"Jedes Jahr verspricht die Stadt mehr Betreuungsplätze, zuletzt waren es 5.000 für das Jahr 2014. Doch immer wieder werden nur Bruchteile davon realisiert", kommentiert die Leipziger Kita-Initiative jetzt das Urteil vom Montag. "Die Kita-Initiative hat die Klagen vorausgesehen; dass die ersten erfolgreichen nun tatsächlich aus Leipzig kommen, ist bezeichnend für die nach wie vor hochproblematische Situation in der Stadt, die im Rathaus aber offenbar noch immer nicht ausreichend ernst genommen wird."

“Noch bis Mitte des vergangenen Jahres hat die Stadt immer wieder Betreuungslätze aus dem Hut zaubern können, sobald Eltern mit dem Jugendamt per Anwalt kommuniziert haben. Uns war klar, dass das nicht ewig so weitergehen kann”, erklärt Victoria Jankowicz von der Leipziger Kita-Initiative. “Wir haben einigen Eltern zur Klage geraten und weisen auch auf unserer Webseite auf diese Möglichkeit hin. Wir gehen davon aus, dass in Leipzig mindestens 4000 Betreuungsplätze fehlen. Kaum ein Kita-Projekt eröffnet zum geplanten Zeitpunkt. Den Eltern bleibt hier kaum etwas anderes übrig, als den Rechtsweg einzuschlagen.”

Christin Melcher von der Leipziger Kita-Initiative ergänzt: “Rechtsanspruch heißt Rechtsanspruch, dieser wurde langfristig angekündigt. Bis zuletzt hat die Stadt gehofft, er würde nicht eingeführt. Den Handlungsbedarf ernstgenommen hat sie dann erst ab 2013. Eineinhalb Jahre sind seither vergangen, aber die Plätze reichen nach wie vor nicht. Jetzt rächt sich diese Vogel-Strauß-Politik.”

Aus Sicht von Victoria Jankowicz sei es dringend nötig, dass die Stadt den Prozess zwischen Kita-Planung und -Eröffnung optimiere. “In den vergangenen Jahren wurde kaum die Hälfte der jeweils geplanten Plätze realisiert und 2014 nach unseren Recherchen gerade einmal 16 Prozent der angekündigten 5.000. Die Stadt entschuldigt das immer wieder mit unvorhersehbaren Verzögerungen. Wenn das aber über Jahre so geht, dann muss der Kita-Bau-Prozess geprüft und optimiert werden. Jedes Unternehmen müsste das tun – oder pleite gehen. Es kann doch nicht sein, dass sich in dieser Situation der Baubeginn einer Kita um mehr als ein Jahr verzögert, weil das Amt für Gebäudemanagement so lange für die Prüfung eines Mietvertrags braucht, wie etwa bei einem Projekt in der Rathenaustraße. Im Moment agiert die Stadt unprofessionell und dilettantisch!”

Dabei lesen sich die jährlichen Bedarfsplanungen der Stadt zu den Kindertagesstätten wie professionelle Fahrpläne: Man kennt die Zahl der Kinder, rechnet die Betreuungsquoten aus und die notwendige Zahl zu bauender Betreuungsplätze. 2014 wurde übrigens auch die Planung umgestellt – weg vom Kalenderjahr hin zum Schuljahr, denn die Rhythmen der Betreuung im Kindergarten richten sich nun einmal direkt nach dem Beginn des Schuljahres. Im Sommer wechselt stets ein kompletter Jahrgang in die Schule – entsprechend viele Plätze werden frei.

Für das Schuljahr 2014/2015 rechnete das Dezernat Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule mit 37.853 Kindern im Alter von 0 bis zum vollendeten 6. Lebensjahr, 17.560 davon im Krippenalter (0 bis 3 Jahre), 20.293 im Kindergartenalter. Daraus wurde ein Platzbedarf errechnet, der aber augenscheinlich auch noch nicht den gestiegenen Erwartungen der Eltern entspricht, die deutlich seltener noch länger zu Hause bleiben, um die Kinder zu Hause zu betreuen. Zumindest wurde aber 2014 schon einmal erkannt, dass der Platzbedarf deutlich gestiegen ist. Jahrelang hatte das verantwortliche Amt noch angenommen, im Krippenbereich mit 45 bis 50 Prozent Nachfrage rechnen zu können. Dem ist aber schon lange nicht mehr so. 2013 war der Versorgungsgrad für Kinder  im Alter von 1 – 3 Jahren dann schon auf 53 Prozent gestiegen, bei Kindern bis zum vollendeten 1. Lebensjahr auf 35,7 Prozent. Beides Werte, die in der Planung für 2014/2015 schon deutlich als zu gering gewertet wurden. Beim Ausbau der Kapazitäten wurde jetzt für die unter Einjährigen ein Versorgungsgrad von 42,3 Prozent angepeilt, für die 1- bis 3-Jährigen einer von 65,1 Prozent.

Ein Problem machte die 2014er Planung noch einmal überdeutlich: Es gibt durchaus Stadtgebiete, da liegt der Versorgungsgrad auch im Krippenbereich deutlich über 80 Prozent. Aber gerade da, wo schon vor fünf Jahren der Mangel an (wohnortnahen) Betreuungsplätzen prekär war, ist er auch heute noch eklatant. Es betrifft nicht ganz zufällig gerade den von Familien bevorzugten Bereich in den auwaldnahen Gründerzeitvierteln. Besonders im Leipziger Süden (Südvorstadt, Connewitz), im Südwesten (Schleußig), Südosten (Stötteritz) und im Norden (Gohlis) sind die Versorgungsquoten im roten Bereich, fehlen vor allem Kita-Plätze für die unter Einjährigen. Aber da die Übergänge meist fließend sind, setzt sich das Problem auch in die höheren Jahrgänge fort.

Da gibt es Stadtbezirke im Norden und Osten, wo eine erstaunliche Betreuuungsquote der Kindergartenkinder von über 100 Prozent erreicht wird (selbst im gesamten Stadtgebiet wurden 100,1 Prozent ermittelt), aber da, wo die Plätze gebraucht werden, fehlen sie: im Süden und im Norden.

Das Problem, das der Stadt immer wieder auf die Füße fällt, ist das Fehlen an geeigneten Baugrundstücken, von einigen Ratsfraktionen nun seit zwei Jahren immer wieder als Problem der Liegenschaftspolitik angeprangert: Jahrzehntelang hat die Stadt wichtige Grundstücke einfach zum Ausgleich der Jahreshaushalte verkauft und die Flächenbevorratung für die lebenswichtigen Investitionen der Stadt vernachlässigt – das betrifft ja bekanntlich auch den Schulbau und in den nächsten Jahren auch den sozialen Wohnungsbau.

Was im Kita-Ausbau dazu führt, dass die Stadt selbst da weiter neue Kindertagesstätten baut, wo die Betreuungsquote längst über 120 Prozent liegt. Sichtliches Zeichen dafür, dass gerade im Süden der Stadt die notwendigen Flächen einfach fehlen oder – wie im Gelände hinterm Bayrischen Bahnhof, nicht gesichert werden konnten, weil der Staatskonzern Deutsche Bahn lieber an Privat verkauft, statt an die so dringend auf Flächen angewiesene Kommune.

Es ist also nicht nur die Stadt, die hier ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat oder aus Finanznot immer wieder in die Zukunft verschob. Bund und Land haben ihren gehörigen Anteil daran. Und auch Leipzigs Verwaltung hätte bessere Karten im Prozess gehabt, wenn sie transparenter mit den offenkundigen Problemen umgegangen wäre und nicht über Jahre so getan hätte, als könnte sie den steigenden Bedarf auffangen.

Auch das nun seit zwei Jahren deutlich aufgestockte Bauprogramm wird für viele junge Eltern das Dilemma nicht lösen. Nicht alle können jeden Morgen erst einmal ans andere Ende der Stadt fahren, um die Kinder in der Kita abzuliefern.

Christin Melcher von der Kita-Initiative: “Wir brauchen ausreichend Plätze in allen Stadtvierteln. Die Stadt muss handeln, nicht nur Leute entschädigen, die klagen. Eltern erleben nach wie vor eine Tortur bei der Kita-Platz-Suche. Sie werden mit unzureichenden Informationen versorgt, oft kommt die Zusage für einen Betreuungsplatz – wenn überhaupt – erst kurz vor Arbeitsbeginn. Schadensersatz ist zwar ein gutes Zeichen für Eltern, behebt aber den Schaden nicht. Die Stadt muss endlich dem Bedarf an Betreuungsplätzen gerecht werden!”

Die Leipziger Kita-Planung für das Schuljahr 2014/2015 als pdf zum Download

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