Seit Freitag muss sich Ralf H. wegen des Vorwurfs der Untreue am Landgericht verantworten: Der 66-jährige Erbenermittler schob laut Anklage Bargeldsummen von insgesamt über einer Million Euro in die eigene Tasche, statt den Nachlass an Berechtigte auszuzahlen. Dirk Müller (57) ist einer von 29 Geschädigten, von denen die Staatsanwaltschaft ausgeht – und er brachte die mutmaßliche Betrugsmasche H.s mit seiner Frau an die Öffentlichkeit.
Alles begann für Dirk Müller mit einem ominösen Brief: Das Schriftstück vom Frühjahr 2021 teilte dem heute 57-Jährigen überraschend mit, dass er als potenzieller Miterbe einer Verstorbenen infrage käme. Dabei handelte es sich um eine entfernt verwandte Frau aus der Linie seines Vaters, der er aber nur einmal vor zig Jahren begegnet war, sagte Müller am Freitag als Zeuge im Landgericht aus. „Ich hätte mir auch nicht vorstellen können, dass man groß was erben kann“, meinte er mit Bezug auf die Verwandte, die 2018 starb.
Alles sah rechtmäßig aus
Doch offenbar hatte die Verstorbene, wie sich herausstellen sollte, keine direkten Erben, aber knapp 260.000 Euro auf der hohen Kante, von denen auch Dirk Müller ein Anteil zustehen solle. Er sei gleichwohl zunächst misstrauisch gewesen, meinte der Zeuge, zumal das Schreiben keine exklusive Information enthielt. Es waren lediglich allgemeine Daten, die man auch auf einem Friedhof oder öffentlichen Aushang hätte ablesen können, wenn man unlautere Absichten verfolgt.
Nach wenigen Wochen habe ihn ein Anruf erreicht, so Dirk Müller, in dem ein Firmenmitarbeiter ihm versicherte, dass das Unternehmen regulär mit der Erbensuche beauftragt worden sei. Dazu wurde eine Bescheinigung vorgelegt. Entsprechend gab Müller dann doch eine Vollmacht heraus, besprach telefonisch die Abläufe, Anfang März 2022 lag der Erbschein vor. Als im April die Bankverbindungen von ihm und den anderen Mitgliedern der Erbengemeinschaft übermittelt waren, schien alles geklärt: „Ich ging davon aus, dass innerhalb von Tagen das Geld erscheint.“
Nachfragen führten zu nichts
Nur: Genau dies geschah nicht. Nachfragen bei der Firma, die ihn kontaktiert hatte, führten ins Nichts oder er wurde von einem Mitarbeiter an den jetzt angeklagten Ralf H. weiterverwiesen, erinnerte sich Dirk Müller. Als die Nachlasspflegerin ihn im Mai 2022 informierte, dass die Sache für sie abgeschlossen sei, fiel der Geschädigte aus allen Wolken, schließlich hatte er von der Erbschaft noch keinen Cent gesehen. Äußerst ungewöhnlich: Etwa 257.000 Euro aus dem Erbe seien bereits in bar geflossen, das war die überraschende Information.

Nach einer „unruhigen Nacht“, wie er sagte, rief Dirk Müller beim jetzt Angeklagten an, sei von diesem hingehalten worden: Das Geld würde im Juni ausgezahlt, später war man beim September. „Das kam mir dann aber schon sehr Spanisch vor. Wir haben nicht verstanden, warum eine Auszahlung nicht sofort erfolgt.“ Zumal ja alle Unterlagen da waren, so der Zeuge.
Geschädigter wandte sich an TV-Redaktion
Er gab nicht klein bei, sondern nahm sich einen Anwalt, beschritt den zivilrechtlichen Weg, schaltete im Juli 2022 die Polizei ein. Bei seinen Recherchen zum Erbenermittler Ralf H. schwante ihm nichts Gutes: Schließlich war der Mann laut Behörden unter verschiedenen Firmen auch im Nicht-EU-Ausland gelistet, darunter den USA. „Da sind bei uns sämtliche Alarmglocken geläutet.“ Denn es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie schwer deutsche Ermittler an jemanden herankommen, wenn er sich einmal abgesetzt hat.
In der Hoffnung, dass schneller etwas geschieht, wandten sich Müller und seine Frau im Oktober 2022 an die Redaktion der TV-Sendung „Achtung Abzocke!“ (Kabel 1). Die Reporter zeigten Interesse an dem Fall, spürten Ralf H. im Frühjahr 2023 im Ausland auf, um ihn mit den Vorwürfen zu konfrontieren.
Geld wurde in diesem Fall doch noch ausgezahlt
Der heute 66-Jährige reichte schließlich einen kleineren Betrag an Müller aus, bot dann Ratenzahlung an. Dirk Müller lehnte ab. Erst nach einem zweiten TV-Beitrag lenkte Ralf H. ein und überwies den ausstehenden Anteil aus dem Erbe an den Zeugen. Das war durchaus nötig, schließlich hatten sich bei dem Geschädigten und seiner Frau schon Anwaltskosten und Verzugszinsen angestaut.
Immerhin: Müller kam durch massiven Druck schließlich an sein Erbe. Aber: „Wie ich erfahren habe, bin ich nur ein kleines Licht“, sagte der 57-Jährige am Freitag mit Blick auf 28 andere Opfer von Ralf H.s mutmaßlicher Masche, die in der Anklage gelistet sind. Den Prozess am Landgericht verfolgen Müller und seine Gattin mit großem Interesse. Letztere sagte gegenüber der LZ: „Wir hoffen auf eine Klärung und dass auch die anderen zu ihrem Geld kommen.“
Empfohlen auf LZ
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:
Keine Kommentare bisher