Inmitten der Plattenbauten in der Leipziger Tarostraße liegt ein pädagogisches Kleinod versteckt: der Straßenkindergarten. Am 1. April 2013 wird er 20 Jahre alt. Als einer der ersten freien Kindergärten Leipzigs befindet sich der Straßenkindergarten noch heute in der Trägerschaft des gemeinnützigen Vereins "Straßenkindergarten e.V.".

Der Verein entstand 1992 aus einer Elterninitiative. Engagierte Menschen, hauptsächlich Eltern, gründeten ihn, um in den Wirren der Nachwendezeit neue pädagogische Wege zu gehen. Ein Leitsatz aus dieser Zeit ist auch heute noch gültig: “Unser Kindergarten ist so gut, wie wir ihn alle gemeinsam gestalten.”

Der Straßenkindergarten blickt auf eine erfolgreiche Entwicklung zurück. Aus einer Einrichtung mit einer Gruppe ist eine integrative Kindertagesstätte mit zwei altersgemischten und einer Krippengruppe geworden. “Wir betrachten jedes Kind als eigenständige Persönlichkeit mit individuellen Kompetenzen und zugleich als Teil unserer Kindergartengemeinschaft”, beschreibt Sabine Müller, die als Erzieherin seit dem Beginn im Kindergarten mitwirkt, einen wesentlichen Aspekt für den Erfolg. “Die Bedürfnisse der Kinder werden von den Erwachsenen ernst genommen und es werden ihnen altersgemäße Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten eingeräumt.”

Es ist kein Geheimnis, dass das, was Kinder in der frühen Kindheit erleben und ausprobieren, den Grundstein für ihr späteres Leben bildet. Jede neue Erfahrung beruht auf einer bereits gemachten Erfahrung. Selbstvertrauen und andere Kompetenzen erwachsen aus der Bewältigung von Herausforderungen, die im Alltag entstehen. “Wir ermutigen Kinder, ihre Rechte und Pflichten zu leben, um aktuell und perspektivisch Situationen autonom, solidarisch und kompetent zu meistern”, erläutert Lars Henkel, pädagogischer Leiter des Straßenkindergartens, das Kernziel der pädagogischen Arbeit. “Wir gehen zum einen davon aus, dass Kinder sich selbst und eigeninitiativ, entsprechend ihres ganz eigenen Tempos entwickeln, und sich somit auf verschiedenen Entwicklungsstufen befinden. Zum anderen ist für uns die Entwicklung des Kindes ein ganzheitlicher Prozess, der in allen Entwicklungsbereichen erfolgt.”Der Straßenkindergarten trägt dazu bei, den Erfahrungsraum der Kinder zu erweitern, bietet Möglichkeiten des Lernens und unterstützt die Herausbildung sozialer Kompetenzen.

Der Name des Kindergartens hat mit seiner Entstehungsgeschichte zu tun. Jedoch hat sich inzwischen ein Bedeutungswandel vollzogen. Ursprünglich als wohnortnaher Kindergarten “in unserer Straße” gedacht, versteht sich “Straße” heute auch als Synonym für Leben, nähere und fernere (Um-) Welt, Offenheit – ein sich auf den Weg machen. Mit der Bezeichnung “Straßenkindergarten” wird somit ein wichtiges pädagogisches Ziel benannt: Die Erschließung und Aneignung der (Um-)Welt als Voraussetzung für die Entwicklung einer eigenen Identität und Persönlichkeit.

Der Straßenkindergarten ist ein Erfahrungsraum für Mädchen und Jungen, der Spiel- und Bewegungsraum bietet, vielfältige Kontakte schafft, Rückzugsmöglichkeiten bereithält und Ruhe gestattet. Die Erzieher verstehen sich als Bezugsperson, Ermöglicher, Begleiter, Unterstützer, Vorbild und Dokumentatoren. Ihre pädagogische Arbeit ist auf die individuelle Entwicklung der Mädchen und Jungen und auf die Bedürfnisse der Gruppe abgestimmt. Diese offene Planung setzt ein hohes Maß an gegenseitiger Offenheit und Wertschätzung voraus. Sie ist abhängig von den unterschiedlichen Lebenssituationen und -bedingungen der Kinder und ihrer Familien.

Die tägliche pädagogische Arbeit orientiert sich an den Grundsätzen des “Situationsansatzes”- ein sozialpädagogisches Konzept zur Begleitung von Bildungs- und Lebensbewältigungsprozessen mit dem Hauptaugenmerk auf Autonomie, Solidarität und Kompetenz. Dazu gehört unter anderem das Aufgreifen sozialer und kultureller Lebenssituationen der Kinder und ihrer Familien (Beobachtung von Schlüsselsituationen), aber auch die Orientierung an realen Lebenssituationen und den Ressourcen der Kinder (Bedürfnisse, Interessen, Erfahrungen, Sinndeutungen, Fragen und Antworten). Im Spiel wird die wichtigste Methode für Leben und Lernen der Kinder gesehen. Wesentliche Merkmale sind weiterhin die bewusste Auseinandersetzung mit verschiedenen Werten, Normen, Regeln und Grenzen, aber auch mit verschiedenen und individuellen Kompetenzen, Bedürfnissen, Erfahrungen sowie kulturellen Hintergründen.Der Straßenkindergarten versteht sich als lernende Organisation. Die Erzieher/innen sind in diesem Verständnis Lehrende und Lernende zugleich. Ihre pädagogische Arbeit beruht auf Situationsanalysen und folgt einer prozesshaften, flexiblen Planung. Sie wird fortlaufend dokumentiert und umfasst unterschiedlich weite Zeiträume. Sie lässt Raum für die Spontanität der Kinder, für unterschiedliche Entwicklungstempi und für unvorhergesehene Einflüsse von außen.

Die Kinder erfahren in der Gemeinschaft Heterogenität als wechselseitig stimulierend und bereichernd. In diesem sozialen Kontext und einer positiven Beziehungsatmosphäre wird jedes Mädchen und jeder Junge unterstützt, die eigene Identität auszuprägen und das eigene menschliche Potenzial zu entfalten. Die Begleitung dieser Entwicklung und Stärkung ihres Selbstbildes erfolgt entsprechend ihrem individuellen Tempo. Jedes Kind soll durch den Erwerb verschiedener Kompetenzen zur Selbstwirksamkeit geführt und in seinem Selbstwertgefühl bestärkt werden. Das im Team vorhandene Wissen über die entwicklungspsychologischen Besonderheiten der Kinder im Elementarbereich ist eine fundamentale Voraussetzung für das pädagogische Handeln.

www.strassenkindergarten.de

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