Dieser Fall zählt zu den erschütterndsten der Leipziger Kriminalgeschichte: Im Nachtleben von Lindenau lernte Dovchin D. zwei Frauen kennen, die er mit zu sich nach Hause nahm, sie tötete, die Leichen zerteilte und wie Unrat wegwarf. Wegen Mordes und Totschlags kam der heute 46-Jährige lebenslang hinter Gitter. In seinem Buchdebüt „SoKo Brücke“ setzt sich der Filmemacher Jörg Pfeifer mit dem Täter und den Ermittlungen auseinander.
Transparenzhinweis: Der Autor dieses Beitrags wird mit seiner Berichterstattung zum Strafprozess auch im Buch von Jörg Pfeifer namentlich aufgegriffen.
Als die Polizei Ende Februar 2017 auf verscharrte Leichenteile einer vermissten Frau in Lindenau stieß und mit Dovchin D. ein Verdächtiger aus der Nachbarschaft gefasst wurde, der gleich zwei Tötungsdelikte gestand, verfolgte Jörg Pfeifer aufmerksam die Entwicklung. Er wohnte damals selbst nahe am Tatort. Und fragte sich, was hinter all dem stecken mag: Satanismus? Okkulte Riten? Ein Wahnsinniger? Pfeifer ahnte zu dieser Zeit noch nicht, dass ihn der Fall später noch beschäftigen wird.
Über allem schwebt die Frage nach dem „Warum?“
Der 60-jährige Journalist, Filmemacher und Doku-Regisseur arbeitet viel für den MDR. Von der Sendung „Die Spur der Täter“ erhielt er den Auftrag, den Fall aus Lindenau zu erzählen, gedreht wurde 2021. Nicht nur Tatumstände und Fahndung, sondern auch die ewige Frage nach dem „Warum?“ und deren Folgen treiben ihn um, sagt Pfeifer. Wohl wissend, dass es die ultimative Antwort niemals geben wird.
Aber man kann recherchieren, sich annähern. Pfeifer grub sich ein, las viel, besuchte Originalschauplätze, sprach mit Beteiligten, die Täter und Opfer kannten, mit Rechtsmedizinern, Staatsanwalt und Ermittlern. Freilich gilt gerade die Welt der Polizeibeamten als diskret. Nicht alles wollen und dürfen sie preisgeben. Aber: „Wenn sie Vertrauen haben, erzählen sie auch mal ein bisschen mehr drumherum“, weiß Pfeifer aus langjähriger Erfahrung.
Seine Kontakte halfen, als er nach dem 2022 ausgestrahlten Film zusagte, ein True-Crime-Buch zu schreiben, bei dem es nochmal um Dovchin D. gehen sollte: den Frauenmörder aus Lindenau, der im Frühjahr 2016 die 43-jährige Portugiesin Maria D. in seiner Wohnung erwürgte, Monate später Anja B., eine 40 Jahre alte Mutter aus Leipzig.
Der Täter zerstückelte die Leichen. Überreste von Maria D. schmiss er in die Weiße Elster, wo sie im April entdeckt wurden. Körperteile von Anja B. fand man im Keller des Mietshauses, wo Dovchin D. wohnte, und im nahen, heute abgerissenen Apostelhaus. Der Mann, dem man über verdächtige Telefondaten auf die Spur kam und der erst nur als Zeuge galt, war sofort geständig, als die Kripo klingelte. Ohne nach einem Anwalt zu verlangen, sprudelte alles aus ihm heraus.
Spirale des sozialen Abstiegs
Als der Prozess begann, wollten viele den sehen, der zu solch einer Grausamkeit fähig ist – und erlebten ab Ende 2017 vor dem Landgericht Leipzig einen kleinen Mann, jungenhaft, unauffällig. Der Mongole war 1999 mit 20 Jahren in die Bundesrepublik gekommen. Hier hoffte er auf größere Chancen, beruflich und privat.

Was er aber erlebte, war eine schwierige Beziehung, deren einziger Lichtblick für Dovchin D. die geliebte kleine Tochter war, es gab Vorwürfe häuslicher Gewalt, schließlich die Trennung. Dazu ein gescheitertes Studium, zeitweise Arbeitslosigkeit, Spielsucht, eine Spirale des Abstiegs, mit der Endstation Trinkermilieu. Eine Welt, in die Dovchin D. gar nicht passte. Ein entglittenes Leben. Kann man da Mitleid haben? Bis zu einem Punkt empfand er dies schon, als er sich die Vita des Täters anschaute, und auch der bleibe ein Mensch, so Pfeifer.
Aber: Seine Verbrechen seien mit normalem Maßstab nicht greifbar, zumal die Meisten in schwieriger Lage trotzdem nie zum Täter werden. „Er konnte anders entscheiden. Das hat er nicht getan. Das ist der Punkt, wo man sagt: Das ist das Unerklärliche. Wie weit muss man Empathie und Gefühl ausschalten, um so etwas begehen zu können?“
Befriedigend erklären lässt sich das nie. Fest steht: Dovchin D. hat zwei Frauen getötet, unfassbares Leid verursacht und mit der Beseitigung der Körper noch danach die Opferwürde mit Füßen getreten, wie das Schwurgericht hervorhob.
Autor schrieb auch dem Täter ins Gefängnis
Der heute 46-Jährige sitzt lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld, was eine Haftentlassung nach 15 Jahren unwahrscheinlich macht. Für das Buch hätte Pfeifer gern mit ihm gesprochen. An Dovchin D. schrieb er ins Gefängnis, der zeigte erst Interesse, sagte dann ab. Auch sein Anwalt wollte sich nicht mehr äußern.

Dafür hatte Pfeifer schon beim Filmdreh in der Kneipenszene Menschen getroffen, die Mörder und Opfer kannten, viel über die banale Alltäglichkeit erfahren, darüber, wie sich Täter, Opfer und ihr Umfeld verhielten. Sein Buch würde diesen Geist atmen, sagt Pfeifer, der sich sämtliche Örtlichkeiten genau anschaute.
Außerdem standen ihm Ermittler der SoKo, Kriminaltechnik und Rechtsmedizin geduldig Rede und Antwort: Wer ist bei einer Obduktion dabei? Was wird besprochen? Wann werden Handschuhe übergestreift? Was ist der erste Schritt? Wie erfolgt eine Zeugenvorladung? Welche Farbe haben die polizeilichen Briefumschläge? Wo wird das Dienstauto nach einem Leichenfund geparkt? Wird sofort abgesperrt? Welche Rufzeichen gibt es?
Massenhafte Details, die für ein Buch unverzichtbar sind, um ein authentisches Bild im Kopf zu erzeugen. „Ich habe dabei wahnsinnig viel gelernt“, meint Pfeifer. Etwa sechs Monate hat er geschrieben, ohne Vorschuss. Erst bei Erreichen eines gewissen Absatzes verdient der 60-Jährige Geld mit dem Projekt. Ein Risiko, das der Wahl-Leipziger in Kauf nahm: „Ich wollte es ehrlich gesagt auch einfach mal ausprobieren.“
Täter, Ermittler und Fahndung stehen im Vordergrund
Dass Recherche an Grenzen stößt, gehört dazu. Es gab Personen, die ein Gespräch mit Pfeifer ablehnten oder zumindest nicht sichtbar werden wollten. Und auch über die getöteten Frauen, Maria D. und Anja B., hat Pfeifer im Buch bewusst nur verarbeitet, was als Fakt gesichert ist. Gerade über das erste Opfer ist wenig bekannt, und Pfeifer wollte weder Verstorbenen noch Hinterbliebenen etwas andichten.
Auch das ist ein Grund, warum Maria D. und Anja B. in „SoKo Brücke“ zwar eine Kontur haben, tatsächlich aber Täter, Ermittler und Fahndung im Vordergrund stehen, nicht die Frauen: „Weil man die auch schützen will“, betont Pfeifer. „Es hat nichts damit zu tun, dass man sie ignoriert.“
Ob ihm das Buchdebüt gelungen ist, muss die Leserschaft entscheiden. Die erste Resonanz auf der Buchmesse, so Jörg Pfeifer, sei jedenfalls schon mal positiv ausgefallen.
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