Kinder sind im häuslichen Umfeld besonders gefährdet, und viele Eltern unterschätzen die Gefahr. Das belegen Zahlen aus einer Studie der GfK Finanzforschung. Danach glauben 85 Prozent der Eltern, dass die größte Gefahr für ihren Nachwuchs vom Straßenverkehr ausgeht und die Risiken Zuhause eher gering sind. In Wirklichkeit verletzen sich Kinder in erster Linie in der elterlichen Wohnung.
Unfallverletzungen bei Mädchen und Jungen sind nach wie vor die häufigste Ursache für Todesfälle in Deutschland. Untersuchungen zeigen, dass 16,5 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von 1 bis 17 innerhalb von zwölf Monaten Verletzungen erlitten hatten, ausgelöst worden sind. Jungen sind mit 18,6 Prozent deutlich häufiger betroffen als Mädchen (14,3 Prozent). Ein Großteil der Unfälle, 60 Prozent, geschehen in der eigenen Wohnung oder im Lebensumfeld.
Kleinere Kinder sind am meisten gefährdet
Momentan besonders prekär, weil sich während der Corona-Pandemie viele Kinder Zuhause aufhalten, denn die üblichen Freizeitangebote fallen aus. Eltern müssen sich etwas einfallen lassen, um dem kindlichen Bewegungs- und Erkundungsdrang in der Wohnung zu befriedigen. Unfallschwerpunkte sind dabei abhängig vom Alter und von den Aktivitäten. In den ersten fünf Jahren zum Beispiel sind es Haushaltsunfälle wie Stürze, Ersticken, Ertrinken, Vergiftungen sowie Verbrühungen und Verätzungen. Später führen verstärkt die Freizeitaktivitäten der Mädchen und Jungen zu typischen Unfallvorgängen: Stürze, Zusammenstürze und Verkehrsunfälle zählen zu den häufigsten Unfallursachen. Umso wichtiger ist es, dass Eltern die jeweiligen Gefahrenlagen kennen und einschätzen können.
Forschung für besseren Schutz
An der Universität Bremen läuft derzeit ein Forschungsprojekt, das sich mit dieser Thematik auseinandersetzt. Hier geht es darum, genauere Kenntnisse über die elterliche Risikowahrnehmung in Zusammenhang mit häuslichen Unfällen bei Säuglingen und Kleinkindern zu gewinnen. Das Projekt wird vom Verein „Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder“ (BAG) unterstützt.
Die BAG ist ein nationales Netzwerk, das sich der Verhütung von Kinderunfällen verschrieben hat. Ziel der Arbeit des Vereins ist, die hohen Zahlen unfallbedingter Verletzungen bei Kindern in Deutschland zu reduzieren, ein Bewusstsein für Risiken zu schaffen und damit das Unfallgeschehen zu reduzieren. Unterstützt wird der Verein von Unternehmen, Unfallkassen, Behörden und verschiedenen Bundes- und Landesministerien.
Jährlicher Kindersicherheitstag
Zum Beispiel von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Seit 2000 initiiert die Gemeinschaft jedes Jahr im Juni den Kindersicherheitstag, der letztmalig 2019 stattfand und unter dem Motto „Gemeinsam den Haushalt sicher machen“ stand. Anlässlich dieser Aktion verwies die BAG darauf, dass pro Jahr rund 1,7 Millionen Kinder wegen eines Unfalls einen Arzt aufsuchen würden, hinzu kämen weitere 200000 Krankenhauseinweisungen.
Am Kindersicherheitstag hatte sich auch die Kinderklinik der Berliner Charité beteiligt, indem sie eine „Riesenküche“ im Foyer des Krankenhauses aufgebaut hatte, eine Küche, in der alle Möbel und Geräte doppelt so groß sind wie üblich. Die Teilnehmer haben mithilfe dieses Modells einen Eindruck davon erhalten, wie groß die Gefahren für Kinder sind, wenn diese zum Beispiel an überdimensionalen Herdplatten hantieren oder an Gegenstände in nahezu unerreichbarer Höhe gelangen möchten. Das Experiment zeigt auch, wie wichtig es ist, die Inneneinrichtung familienfreundlich und sicher für Kinder zu gestalten.
Erstickungsgefahr für Säuglinge, Verbrennungen in der Küche
Was aber sind die größten Gefahrenquellen für Säuglinge und Kleinkinder? Stürze etwa vom Wickeltisch oder beim Transport, aber auch Ersticken – zum Beispiel durch Decken, in die sich die Kinder verwickeln, zu weiche Matratzen und Kissen bei jüngeren Mädchen und Jungen, die ihren Kopf noch nicht heben können. Gerade für Säuglinge besteht Erstickungsgefahr, wenn zu große Kissen, Stofftiere, Tücher und Decken die Atmung behindern. Die häufigsten Erstickungen in Kinderbettchen entstehen nachweislich durch unpassende Gitterstäbe, in Zwischenräumen, an Kleinteilen, durch Matratze und Bettzeug, aber auch durch Strangulation (Schnüre, Kordeln).
Gefahren lauern auch im elterlichen Bett: Nämlich dann, wenn das Kind im Bett der Eltern zwischen Wand und Matratze gerät und keine Luft mehr bekommt. Ab dem siebten Lebensmonat bis zu einem Alter von etwa vier Jahren sind es häufig Stürze (von Treppen, beim Laufen lernen), aber auch Verbrennungen durch kochende Flüssigkeiten, heiße Töpfe oder Backöfen. Deshalb gilt gerade in der Küche besondere Obacht. Wenn gekocht und gebacken wird, sollten Eltern ihre Kinder aus Sicherheitsgründen niemals sich selbst überlassen – auch nicht für kurze Zeit.
Gefahren durch Wasser und Strom
Weitere Gefahren für Kinder ergeben sich durch Vergiftungen (zum Beispiel Putzmittel), durch Wasser (Ertrinken) oder durch das versehentliche Verschlucken von Gegenständen. Hinzu kommen teilweise erhebliche Risiken durch mögliche Stromschläge, weil Kabel und Steckdosen nicht richtig gesichert worden sind.
Verletzungen, die auch zum Tod führen können – wie der Fall eines sechsjährigen Jungen zeigt, der 2019 auf tragische Weise in einer Frankfurter Kindertagesstätte durch einen Stromschlag ums Leben kam. Doch auch bei etwas älteren Kindern ist genaues Hinsehen immer noch zwingend notwendig: Im Jahr 2000 starb in Österreich ein Mädchen, weil es mit einem Handy in der Badewanne saß, das an eine Stromquelle angeschlossen war.
Hohe Zahl von Vergiftungen
Rund 80000 Kinder bis zu einem Alter von 14 Jahren vergiften sich pro Jahr in Deutschland. Besonders die Zwei- bis Dreijährigen sind gefährdet. Die meisten Fälle verlaufen relativ glimpflich. Allerdings kommt es auch zu Vorfällen, die tödlich ausgehen. Im Jahr 2017 starb ein fünfjähriger Junge, weil er Medienberichten zufolge von der Zimmerpflanze „Dieffenbachia“ probiert hatte, die in sehr vielen Haushalten in den Wohnzimmern steht.
Das Gift der Grünpflanze soll Kinder innerhalb von 15 Minuten töten können – je nach aufgenommener Menge. Ein dramatisches Beispiel, das auch auf Unkenntnis der Eltern Hinweise liefert: Nicht alle wissen, dass gängige Zimmerpflanzen wie Alpenveilchen, Amaryllis oder Efeutute Giftstoffe enthalten. Potenziell giftige Pflanzen stellen also nicht nur im Garten oder wachsen in der Natur, sondern stehen auch im Wohnzimmer, auf der Fensterbank in der Küche oder auf dem Balkon.
Vorsicht bei Lampenöl
Häufig sind es auch Medikamente, die durch Unachtsamkeit, zum Beispiel bei einer akuten Erkrankung, in Reichweite von Kindern gelangen und verschluckt werden. Genauso wie Reinigungsmittel, die von den Kleinen sorglos getrunken werden und schwere Vergiftungen oder Verätzungen hervorrufen können. Schließlich ist auch herkömmliches Lampenöl in Verruf geraten, das ohnehin zu den gefährlichsten Produktgruppen in Haushalten gehört. Das Verschlucken dieser Öle kann erhebliche Atemstörungen hervorrufen, die bis zum Tod führen können. Für schwere Lungenkomplikationen reicht manchmal schon weniger als ein Gramm aus.
Kindersichere Wohnung
Um die eigenen vier Wände kindersicher zu machen, sollten Eltern rechtzeitig vorsorgen und auch andere Betreuungspersonen auf schwerwiegende Risiken hinweisen. Es gibt zahlreiche Gefahrenquellen, die durch präventive Maßnahmen gefährlichen Unfällen vorbeugen. Die häufigsten Unfallorte im Haus sind Fenster und Türen, die Küche, der Balkon, Schranktüren und Schubladen, aber auch Betten zählen dazu.
Angesichts der hohen Unfallzahlen wird von vielen Seiten an die Eltern appelliert, unbedingt auf eine sichere Umgebung für Kinder zu sorgen. Das bedeutet zunächst, generell sämtliche Steckdosen, Strom- und Verlängerungskabel mit geeigneten Mitteln zu sichern, schwere Möbel und Gegenstände kippsicher an der Wand zu befestigen, und Treppenschutzgitter anzubringen.
Risiko Fenstersturz
Alle giftigen Substanzen müssen fern von Kindern aufbewahrt werden, genauso wenig haben heiße Flüssigkeiten und Gegenstände in der Nähe von Kindern nichts zu suchen. Möbel, die sich in Fensternähe befinden, müssen entfernt werden, damit Kinder nicht in die Lage versetzt werde, Fenster zu öffnen. Grundsätzlich sollten Kinder bei geöffneten Fenstern nicht unbeaufsichtigt sein. Sinn ergeben Fenster-Stopper mit Klemmschutz.
Erst im Januar 2021 ist ein zweijähriger Junge in Minden aus sieben Metern Tiefe aus einem Fenster gestürzt und schwer verletzt worden. Das Kind ist gemeinsam mit seinem Bruder auf die Fensterbank geklettert und hat das Fenster entriegelt, während sich die Mutter in einem Nebenraum befand. Naheliegend ist auch, den Balkon auf Kindersicherheit zu überprüfen. Das bedeutet: keine Klettermöglichkeiten, keine zu großen Abstände zwischen Gittern und keine großen Lücken.
Schon wenig Wasser ist gefährlich
Wer einen Garten besitzt, sollte seine Kinder ebenfalls nicht unbeaufsichtigt in der Nähe von Wasser spielen lassen: Kinder ertrinken nicht nur in Gartenteichen, sondern auch in Regentonnen oder sogar in gefüllten Wassereimern. Denn nur wenige Zentimeter Wasser können lebensgefährlich werden. Auch unbeaufsichtigtes Planschen in der Badewanne oder dem heimischen Pool birgt tödliche Gefahren. Nach Angaben der BAG gilt Ertrinken bei Kindern als die zweithäufigste Unfallursache mit Todesfolge.
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