Er soll einen anderen Obdachlosen schwer misshandelt und kaltblütig mit einem Kabel erdrosselt haben. Aber das Verfahren gegen den Angeklagten, einen 25-jährigen Ukrainer, könnte noch schwierig werden: Der Anwalt des Mannes griff am zweiten Prozesstag im Landgericht ein Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit seines Mandanten scharf an und lehnte dessen Urheber wegen einer möglichen Befangenheit ab. Und dies blieb nicht das einzige Hindernis.

Mit einer gewissen Spannung war am heutigen Donnerstag abgewartet worden, ob sich Oleksandre T. zu den gravierenden Vorwürfen gegen ihn äußern will oder doch schweigend verteidigt: Laut Staatsanwaltschaft soll der 25 Jahre alte Ukrainer, wie bereits berichtet, einen anderen Mann brutal misshandelt, gefesselt und mit einem weißen Kabel erdrosselt haben. Reine Aggressionslust habe dazu geführt, dass das Opfer Maxim S. nur 43 Jahre alt wurde.

Der Vorfall spielte sich der Anklage zufolge am 23. April 2024 im Bereich eines Containers unweit vom Hauptbahnhof ab, einem Ort, der von obdachlosen Menschen als Schlaf- und Aufenthaltsort genutzt wurde. Auslöser sei gewesen, dass der später Getötete einen Landsmann des Angeklagten wegen seiner lauten Schnarcherei aus dem Container geschickt habe.

Ist der Angeklagte verhandlungsfähig?

Doch statt einem Einstieg in die Beweisaufnahme und damit die Sachaufklärung, was genau geschah, war am Donnerstag im Gerichtssaal zunächst ein Hickhack zwischen Richterbank und Verteidigung zu erleben. Jens Farag, der Anwalt des mutmaßlichen Mörders, beantragte zum wiederholten Mal, es möge darüber entschieden werden, ob sein Mandant überhaupt in der Lage ist, der Gerichtsverhandlung über längere Zeit zu folgen.

Oleksandre T. habe neben Schmerzen auch psychische Beeinträchtigungen, unter anderem gäbe es bei ihm einen bisher unberücksichtigten ADHS-Verdacht. Zudem sei seine Konzentrationsfähigkeit beispielsweise durch in der Haft verabreichte Medikamente beeinträchtigt. Eine qualifizierte, neutrale und umfassende Diagnostik durch einen Amtsarzt sei auch laut dem Gefängnispsychologen unverzichtbar, so der Verteidiger, um zumindest über eine mögliche Verkürzung der täglichen Verhandlungsdauer zu entscheiden.

Die Kammer lehnte den Antrag nach einer kurzen Beratung ab und verwies zur Begründung darauf, dass der forensische Psychiater Dr. Matthias Lammel dem Angeklagten nach dem ersten Antrag der Verteidigung vor Kurzem bereits attestiert habe, dem Prozess folgen zu können.

Nicht objektiv und mangelhaft: Verteidigung übt scharfe Kritik an Gutachten

Dr. Lammel selbst, der bereits in vielen Strafprozessen Gutachten beisteuerte und unter Leipziger Juristen bestens bekannt ist, war persönlich im Gerichtssaal anwesend und bekam daraufhin einen scharfen Frontalangriff des Verteidigers zu hören, der sich der Entscheidung des Gerichts offenbar nicht ohne Weiteres fügen wollte. Man habe „erhebliche Zweifel hinsichtlich der Werthaftigkeit und Brauchbarkeit des vorläufigen Gutachtens des Herrn Dr. Lammel“, so der Vorwurf von Rechtsanwalt Farag.

Obwohl sein junger Klient schwerwiegende körperliche und psychologische Schäden aufweise und an Schmerzen leide, zeige das Gutachten keine Bereitschaft, diese Probleme anzuerkennen und einer neutralen Einschätzung zu unterziehen. Weder sei die aktuelle Medikamenten-Vergabe von Oleksandre T. vollständig aufgeschlüsselt noch hinsichtlich ihrer Folgen untersucht, eine Verdachtsdiagnose werde gar nicht erst erwähnt.

Dies deute nicht nur auf einen handwerklichen Fehler, sondern eine Voreingenommenheit des Gutachters hin. Befunde würden zum Teil ignoriert, reale Beschwerden des Angeklagten als Ausdruck von Suchtproblemen und überhöhtem Aufmerksamkeitsbedürfnis abgestempelt. Da die vorläufige Einschätzung von Oleksandre T. durch Dr. Lammel nicht neutral, oberflächlich und lückenhaft sei, müsse seine Befangenheit angenommen und der Gutachter entbunden werden, um ihn durch einen neuen zu ersetzen, so die Forderung. Noch für Donnerstag wurde ein Beschluss dazu erwartet.

Zeugen bleiben trotz Vorladung fern

Es blieb allerdings nicht die einzige Schwierigkeit am zweiten Verhandlungstag: Bis zur Mittagspause waren auch mehrere Zeugen nicht erschienen. Dabei handelt es sich um Personen aus dem Obdachlosenmilieu, die den Container ebenfalls genutzt hatten. Immerhin soll Oleksandre T. laut Anklageschrift Umstehende mit der Drohung, ihnen könne das Gleiche geschehen, weggeschickt haben, ehe er das Kabel um den Hals seines wehrlosen Opfers zuzog.

Für die Behörden aber sind diese potenziellen Zeugen ohne Meldeanschrift oft schwer greifbar. Zumindest einige wurden dem Vernehmen nach vorab ausfindig gemacht und geladen. Ob und wann sie tatsächlich kommen oder von Polizeibeamten zwangsweise vorgeführt werden, um auszusagen, blieb zunächst offen.

Oleksandre T. selbst folgte dem zweiten Prozesstag äußerlich ruhig, schüttelte nur mehrfach den Kopf und vergrub die Hände in seinem Gesicht. Laut Strafkammer ist im Falle eines Schuldspruchs sogar eine Sicherungsverwahrung nicht ausgeschlossen. Durch die Leipziger JVA, wo er in Untersuchungshaft sitzt, wird der 25-Jährige aktuell als Risiko-Insasse eingeschätzt.

Im Gericht muss er zusätzlich Fußfesseln tragen und wird durch drei statt zwei Beamte bewacht. Ob er sich im Prozessverlauf noch persönlich erklären wird, ist derzeit unklar. Sein Anwalt wollte sich dazu auf Anfrage nicht äußern.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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