Die Linksfraktion im Stadtrat fordert eine externe Überprüfung des Amtes für Jugend, Familie und Bildung. Hintergrund sind der Tod einer Leipziger Mutter und ihres Kindes sowie eine Serie von kriminellen Aktivitäten einer Kinder- und Jugendclique. "Im Moment ruht der See ganz und gar", sagt Linken-Stadträtin Juliane Nagel im L-IZ-Interview über den Aufklärungswillen des Amtes.
Frau Nagel, was beabsichtigt die Linksfraktion mit dem Antrag zur externen Überprüfung des Amtes für Jugend, Familie und Bildung, den der Stadtrat am Mittwoch in erster Lesung behandelt?
Nach dem Tod einer Mutter und ihres Kindes in Leipzig-Gohlis im Juni 2012 sind die Diskussionen um die sach- und fachgemäße Arbeit des Allgemeinen Sozialdienstes ASD wieder entbrannt. Die Kritik, die meine Fraktion und auch die Grünen seit langem an der Verfasstheit des ASD nach dessen Umstrukturierung 2010 geübt haben, scheinen sich hier bestätigt zu haben.
Konkret kritisieren wir das damals neu eingeführte Eingangs- und Fallmanagement, das aus unserer Sicht dazu führt, dass Hilfebedarfe nicht mehr erkannt und schneller abgewiesen werden, dass Vertrauensverhältnisse zwischen KlientInnen und SozialarbeiterInnen gekappt werden.
Außerdem kritisieren wir die schlechten Arbeitsbedingungen von ASD-MitarbeiterInnen: Die hohe Arbeitsbelastung und ein angespanntes behördeninternes Klima haben natürlich Folgen für die Hilfesuchenden. Hinzu kommt der Kostendruck, der dazu führt, dass notwendige Hilfen nicht gewährt werden.
Fragen nach der Arbeitsweise des ASD waren zuletzt doch nicht nur mit dem tragischen Tod einer Gohliserin und ihres Kindes verbunden …
Im September kam dann noch die Diskussion um die so genannte “Kinderbande” – die verhaltensauffälligen Zwillinge – auf. Die beiden wurden ja auch durch den ASD begleitet, zahlreiche Hilfemaßnahmen haben offensichtlich nicht gegriffen.
Angesichts dessen, dass mögliche strukturelle Probleme im Amt beziehungsweise im ASD in beiden herausgehobenen Fällen gegenüber dem Stadtrat nicht adäquat ausgewertet wurden, sahen wir uns gezwungen, mit unserem Antrag Konsequenzen einzufordern.
Wir beziehen uns dabei allerdings nicht auf den ASD allein, sondern beziehen das gesamte Amt für Jugend, Familie und Bildung ein. In diesem Amt ballen sich zahlreiche Herausforderungen, neben Krisenintervention beziehungsweise Begleitung von Menschen in schwierigen Lebenssituationen, eben auch die großen Baustellen Kita und Bildung/Schule.Ballt sich in dem Verwaltungsteil in der Naumburger Straße vielleicht zuviel an Herausforderung zusammen?
Wir befürchten, dass der Fehler vielleicht in der Größe und Aufgabenfülle des Amtes liegt und wollen fast zwei Jahre nach der Fusion von Schulverwaltungs- und Jugendamt zum Amt für Jugend, Familie und Bildung prüfen lassen, ob das Strukturziel der “Verschlankung der Aufbau- und Ablaufstrukturen” nicht zulasten der Qualität und Aufgabenbewältigung geht.
Warum setzen Sie auf externe Prüfer?
Wir sind ehrenamtlich tätige StadträtInnen, können eine fachliche Prüfung also nicht leisten. Die Verwaltung ist aus unserer Sicht selbst befangen und kann und sollte diese Überprüfungen nicht vornehmen.
Wir wünschen uns daher externen, fachlich versierten Sachverstand, der mit unverstelltem und unparteiischen Blick auf die Strukturen und Abläufe schaut. Gerade im Bereich des ASD haben wir es mit nicht unkomplizierten Fragen zum Beispiel der Kindeswohlgefährdung und elterlichen Sorge zu tun. Da neigen einige politische Akteure schnell zu voreiligen Forderungen, die aber in wichtige Grundrechte eingreifen, zum Beispiel wenn es um drogenabhängige Eltern geht.
Im Bereich der Jugendhilfe haben wir in den letzten Jahren durchaus gute Erfahrungen mit nicht wirtschaftlich ausgerichteten, fachkundigen BeraterInnen gemacht.
Sie bescheinigen in Ihrem Antrag der Verwaltung eine “Strategie des Aussitzens”. Woran machen Sie das fest?
Wir fordern seit Juni, dass den zuständigen Gremien, zum Beispiel dem Jugendhilfeausschuss, eine Aufarbeitung möglicher Fehlleistungen des ASD bezüglich des Todesfalls von Mutter und Kind vorgelegt wird. Dasselbe forderten wir im Fall der verhaltensauffälligen Zwillinge. Daraufhin folgte fast nichts. In den Medien äußerten sich Amtsleiter und MitarbeiterInnen zum Fall der Zwillinge sogar widersprüchlich.Natürlich haben wir mit datenschutzrelevanten Informationen und im ersteren Fall mit laufenden Ermittlungsverfahren zum Beispiel gegen den OBM und Amtsleiter Haller zu tun. Aber gerade dem Jugendhilfeausschuss als Teil des Amtes für Jugend, Familie und Bildung, in dem auch zahlreiche ExpertInnen sitzen, hätten mehr Informationen zuteil werden müssen. Er hätte zum Beispiel auch um Rat gebeten werden können. Aber nein, nichts.
Ist Besserung in Sicht?
Im Moment ruht der See ganz und gar. Zwar gab es direkt nach dem tragischen Todesfall im Juni hochrangige ExpertInnengespräche auf Initiative und am Tisch von Herrn Haller, aber über Ergebnisse haben wir nie wieder etwas gehört. Ebenso verhält es sich mit ganz konkreten Veränderungsvorschlägen, die der Kinderschutzexperte Prof. Dr. Reinhart Wolff in seiner gutachterlichen Stellungnahme zur Erfüllung bzw. Nichterfüllung fachlicher Standards der Kinder- und Jugendhilfe im Fall “Gohlis” in Bezug auf den ASD gemacht hat. Hier hätte zum Beispiel von der Verwaltung selbst eine Stellenerhöhung im ASD vorgeschlagen werden können, wie Wolff es empfiehlt.
Sie fordern “eine lücken- und schonungslose Fehleranalyse”. Wie könnte diese erfolgen?
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Ein gutes Beispiel ist die angeführte gutachterliche Stellungnahme. Hier wurde sowohl geprüft, ob gesetzliche und fachliche Standards eingehalten, dienstrechtliche Anweisungen beachtet wurden etc. Es wurden dabei auch Konsultationsprozesse im beteiligten Team, aber auch das gesamte kommunale Kinderschutzsystem in die Prüfung einbezogen.
Eine mehrdimensionale, fachliche Prüfung also, bei der nicht Kostenerwägungen im Vordergrund standen. Dies scheint dagegen bei der so genannten Organisationsuntersuchung der Fall gewesen zu sein, aus der die Umstrukturierung des ASD folgte.
Prof. Wolff macht im Ergebnis der Prüfung wichtige Vorschläge, die wir unterstützen. Zum Beispiel mehr Kontinuität, unter anderem durch klare Arbeitsstrukturen und eine bessere personelle Ausstattung des ASD und mehr und gezieltere Fortbildungsangebote für Fachkräfte oder aber eine tiefergehende Fallbearbeitung, die weniger an Symptomen orientiert ist.
Wie würden Sie Ihr Anliegen beschreiben?
Ergo: Wir wollen statt Aussitzen und verwaltungsinterner “Klärung” mehr Ehrlichkeit und Selbstkritik und vor allem die Einbeziehung der zuständigen Gremien. Zu oft hat man das Gefühl, dass Kritik einfach nur abgewehrt wird. Dabei geht es uns doch um eine Verbesserung von Hilfestrukturen und der Arbeit des Amtes zugunsten der Menschen in Leipzig, die diese beziehungsweise dessen Leistungen bedürfen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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