Die sogenannte "Kinderbande" machte in den letzten Wochen mehrfach von sich Reden. Bis das Jugendamt eingriff und die beiden zum Schluss als Kopf der Bande agierenden Zwillinge getrennt unterbrachte. Aber das war eigentlich nicht das Thema, denn die Stadt wurde auch diesmal von anderer Seite zusätzlich unter Druck gebracht: von einem Polizeipräsidenten, der auch diesmal nicht die eigene Truppe in der Verantwortung sah, sondern mit dem Finger auf die Stadt zeigte.
Horst Wawrzynski hat seinen Wahlkampf spätestens im August begonnen, eigentlich schon vorher, als er mit öffentlichen Äußerungen die Drogen-, die Verkehrs- und die Jugendpolitik der Stadt unter Beschuss nahm. Wohl wissend, das man auf allen drei Gebieten nur Lösungen findet, wenn die Arbeit der Polizei mit der Präventionsarbeit der Stadt Hand in Hand geht.
Aber schon bei der seit 2011 hochgekochten Drogendebatte konnten die Leser bestimmter Zeitungen in Leipzig das Gefühl bekommen, für die Ordnungspolitik sei allein die Stadt zuständig und die Präventionsarbeit verhindere sogar, dass die Polizei in Leipzig erfolgreich arbeiten könnte. Nun scheint der von der CDU als OBM-Kandidat aufgestellte Ordnungshüter, der seit Montag, 1. Oktober, offiziell im Urlaub ist, auch die “Kinderbande” als politisches Thema für sich entdeckt zu haben. In der Zeitung tauchte am Wochenende das Faksimile eines Briefes auf, den Wawrzynski noch im August ans Sozialdezernat geschrieben haben soll, in dem er “das Abwarten einer Entscheidung des Familiengerichts” in Sachen “Kinderbande” nicht für sachgerecht erklärte.
Das Problem bei den Zwillingen und ihren Bandenmitgliedern: Sie sind allesamt noch minderjährig. Da sind sowohl Stadt wie Polizei an Regeln gebunden. Das kritisieren nun, nachdem der Brief auch noch in der Zeitung sein Echo fand, die beiden Linke-Stadträte Rüdiger Ulrich und Juliane Nagel. Sie fordern für die nächste Sitzung des Jugendhilfeausschusses eine lückenlose Aufarbeitung in Sachen “Kinderbande”. Dazu haben sie dem Dezernenten Prof. Fabian einen Fragenkatalog übergeben. Aber sie wollen die Stadt nicht an den Pranger stellen. Sie wollen wissen, warum es Probleme gibt.
Denn offenkundig scheint Mehreres: Die Stadt leidet vermehrt unter sozialen Spannungen, die sich eben keineswegs nur in friedlichen Demonstrationen entladen, sondern auch in Bereichen, wo es zwangsläufig zu Konflikten kommt, unter denen alle leiden. Die Stadt leidet auch verstärkt unter den Kürzungsmaßnahmen insbesondere des Freistaats Sachsen – spürbar bei wichtigen Förderungen im Sozialbereich aber auch bei der anhaltenden Unterbesetzung der Polizei. Und der Versuch im Jahr 2010, das Jugendamt neu zu strukturieren, hat auch negative Folgen mit sich gebracht.”Als FachpolitikerInnen können wir uns nicht auf die verschiedenen Aussagen stützen, die in der Presse abgebildet sind. Wir benötigen eine handfeste Grundlage, anhand derer wir den Fall und das Verfahren im Amt für Jugend, Familie und Bildung eingeschlossen des Allgemeinen Sozialdienstes einschätzen können. Erst dann sind wir auch in der Lage, personelle Konsequenzen zu fordern – oder eben nicht”, erklären Ulrich und Nagel.
Sie weisen auch darauf hin, dass das Amt sehr wohl tätig geworden ist, indem es die Kinder stationär in einer intensiv-pädagogischen Jugendhilfeeinrichtung untergebracht und sich schlussendlich für eine Trennung der Zwillinge und die Unterbringung außerhalb Leipzigs entschieden hat. Ob dies zu spät geschah, werde nach Sichtung der Antworten zu prüfen sein.
Die beiden Linke-Stadträte, die für ihre Partei im Jugendhilfeausschuss der Stadt Leipzig sitzen, erinnern im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte auch an den Druck, der seitens der CDU vor zwei Jahren wegen vermeintlich zu hoher Kosten bei den Hilfen zur Erziehung gemacht wurde. Dieser allgegenwärtige Druck zur Kostensenkung habe dazu geführt, dass Hilfen in Leipzig seltener gewährt werden, obwohl sie fachlich notwendig sind.
“Anbieter von Hilfen zur Erziehung berichten in Bezug auf den ASD immer wieder von dessen sinkender Bereitschaft und viel zu langen Verfahrenswegen bei der Gewährung dieser Hilfemaßnahmen. Dies geschieht letztendlich zuungunsten des Wohles von Kindern bzw. Jugendlichen und auch der Allgemeinheit”, stellen sie fest.
Aber genau so reagiert eine Verwaltung, wenn sie eigentlich mehr Fälle betreuen muss, als die verfügbaren Ressourcen ermöglichen, und gleichzeitig der Druck von oben spürbar ist, die Kosten senken zu müssen. Dass es beim Allgemeinen Sozialdienst (ASD), der sich um die wirklich gefährdeten Kinder und Jugendlichen kümmern soll, dabei ans “Eingemachte” geht, wird in der politischen Diskussion gern ausgeblendet.
“Wir brauchen einen fachlich und personell gut aufgestellten ASD, der die zentrale Instanz bei der Feststellung der Kindeswohlgefährdung und der Vermittlung in weiterführende Hilfen ist”, stellen die beiden Linke-Stadträte fest. “Eine umfassende kritische Überprüfung der ASD-Prozess- und Verfahrensstandards sowie eine bessere personelle Ausstattung und die Stabilisierung der Strukturen des ASD sind dafür dringend erforderlich. Seit dessen Umstrukturierung 2010 liegt hier einiges im Argen. MitarbeiterInnen leiden unter personellen Engpässen, mit der Folge von Vertretungen, wodurch es schwer ist, die Kontinuität der Fallbearbeitung aufrecht zu erhalten. Diese Probleme wurden von der Verwaltung in der Vergangenheit systematisch gedeckelt.”
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Im Zuge der Aufarbeitung des Falls der verstorbenen suchtkranken Mutter und ihres Kindes in Leipzig-Gohlis hat das Amt für Jugend, Familie und Bildung den Weg einer fundierten Problemanalyse eingeschlagen. So unterbreitete der Erziehungswissenschaftler Prof. Reinhart Wolff dem Jugendamt in einer gutachterlichen Stellungnahme jüngst ernstzunehmende Vorschläge.
“Wir fordern vom Amt für Jugend, Familie und Bildung, die Politik künftig selbstständig, frühzeitig und verlässlich zu informieren. Außerdem fordern wir im ‘Kinderbande’-Fall eine kritische Aufarbeitung des Handelns der zuständigen städtischen Institutionen und die Einleitung von konkreten Maßnahmen unter anderem durch die Umsetzung der benannten Vorschläge von Prof. Wolff”, so Nagel und Ullrich. “Wir hoffen, dass die weitere öffentliche Debatte um das Handeln des Jugendamtes weniger von aufgeregten, populistischen Einlassungen und Schuldzuweisungen geprägt wird. Das schadet allen Beteiligten und verhindert eine fachliche Fehler-Analyse.”
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