Drei Niederländer und eine Deutsche müssen sich derzeit am Landgericht Leipzig verantworten: Sie sollen bundesweit unter anderem Tausende Nachrichten mit Phishing-Links versandt und sich als falsche Bankmitarbeiter viel Geld erschwindelt haben. Am zweiten Verhandlungstag packte nun die einzige Frau des angeklagten Quartetts aus. Die 20-Jährige beschrieb, wie professionell die üble Betrugsmasche offenbar aufgezogen war.
Laptops, Telefone, Einarbeitung, klare Ansagen, wie man Menschen effektiv unter Druck setzt: Laut der Angeklagten Chaymae B. gingen die Täter routiniert vor, um per Betrug an das Geld ahnungsloser Opfer in Deutschland zu gelangen. Die 20-Jährige schilderte am Donnerstag, wie sie ihre mutmaßlichen Komplizen traf und so laut Ermittlern für kurze Zeit Teil einer Bandenstruktur war, ehe die Polizei zugriff.
Wie zum Prozessauftakt beschrieben, wirft die Leipziger Staatsanwaltschaft den vier Angeklagten vielfachen banden- und gewerbsmäßigen Betrug vor. Demnach sollen sie hauptsächlich SMS-Nachrichten versandt haben, in denen Bankkunden aufgefordert wurden, persönliche Daten einzutippen, da ihre Sicherheits-App ablaufe. Kurz darauf wurden sie laut Anklage angerufen und unter dem Deckmantel der App-Aktivierung zur Freigabe von Überweisungen veranlasst. Der Schaden soll mit Rückbuchungen und nicht ausgeführten Überweisungen bei mehr als 171.600 Euro liegen.
Angeklagte: Mich reizte die Aussicht auf viel Geld
Wie es genau ablief, erlebte Chaymae B. hautnah: Den mitangeklagten Niederländer Richneldrick C. (25) habe sie 2022 im Urlaub kennengelernt, später wiedergetroffen. Sein Arbeitsangebot nahm sie dankbar an, zumal sie weder zur Schule ging noch einen regulären Beruf gehabt habe.
Am 21. Januar 2024 reiste sie junge Frau laut Behördenkenntnis erstmals nach Den Haag, dort sei sie von ihrem Bekannten abgeholt worden und mit ihm zu einem Haus bei Rotterdam gefahren – ihrem neuen „Arbeitsplatz.“ Richneldrick C. habe ihr ausführlich erklärt, was sie zu tun habe.
„War Ihnen klar, was Sie da machen?“, fragte der Vorsitzende Richter Bernd Gicklhorn die Angeklagte am Donnerstag. „Als ich da war, wusste ich, dass das nicht so ganz richtig ist“, gab sie kleinlaut zu. Trotzdem habe sie die Aussicht auf viel Geld gelockt, das ihr vorher in dem Maß nicht zur Verfügung stand: „Ich wollte einfach mehr haben, als ich hatte.“
Massiver Druck auf Betrugsopfer
Um das zu erreichen, habe sie alle Weisungen befolgt. Nacheinander lernte sie auch die zwei anderen Angeklagten Damien A. (31) und Sjakiel B. (23) kennen, die gelegentlich vor Ort waren. Die Verständigung mit den drei Niederländern sei auf Englisch mit deutschen Brocken erfolgt. Sobald persönliche Daten aus einer gefälschten Bank-App vorlagen, habe sie die Personen in Deutschland am Telefon kontaktiert und als angebliche Bankmitarbeiterin dazu gebracht, auf die App zu klicken. In Wahrheit erfolgte eine Überweisung von Geldbeträgen.
Von einem unbekannten „Kollegen“, der ihr nur unter dem Tarnnamen „Hoffmann“ bekannt sei, konnte sie sich Gesprächstechniken abschauen, mit denen Skeptiker telefonisch unter Druck gesetzt wurden, sagte Chaymae B.: So sei etwa massiv auf Leute eingeredet worden, sodass ihnen oft die Kraft fehlte, weiter gegenzuhalten oder auch nur leise Zweifel anzumelden. „Hoffmann“ habe ein überzeugendes Auftreten gehabt: „Ich denke, wenn er mich angerufen hätte, hätte ich ihm das abgekauft.“
Während ihrer „Einarbeitungsphase“ in Rotterdam habe sie ihr Bekannter Richneldrick C. oft beäugt, das Gespräch mitgehört und sie den Apparat in kritischen Augenblicken auf stumm stellen lassen, sagte Chaymae B.: So konnte er sie demnach instruieren, was sie als Nächstes sagt, ohne dass die Opfer am anderen Ende der Leitung etwas mitbekamen, erinnerte sich die 20-Jährige.
Gruppe flog auf und wurde in Bremen gefasst
Letztlich habe sie mit kurzer Unterbrechung zwei „Arbeitswochen“ in den Niederlanden verbracht und dann von ihrem Heimatort in Deutschland aus operiert, wobei die Mittäter A. und C. Weisungen via Messenger herausgaben. Insgesamt habe sie etwa 700 Euro Beuteanteil kassiert.
Was keiner der mutmaßlichen Täter ahnte: Nach einem Betrug gegen einen Leipziger, der am 17. Januar 2024 eine SMS erhalten und 1.935 Euro vermeintlich als Nothilfe für seine Tochter auf ein Fremdkonto geschickt hatte, waren intensive Ermittlungen der hiesigen Kripo und Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt worden. Fahnder orteten das Quartett in Deutschland.
Am Nachmittag des 6. Februar stürmten Polizeikräfte eine Bremer Wohnung und nahmen die Angeklagten fest. Noch kurz zuvor sollen am selben Tag innerhalb von drei Stunden 2.300 SMS mit gefälschten Links verschickt worden sein.
Geständnisse und Entschädigungen: Kammer bietet Angeklagten Deal an
Die Strafkammer stellte der 20-jährigen Chaymae B. am Donnerstag in Aussicht, eventuell mit einer Bewährungsstrafe nach Jugendstrafrecht plus Arbeitsauflage davonzukommen.
Den mitangeklagten Männern, die derzeit in U-Haft sitzen, wurde für ein glaubhaftes Geständnis vom Gericht ebenfalls ein maximaler Strafrahmen angekündigt: vier Jahre und drei Monate für Richneldrick C., drei Jahre und neun Monate für Damien A., drei Jahre und sechs Monate für Sjakiel B. Letzterem wirft die Anklage zusätzlich vor, dass er sich Geschädigten gegenüber als deren Kind in einer Notlage ausgegeben und so fast 7.500 Euro kassiert habe.
Die Strafen könnten sich noch verringern, sofern die Angeklagten eine finanzielle Entschädigung leisteten, sagte der Vorsitzende Richter Bernd Gicklhorn. Nach Angaben ihrer Verteidigung seien die Männer bereit, den Deal anzunehmen und auszusagen. Auch Staatsanwältin Sibylle Zwanzger stimmte trotz Bedenken, da der mögliche Strafrabatt im Verhältnis zum finanziellen Schaden sehr groß sei, letztlich zu. Prozesstermine sind aktuell bis 4. April 2025 angesetzt.
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