Der Fall zieht sich schier endlos durch die Jahre – und noch immer steht ein endgültiges Urteil aus: Ein sächsischer JVA-Beamter, der sich am brutalen Überfall von über 250 Hooligans und Neonazis auf den Stadtteil Connewitz am 11. Januar 2016 beteiligt haben soll, muss sich seit Donnerstag erneut wegen Landfriedensbruchs am Landgericht verantworten. Für den 39-Jährigen geht es vor allem um die berufliche Zukunft.

Der Fall Kersten H. beschäftigt Leipziger Gerichte nun schon seit Jahren. Doch Krankmeldungen, die Corona-Zeit und juristischer Hickhack führten dazu, dass er bis heute nicht zu den Akten gelegt ist. Fest steht: Kersten H., Justizbeamter im sächsischen Strafvollzug, wurde am 11. Januar 2016 von Einheiten der Bereitschaftspolizei in Leipzig-Connewitz eingekesselt und festgesetzt, gemeinsam mit mehr als 200 zumeist ortsunkundigen Angreifern.

Dieser brutale Angriff brannte sich tief ins Kollektivgedächtnis

Teile des Trupps hatten an jenem kalten Januarabend im linksalternativen Szenekiez von Connewitz auf der Suche nach „Zecken“ eine Schneise der Verwüstung angerichtet, während viele Bewohner in der City waren, um am ersten Jahrestag der Legida-Bewegung gegen die Rechtsextremen zu protestieren. Passanten wurden bedroht und eingeschüchtert, Autos und Geschäfte demoliert. Die bezifferbare Bilanz des orchestrierten Überfalls, der sich tief ins kollektive Gedächtnis gebrannt hat: etwa 113.000 Euro Sachschaden.

Auch die Personalien von H. wurden zwar aufgenommen. Dennoch fiel der JVA-Beamte zunächst durch das Behördenraster, konnte weiterhin seinen Dienst hinter Gittern versehen und bewachte sogar inhaftierte Neonazis auf seiner Station. Das änderte sich erst Anfang 2019, als H., drei Jahre nach dem Überfall, seine Vorladung zum Prozess erhielt, das Ermittlungsverfahren nicht mehr verschweigen konnte. Nun folgte die Suspendierung des Familienvaters.

Verteidigung wollte bisher Freispruch

In der Folgezeit fielen mehrere Verhandlungstermine vor Gericht aus. Im Januar 2020 meldete sich H. am Amtsgericht kurzfristig krank, was selbst sein Verteidiger offenbar nicht rechtzeitig erfuhr. Dann kam Corona. Mehr als zwei Jahre später lag ein Urteil der ersten Instanz vor: ein Jahr und drei Monate Haft auf Bewährung wegen schweren Landfriedensbruchs.

Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert, weil die Beweislage keinen Tatnachweis hergebe. Sie legte Rechtsmittel ein, ebenso wie die Staatsanwaltschaft. Für letztere war das Strafmaß zu milde und werde dem Unrechtsgehalt der Tat nicht ganz gerecht.

Nach der Berufung lautete das Strafmaß am Landgericht im Juni 2023 dann auf einem Jahr und fünf Monaten mit Bewährung. Kersten H. ging in Revision. Sein Rechtsanwalt Helmut-Hartwig Heuer machte Zweifel am Standort seines Mandanten während des Tatgeschehens geltend. In der Tat war Kersten H. auf keinem der vorliegenden Polizeivideos vom Tatabend klar zu identifizieren, zudem konnten ihm keine Gewalthandlungen nachgewiesen werden.

Neuer Prozess ursprünglich für Dezember geplant

Aber: Laut Rechtsprechung reicht es für einen Schuldspruch wegen Landfriedensbruchs aus, wenn man sich aus einem gewalttätigen Aufzug nicht entfernt und ihn dadurch in seinem Tun bestärkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kersten H. nach dem Überfall auf Connewitz quasi zufällig in die Fänge der Polizei geriet, wurde von am Einsatz beteiligten Beamten bei fast null verortet.

Die Revision am Oberlandesgericht Dresden kritisierte Mängel bei der Beweiswürdigung. Daher wurde der Fall an eine andere Kammer des Leipziger Landgerichts zurückverwiesen. Die Verhandlung sollte Anfang Dezember 2024 stattfinden, platzte jedoch wegen einer Krankmeldung.

Nun begann am Donnerstag der neue Anlauf. Kersten H. macht wie bisher von seinem Schweigerecht als Angeklagter Gebrauch: „Herr H. möchte sich nicht äußern“, so sein Anwalt Helmut-Hartwig Heuer. Für den heute 39-Jährigen steht weiterhin viel auf dem Spiel: Würde er zu über einem Jahr verurteilt, würde er seinen Beamtenstatus und Pensionsansprüche laut Gesetz verlieren. Die 12. Strafkammer unter dem Vorsitzenden Richter Berthold Pfuhl hat bisher einen weiteren Prozesstag geplant.

Unterdessen gelten die sogenannten Connewitz-Verfahren, auch für die Justiz ein gewaltiger Kraftakt, mit Stand Januar 2025 als weitgehend abgeschlossen.

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