Das Corona-Jahr war auch ein Jahr der stillen Gewalt. Denn viele Familien, die schon vor den Lockdowns Probleme hatten, saßen nun auf einmal in oft viel zu kleinen Wohnungen aufeinander und die Konflikte eskalierten. Schon bald mehrten sich die Nachrichten über zunehmende häusliche Gewalt. Im Oktober, als sich der zweite Lockdown ankündigte, thematisierten das die Fraktionen von Linken und Grünen im Leipziger Stadtrat.
Sie forderten einen Paradigmenwechsel in der städtischen Versorgung von Opfern häuslicher Gewalt. Denn Schutzeinrichtungen und Betreuungsangebote für Opfer häuslicher Gewalt sind in Zeiten der Pandemie bundesweit als systemrelevant eingestuft worden. Unter dem Brennglas „Corona“ wurde die zwingende Notwendigkeit belastbarer Versorgungsstrukturen sowie einer noch größeren Präventionsarbeit durch eine Plakatkampagne des Freistaates Sachsen in Verbindung mit dem Landesfrauenrat e. V. deutlich sichtbar.
Die Stadt Leipzig hatte per Stadtratsbeschluss zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns bereits eine zusätzliche Notunterkunft für Opfer häuslicher Gewalt als Sofortmaßnahme im Stadtgebiet umgesetzt.
Nachdem die Stadtverwaltung im Sommer – unabhängig von Corona-Entwicklungen – die Einrichtung eines vierten Frauenschutzhauses in Leipzig per Beschlussvorlage signalisierte, reagierte der Gleichstellungsbeirat der Stadt Leipzig und forderte in diesem Zusammenhang auch die Anpassung der städtischen Versorgungsstrukturen vor dem Hintergrund der gewachsenen Stadt.
Gemäß der Istanbul-Konvention der EU haben per Antrag des Gleichstellungsbeirates in der Ratsversammlung die Stadträte Beate Ehms und Martin Biederstedt zusätzlich weitere Stellen für bestehende Einrichtungen und eine grundsätzliche Reduzierung des Betreuungsschlüssel von 1:8 auf 1:6 gefordert.
„Dank des Einsatzes des Gleichstellungsbeirats gelang es, die Verwaltung zu überzeugen, den Betreuungsschlüssel stadtweit abzusenken, sodass nun mehr Personal in den Schutzeinrichtungen agieren und hilfreich den Opfern zur Seite stehen kann“, kommentierte das Beate Ehms, Stadträtin der Linksfraktion.
„Besonders erfreulich ist, dass die Stadt nun auch Mittel für eine fachgerechte Betreuung von begleitenden Kindern und Jugendlichen bereitstellt. Hier erleben wir mit dem Ratsbeschluss von gestern einen Paradigmenwechsel.“
Und Martin Biederstedt aus der Grünen-Fraktion erklärte: „Als finanzpolitischer Sprecher meiner Fraktion bin ich sehr glücklich, dass es in der gestrigen Ratssitzung gelungen ist, den dafür notwendigen finanziellen Mehrbedarf im Etat des Sozialamtes für die kommenden Haushaltsjahre festzuziehen. Die Verwaltungsvorlage ließ diesen Aspekt nämlich offen und machte ihn von noch zu findenden Deckungsquellen abhängig. Per Protokollnotiz konnte im Rat dem Oberbürgermeister aber eine feste Deckungszusage abgerungen werden.“
Was dann gleich mit Beginn 2021 auch umgesetzt werden soll, so wie es der Stadtrat im Oktober beschlossen hat: „Zum 01.01.2021 ist die Schaffung eines Schutzhauses für Frauen mit Clearingstelle unter Überleitung der zusätzlichen Platzkapazitäten zur Unterbringung gewaltbetroffener Frauen, die befristet bis 31.12.2021 zur Verfügung gestellt werden (Umsetzung des Beschlusses Nr. VII-DS-01093), beabsichtigt.“
Nur ein Problem blieb ungeklärt, wie Ehms und Biederstedt feststellen: „Dass der Stadtrat in seiner Mehrheit dem Verwaltungsstandpunkt folgte, bedeutet für uns aber auch ein ,Nachsitzen‘. Die vom Gleichstellungsbeirat gestellte Forderung nach Mitteln für eine präventive Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit im Stadtgebiet erhielt keine Zustimmung.
Jedoch bedarf es unserer Ansicht nach einer breiten Aufklärung der Stadtbevölkerung, damit Opfer häuslicher Gewalt auch wirklich die Hilfsangebote kennen und gegebenenfalls den Weg zu den Schutzeinrichtungen finden können. Da bleiben wir politisch weiter am Ball, zumal der Freistaat Sachsen hier ebenfalls immer aktiver wird und unsere Kommune sich diesem Weg anschließen sollte.“
Leipzig soll ein viertes Frauenschutzhaus mit einer Clearingstelle bekommen
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