Es gibt Tätigkeitsfelder, die eher selten im Fokus der Medien landen. Eines dieser ist die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die nicht unbedingt den besten Start ins Leben bekamen. Volly Tanner traf Maria Neitsch, als es darum ging, die Weihnachts-Tanners-Terrasse zu nutzen, um Gutes zu tun. Also wurde benefizzt und gesammelt, was der Wohngruppe III des Zwergenland e.V.´s übergeben werden konnte. Geld und Dinge. Und da sich daraufhin natürlich auch Fragen stellten, was mit dem Gespendeten geschieht, gab Maria Neitsch dem Tanner Antworten.
Hallo liebe Maria. Jetzt weiß ich wieder, welchen Musiker ich vorhin meinte, bei dem ich glaube, dass er eine Computeranimation ist – und der ein Lied über Dich gemacht hat: Ricky Martin. Das nur am Rande. Jetzt aber zu unserem Interview. Wir Beide kamen zusammen, da Du im Zwergenland arbeitest, welches Ian Cox und ich letztes Jahr benefizzend unterstützten. Was macht Ihr denn da genau? Wo kommen die Zwerge her, die in Eurem Land leben?
Unsere Wohngruppe ist ein stationäres Angebot im Rahmen für Hilfen zur Erziehung. Zurzeit leben neun Kinder bei uns in der Wohngruppe III vom Zwergenland e. V. und das Alter liegt zwischen ein und neun Jahren. Die meisten der kleinen Zwerge kommen aus Familien, in denen Sucht, egal in welcher Form, eine sehr große Rolle gespielt hat bzw. noch spielt und/oder mit komplexem Hilfebedarf. Viele unserer Kinder waren in ihrem jungen Leben schon sehr viel auf sich allein gestellt, mussten den Alltag allein oder unter schwierigen Umständen bewältigen und hatten Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister. Aufgrund dieser schwierigen Lebensbedingungen und/oder traumatischen Erlebnissen, haben die meisten Kinder bereits zusätzlich eine psychotherapeutische Betreuung. Doch oft haben die Kinder nicht nur psychische Probleme, sondern auch deutliche Entwicklungsstörungen, im sprachlichen, motorischen, kognitiven und sozial-emotionalen Bereich.
Wir versuchen, den bei uns lebenden Kindern, einen lebensweltnahen und strukturierten Alltag in unserer Wohngruppe zu bieten … einen Ort, wo sich jedes kleine Wesen individuell und altersangemessen entwickeln kann. In den Fokus der Arbeit wird aber auch der Hilfeplan gerückt. Dieser enthält das Anliegen der Familien und des Jugendamtes. Die Reintegration in die Ursprungsfamilie ist bei allen oberstes Ziel. Auf dem Weg dahin braucht die ganze Familie Hilfe. Dieses familiäre System muss sich verändern und stabilisieren. Ziele und Aufgaben unserer pädagogischen Arbeit sind aber unter anderem auch noch: Alltagsbewältigung, Umgang mit Krisen und Konflikten, Umgang mit Geld (z.B. Taschengeld oder beim Einkaufen), intensive Elternarbeit sowie das Erledigen der anfallenden Termine und das „schmeißen“ des gesamten Haushaltes. All diese Aufgaben erfüllen sechs Mitarbeiterinnen (Staatliche anerkannte Erzieherinnen und Diplom-Sozialpädagoginnen) sowie zwei pädagogische Hilfskräfte, eine Auszubildende und zwei ehrenamtliche Frauen.
Was geschieht nun aber genau mit den eingespielten Beträgen, da haben ja Menschen im Dezember nicht nur Dinge gegeben – auch Geld kam beim Leonard-Cohen-Tribute zusammen und das Tattoostudio Juckreiz in der Lützner Straße gab ja auch noch etwas dazu?
Von den gespendeten Geldern werden wir in den Winterferien für fünf Tage nach Seiffen fahren. Gerade im Urlaub können die Kinder sich mal richtig austoben und entspannen. Da sind mal alle fern ab von jeglichen Problemen und schon nach wenigen Tagen wird einem bewusst, wie wichtig mal ein Tapetenwechsel ist. Für eine kurze Zeit die Probleme und Ängste vergessen, dass ist das, was vor allem die Größeren bei uns brauchen. Oftmals waren die Kinder vorher noch nie in ihrem Leben im Urlaub oder haben nur schlechte Erinnerungen daran.
Während tausende Menschen zu Mario Barth in die Arenen pilgern und sich hämisch auf ihre Schenkel klopfen, habe ich das Gefühl, dass das Augenmerk auf die Probleme, die Eure Arbeit so außerordentlich wichtig macht, eher selten ist. Wie kann das geändert werden?
Es geht nicht darum, dass die Menschen sich nicht mehr amüsieren sollen. Man sollte ihnen kein schlechtes Gewissen machen, weil sie die Möglichkeit haben ein stabiles und „gutes“ Leben zu führen. Vielmehr sollte man Wege finden, den Menschen dieses Thema aufzuzeigen und näherzubringen. Ich denke, dass sich viele Menschen der aktuellen Problemlage gar nicht bewusst sind. Gefühlt werden es immer mehr Kinder, die eine solche Wohnform, wie wir es sind, benötigen. Fast täglich kommen Fallanfragen.
Aber auch ich und meine Kolleginnen haben ein Privatleben und leben unser Leben so, wie es uns möglich ist. Jeder sollte sein Leben mit seinen individuellen Möglichkeiten in vollen Zügen leben und genießen dürfen. Trotz alldem sollte jeder seinen Blick für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, denen es schlechter geht als einem selbst, offen haben. Mit diesem Bewusstsein, würde man schon den ersten Stein ins Rollen bringen, um zu helfen.
Hast Du ganz persönlich Visionen, Ideen oder Vorschläge, wie die Probleme lösbar sind? Und wenn ja, würden die mich wirklich interessieren.
Das Hauptproblem liegt darin, dass viel zu viele Kinder und Jugendliche die stationären Hilfen zur Erziehung beanspruchen müssen. An diesem Problem können wir als Wohngruppe nicht viel ändern. Wir können nur versuchen, denen, die bei uns leben, trotz allen negativen Umständen, einen schönen Lebensabschnitt zu ermöglichen. Unsere Arbeit bezieht sich jedoch auf das Problem, wenn „das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“. Um dies transparenter zu gestalten, müsste man wahrscheinlich mehr an die Öffentlichkeit treten. Oft werden nur größere und bekanntere Stiftungen unterstützt und dabei gibt es noch so viele Kleinere, die sich über jegliche Zuwendung freuen würden. Doch ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass das gar nicht so einfach ist. Leider!
Ich kenne Dich ja nun schon eine Weile und weiß, dass das gedankliche Arbeit-Mit-Nach-Hause-Nehmen auch ein Thema für Dich ist. Gibt es überhaupt noch eine private Maria? Und wie ist die? Gibt es Interessen neben der Arbeit? Es gibt ja Menschen, die sind Spargelwettschälweltmeister. Hast Du da noch etwas in petto?
Natürlich gibt es immer mal Momente und Situationen, wo man der Arbeit näher steht, als manch andere und als man selbst manchmal gern möchte. Doch schließlich ist dies auch eine Tätigkeit, die man nicht nur mit dem Kopf, sondern vor allem auch mit dem Herzen erledigen sollte. Trotz alldem gibt es selbstverständlich noch eine private Maria, die sehr gern Sport treibt, sich mit Freunden trifft, mit ihrem Hund spazieren geht, aber auch einfach mal zu Hause auf dem Sofa lümmelt und nichts tut. Spargel schälen steht dabei eher selten auf meinem Plan.
Danke, liebe Maria, für Deine Antworten.
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