Kinder gehören nicht in eine Ratsversammlung - oder? Manchmal geht es eben nicht anders, wenn das andere Elternteil arbeiten muss und das Kind noch nicht alt genug für eine Kindertagesstätte ist. Immer das Kind im Blick, wenn es durch die Sitzreihen flitzt, oder raus aus dem Sitzungssaal, wenn der Nachwuchs allzu quengelig wird, ist das Elternteil von seiner originären Aufgabe abgelenkt: nämlich den Anträgen und Beschlüssen folgen.
Deshalb haben sechs SPD-, Grüne- und Linke-Stadtratsmitglieder in einem gemeinsamen Antrag eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung während Veranstaltungen im Neuen Rathaus gefordert. SPD-Stadtrat Mathias Weber bringt seinen Sohn fast zu jeder Sitzung mit. Seitdem der Kleine das Laufen für sich entdeckt hat, muss Weber Senior mit seinem Junior öfter den Raum verlassen, um dessen Bewegungsdrang gerecht zu werden. Bei den Stunden dauernden Ratsversammlungen kann man wirklich nicht verlangen, dass das Kind still und brav auf seinem Platz sitzen bleibt.
Skadi Jennicke von Die Linke hat erst vor 12 Monaten ein Mädchen zur Welt gebracht und es von Anfang an in die Welt der Kommunalpolitik eingeführt. Mit ihrem Baby auf dem Arm streift die junge Mutter durch die Reihen oder schaukelt es im Kinderwagen in den Schlaf. Die Kleine beteiligt sich sogar schon recht rege und brabbelt fröhlich drauf los. Bis jetzt hat das noch keinen gestört.
Um sich aber auf ihre ehrenamtliche Arbeit als Stadtratsmitglieder konzentrieren zu können, braucht es eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung. Mandy Gehrt und Skadi Jennicke von Die Linke, Mathias Weber und Christopher Zenker von der SPD, Michael Schmidt und Katharina Krefft von den Grünen wollten es deshalb allen im Stadtrat sitzenden Eltern erleichtern. Ihr Antrag ist nach einem heftigen Schlagabtausch angenommen worden.
Und so muss die Verwaltung bis zum vierten Quartal 2012 eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung einrichten, die auch gegebenenfalls auf die Gremiensitzungen ausgeweitet werden soll – das gilt es Seitens der Verwaltung zu prüfen. Und auch für die Bürgerinnen und Bürger, die an öffentlichen Veranstaltungen im Neuen Rathaus teilnehmen, soll bis Ende Herbst geprüft werden, ob eine Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt werden kann.
Woher das Geld dafür kommen soll, ist noch nicht klar. “Zunächst geht es darum, im Rathaus oder im angrenzenden Stadthaus einen Raum, beziehungsweise das Familieninfobüro so auszustatten, dass dort eine Kinderbetreuung möglich ist. Dies wäre im übrigen auch ein Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger, die mit Kindern beispielsweise aufs Standesamt oder zum Bürgeramt kommen, da sie bei längeren Wartezeiten einen Ort hätten, wo sie sich mit ihren Kindern aufhalten könnten”, erklärt Stadrat Zenker.
Dieser Raum könnte dann auch für Externe, die im Rathaus Veranstaltungen machen, zur Verfügung gestellt werden, was eine Win-win-Situation auf beiden Seiten in Sachen Familenfreundlichkeit darstellt. “Ohne die Kosten für die einmalige Ausstattung genau beziffern zu können, halte ich diese für begrenzt, zumal einiges im Familieninfobüro bereits vorhanden ist”, relativiert Zenker die Ausgaben.
Christopher Zenker wäre sogar “selbstverständlich” bereit, wenn eine Kinderbetreuung von städtischer Seite angeboten wird, diese dann bei Inanspruchnahme aus eigener Tasche zu bezahlen: “Mit keinem Wort ist im Antrag erwähnt, dass ich erwarte, dass die Leistung kostenlos erbracht wird, […] hierfür gibt es schließlich die Aufwandspauschale.”
Ihm ist es wichtig, dass eine Betreuung in räumlicher Nähe zum Sitzungssaal möglich gemacht werde, denn Kleinkinder reagieren oft negativ auf Unbekannte. “Unabhängig von der finanziellen Frage halte ich es für wichtig, dass im Stadtrat auch Mütter und Väter von Kindern unterschiedlichen Alters vertreten sind, da diese auf bestimmte Themen einen anderen Blick haben. Es wäre traurig, wenn aufgrund des fehlenden Angebots einer Kinderbetreuung diese Bevölkerungsgruppe im Stadtrat nicht oder nur noch geringfügig vertreten wäre”, resümiert Zenker.
Skadi Jennicke gibt in ihrer Rede zum Antrag auch zu Bedenken, dass sich die Mehrheit für eine Aufstockung der Aufwandspauschale um 56 Euro ausgesprochen hat, um die Mehrausgaben beim Parken zu decken. Und für eine Kinderbetreuung sei kein Geld da? Ein verschmitzter Blick in Richtung Verwaltung: “Was kann eine Stadt wirklich tun? In der Zwischenzeit hat meine Tochter Laufen gelernt.”
Gerd Heinrich von der CDU macht in seinem Redebeitrag seinen Standpunkt deutlich: Er hält nicht s von diesem Antrag. Seine Kritik: “Die Stadtverwaltung soll bezahlen. Die Vereinbarkeit von Mandat und Familie ist schwierig. Das ist nichts Neues.” Er greift die Antragsteller persönlich an, sie hätten ihr Leben nicht im Griff: “Wer ein Ehrenamt annimmt, muss sich der Verantwortung bewusst sein.” Heinrich bezeichnet den Antrag als “heuchlerisch und egoistisch”. Er stellt deshalb einen Ergänzungsantrag, in dem die gesamten Kosten auf die “Nutznießer” übertragen werden sollen. Und er fordert die Antragsteller sogar auf, “wenn sie Zivilcourage haben, dann ziehen sie den Antrag zurück”.
Diese “boshafte” Kritik kann Margitta Hollick nicht so stehen lassen. Das beweise genau die konservative Haltung von Heinrichs Fraktion. Und auch OB Burkhard Jung ergreift das Wort: “Es liegt keine Befangenheit vor, es ist kein individueller Antrag.”
Grüne-Stadträtin Anette Körner ist auch entrüstet über die Äußerungen Heinrichs. Sie freut sich nämlich, dass Kinder notgedrungen manchmal bei Sitzungen dabei seien, denn das beweise doch, dass die Stadtratsmitglieder ihre Aufgabe trotz Stress wahrnehmen. Und sie konstatiert: “Der Stadtrat ist immer noch überaltert. Es sollte ein unser allen Sinnen sein, Kinderbetreuung anzubieten.” Sie spreche aus eigener Erfahrung und habe die Aufwandspauschale jahrelang aus für die private Betreuung hergenommen.
Nach den sehr emotionalen Redebeiträgen kommt es zur Abstimmung. Der schnell noch nachgereichte Ergänzungsantrag von Heinrich findet keine Mehrheit. Der Stadtrat beschließt – ohne den Stimmen von FDP und CDU – die Einrichtung einer Kinderbetreuung während den Sitzungen, einen Prüfauftrag für die Ausweitung auf die Ausschüsse und einen weiteren Prüfauftrag für die Ausweitung, das Angebot auch bei sonstigen öffentlichen Veranstaltungen bereitzustellen.
Auffällig ist, dass bei der heutigen Ratsversammlung keine Kinder mitgebracht worden sind.
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