Naomi-Pia Witte, Abgeordnete der Linken im Leipziger Stadtrat, sieht sich durch den Tod einer 26jährigen Frau und ihres zweijährigen Kindes in der vergangenen Woche in Gohlis in ihren Befürchtungen bestätigt. 2009 begann die Umstrukturierung des Allgemeinen Sozialdienstes in Leipzig von einer sozialraumbezogenen Organisation hin zum so genannten Eingangs- und Fallmanagement.
“Damit wurde der bewährte Sozialraumbezug zu Gunsten einer eher aktenorientierten Arbeitsweise aufgegeben”, kommentiert die Stadträtin den Vorgang und betont, dass Grüne und Linke 2009 erhebliche Bedenken gegen die Neuorganisation hatten. “Schon damals schrieben besorgte Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialdienstes in einem mir vorliegenden Positionspapier: ‘Der Sozialraumbezug, ein unerlässlich wichtiger Bezugspunkt der sozialen Arbeit, geht verloren, da die Fallarbeit zentral erfasst und dann beliebig an den Fallsozialarbeiter aufgeteilt wird. […] Die Klienten verlieren ihre teils vertrauten, aber mindestens oft schon bekannten Bezugspersonen im ASD, ‘ihren’ Stadtteilsozialarbeiter.
Die neue Schnittstelle innerhalb des ASD bedeutet einen Eingriff in die Beziehungsarbeit mit den Klienten. Der Vertrauensaufbau, der gerade bei Multiproblemfamilien eminent wichtig ist, wird unterbrochen, einhergehend mit Informationsverlusten und denkbaren Beziehungsabbrüchen.”
Dazu käme, so Naomi-Pia Witte, dass die Mitarbeiter des ASD aufgrund der Umstrukturierungen öfter den Zuständigkeitsbereich wechseln mussten, und manche Akten der hilfesuchenden Menschen deshalb durch mehrere Hände gingen und von einer kontinuierlichen Betreuung in vielen Fällen nicht mehr gesprochen werden konnte.
Erst am 29. Mai hatte der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, berichtet, dass 2011 in Deutschland 146 Kinder durch Gewalt oder Verwahrlosung ums Leben gekommen seien. Damit sei diese Zahl zwar im Vergleich zu 2010 um ein Fünftel gesunken. Aber auch Zierke betonte: “Jedes betroffene Kind ist eines zu viel. Jeder Fall von Gewalt an Kindern ist eine Tragödie.” 114 Todesopfer waren jünger als sechs Jahre.Die Pädagogik-Professorin Kathinka Beckmann von der FH Koblenz forderte in diesem Zusammenhang einmal mehr, die Jugendämter finanziell besser auszustatten. “Das Budget richtete sich manchmal eben nicht danach, was die Kinder, die Familien vor Ort brauchen. Sondern das Budget richtet sich nach dem, was die kommunale Haushaltslage insgesamt überhaupt noch hergeben kann”, kritisierte sie. Die Folge sei, dass Kinder manchmal in Strukturen blieben, die schädlich seien und sie sogar töten könnten. So zitiert sie zum Beispiel 3sat.
“Wer mit den Konsequenzen der Umstellung der Arbeitsweise vom Sozialraumbezug zum Eingangs- und Fallmanagement vertraut ist, kann sich nicht darüber wundern, dass in dem vorliegenden Fall die Mutter im April vom ‘Radarschirm’ des ASD verschwinden konnte, und somit das Kind in der tödlichen Struktur verblieb”, sagt nun Naomi-Pia Witte. “Aufgrund dieser Konsequenzen aus der Umstellung gab es ja damals auch die starken Bedenken der Grünen und der Linken. Die von mir als Gegnerin des Eingangs- und Fallmanagements damals angeführte Frau Prof. Bieback-Diel wurde von den politisch Verantwortlichen im Dezernat als unfachlich und nicht kompetent diffamiert.”
Witte: “Frau Bieback-Diel damals zur Einführung des Eingangs- und Fallmanagements in Leipzig wörtlich: ‘Das gibt tote Kinder’. Leider ist diese Voraussage traurige Realität geworden. Ein Rücktritt der politisch Verantwortlichen ist daher unumgänglich.”
Tod einer 26-jährigen Mutter und ihres 2-jährigen Sohnes: Jugendamt weist Verantwortung von sich
Eine 26-jährige drogenabhängige Mutter stirbt …
Ob die Änderung der Arbeitsweise im ASD für den tragischen Tod von Mutter und Kind in Gohlis verantwortlich ist, ist freilich völlig offen. Die Linke stellte zwar im September 2010 ein ganzes Bündel besorgter Fragen. Nach der Stadtratssitzung vom 20. Oktober 2010 wurden sie aber auch vom Sozialdezernat recht ausführlich beantwortet. Unter anderen heißt es da: “Der ASD ist stets in der Verantwortung, alle Meldungen von Kindes-/ Erwachsenenwohlgefährdung zu prüfen und ggf. notwendige Maßnahmen zur Sicherung des Kindeswohls einzuleiten. Die Gefahr, dass Fälle von Kindeswohlgefährdung übersehen werden, wird durch das Eingangsmanagement nach derzeitigem Kenntnisstand nicht erhöht.”
Die Antworten auf die Anfragen der Linken aus der Ratsversammlung vom 20. Oktober 2010: http://notes.leipzig.de
Beitrag zum Thema auf 3sat: www.3sat.de
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