehr Kindern – sowie Kinderlosigkeit beeinflussen können. Dabei wird auf Ostdeutschland mit Berlin fokussiert.
Und das ifo-Institut betont selbst: „Grundsätzlich können Gründe von Fertilität sowohl auf der Ebene der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als auch auf individueller Ebene liegen und in subjektive wie in objektive Faktoren unterteilt werden. In der hier vorgestellten Studie wird auf subjektive Faktoren fokussiert.“
Denn die Frage ist durchaus: Was sorgt tatsächlich für Kinderlosigkeit? Die subjektive Einstellung der Betroffenen? Oder die ökonomischen Rahmenbedingungen?
Ökonomische Rahmenbedingungen ausgeblendet
Letztere werden in der Erörterung der Studie durchaus erwähnt, bleiben aber leider im Vagen, obwohl Vieles darauf hindeutet, dass hohe berufliche Sicherheit und gutes Einkommen für Männer bei der Erfüllung von Kinderwünschen durchaus eine zentrale Rolle spielen, während Frauen in hochqualifizierten Berufen ihren Kinderwunsch oft nicht erfüllen.
Es deutet vieles darauf hin, dass die Arbeitswelt in Deutschland nach wie vor klassische Familienmodelle mit dem (gut verdienenden) Alleinverdiener bevorteilt, während Frauen, die höhere Bildungsabschlüsse erwerben und beruflich Karriere machen wollen, meist in der gnadenlosen Wahl landen, entweder auf Karriere oder auf Kinder zu verzichten.
Es ist schon erstaunlich, dass das in der Studie kaum zum Ausdruck kommt.
Das geht schon beim hier scheinbar entscheidenden Faktor los, den die Studienautoren ausgerechnet „Hobbies, Freunde und Beruf“ genannt haben. Genau in dieser Reihenfolge. Da blieb den Befragten nicht wirklich viel Spielraum, ihr Berufsleben mit seinen sehr modernen Zwängen (Mobilität und Flexibilität) als Hauptgrund für der unterdrückten Kinderwunsch zu nennen. Ein Thema, das am heutigen Montag wieder Millionen Arbeitnehmern auf die Füße fällt, die aufgrund der Streiks im ÖPNV und im Bahnverkehr Probleme haben, zur Arbeit zu kommen.
Denn wie sagte doch Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) zum aktuellen Streik laut „BamS“ und „Spiegel“: „Das Bestreiken von Nahverkehr, Fernverkehr und Flughäfen ist überzogen und schädigt nicht nur das Ansehen des öffentlichen Dienstes, sondern insgesamt das Ansehen des Standortes Deutschland, der auf Mobilität angewiesen ist.“
Der Streik trifft einen Lebensnerv der hochtourigen deutschen Wirtschaft: die Mobilität, die Millionen Arbeitnehmer/-innen jeden Tag zum Pendeln zwingt.
Der aufgeschobene Kinderwunsch
Und zur Flexibilität gehört ja gerade in den höher qualifizierten Berufen oft auch eine elend lange Zeit in unsicheren Beschäftigungslagen, von der Hochschulpolitik ganz zu schweigen. Was eben auch dazu geführt hat, dass Frauen wie Männer ihren Kinderwunsch immer weiter nach hinten aufschieben im Berufsleben.
Von knapp 20 Jahren Durchschnittsalter junger Mütter im Osten ist der Wert mittlerweile deutlich über 30 Jahre gestiegen. Das heißt: Es fehlen ausgerechnet die ersten zehn Jahre, in denen viele junge Familien in durchaus unsicheren Ausbildungs- und Beschäftigungsverhältnissen feststecken und eine sichere Grundlage für eine Familiengründung nicht existiert.
Aber genau das blendet die ifo-Studie aus, indem sie auf die scheinbar wirksameren subjektiven Einflussfaktoren abzielt bzw. die subjektiven Gründe, die die Erfüllung des Kinderwunsches scheinbar blockieren, wie z. B. ein geringerer Anteil an Personen mit Kindern im Freundes- und Bekanntenkreis, eine geringe ideale Kinderanzahl, sowie Befürchtungen gegenüber Kindern und Elternschaft.
„Es kristallisierten sich demnach vorwiegend gesellschaftspolitische – anstatt finanziell beeinflussbare – Faktoren für die zunehmende Kinderlosigkeit in Ostdeutschland heraus“, übernimmt der Familienverband die Aussage der ifo-Studie.
Was schon peinlich genug ist, wenn die Studienautoren selbst feststellen: „Die bisherige Literatur zeigt auf, dass viele verschiedene Faktoren – individuell und gesellschaftlich – beeinflussen, ob eine Person kinderlos bleibt. In unserer Untersuchung fokussieren wir auf subjektive Faktoren der Kinderlosigkeit, die bisher in der Literatur weniger Beachtung gefunden haben als objektive Faktoren (Geschlecht, Bildung, Arbeitsmarktbeteiligung etc.).“
Wenn der Arbeitsmarkt übers Kinderkriegen entscheidet
Genau das, was am Ende behauptet wird, wurde gar nicht untersucht. Womit man wieder da steht mit falschen Erklärungen über die Kinderlosigkeit ostdeutscher Männer und Frauen. So schafft man das Phantom junger Menschen, die aus rein subjektiven Gründen auf Kinder verzichten, ohne die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als harte (und objektive) Faktoren in Betracht ziehen zu müssen.
Da lohnt auch der Blick in die mitgeschickte Grafik der Bundeszentrale für politische Bildung, in der nicht nur sichtbar ist, wie rasant sich die Kinderlosigkeit ostdeutscher Frauen nach 1990 an die der westdeutschen Frauen anglich, sondern auch, wie dort ebenfalls die Kinderlosigkeit mit den immer flexibleren und mobileren Anforderungen des Arbeitsmarktes ab 1990 in die Höhe schnellte. Deutlicher kann man kaum zeigen, dass sich eine hoch flexibilisierte Arbeitswelt nicht ansatzweise mit dem Wunsch nach einer stabilen Familiengründung verträgt.
Dass man das so ausblenden kann in einer Studie, ist schon verblüffend.
Die Studie findet man auf der Homepage des Deutschen Familienverbandes zum Download.
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