Es sind Vorwürfe, die schlicht sprachlos machen: Ein heute 38-Jähriger soll vor fast sechs Jahren eine minderjährige WGT-Bekanntschaft über Tage hinweg bei sich zu Hause aufgenommen, das Mädchen dann mehrfach vergewaltigt und schwer misshandelt haben. Dienstagmorgen begann der zum zweiten Mal der Prozess vor dem Landgericht Leipzig.
Die Vorfälle, welche Staatsanwältin Linda Ullmann in ihrer Anklageschrift gegen Marc F. (38, Name geändert) beschrieb, sollen bereits Ende 2018 stattgefunden haben. Demnach habe der Leipziger die damals gerade einmal 15-jährige Sina G. (Name geändert) auf dem Wave Gotik Treffen im Mai 2018 kennengelernt und mit der Teenagerin eine sexuelle Beziehung begonnen.
Gegenüber dem seinerzeit 32-Jährigen habe sich das Mädchen unterwürfig verhalten, während er seine Dominanz ausgelebt haben soll. Dabei sei es Marc F. darum gegangen, Sina G. im Rahmen eines von ihm selbst geschaffenen Systems von „Strafpunkten“ nach seinem Gusto für „Fehler“ zu maßregeln.
Anklageschrift beschreibt brutale Übergriffe in Wohnung
Von Ende November bis Anfang Dezember 2018 habe Sina, die offenbar Angst vor einer Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie hatte, denn auch in der Wohnung von Marc F. in Leipzig-Schönau gelebt, in totaler Abhängigkeit und ohne Kontakt zum Elternhaus, wofür Marc F. extra die Akkus ihres Mobiltelefons an sich genommen hätte. Im Dezember 2018 soll es zu einer Vergewaltigung gekommen sein, vorgeblich als Strafe, nachdem beide eine Band bei einem Konzert verpasst hatten. Anschließend habe Marc F. die Minderjährige geschlagen.
Der Schmerz und das erkennbare Leid von Sina kümmerten Marc F. bei seinen mutmaßlichen Taten laut Anklage nicht, auch nicht bei einem weiteren brutalen Übergriff zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt, von dem die Staatsanwaltschaft ausgeht. Hier sollen Alkohol und unter anderem eine Peitsche im Spiel gewesen sein.
Ein szenetypisches Codewort, das im Notfall als klares Stoppsignal hätte dienen können, habe es zu keiner Zeit gegeben, erklärte die Staatsanwältin. Marc F. habe gezielt einen Zustand herbeigeführt, in dem Sina G. faktisch nicht zur Willensbildung und -äußerung in der Lage war. Die Minderjährige trug bei dieser Tat den Ermittlungen nach eine posttraumatische Belastungsstörung davon.
Verdächtiger schweigt und möchte als „Die Angeklagte“ tituliert werden
Marc F., der aktuell auf freiem Fuß ist, erschien am Dienstagmorgen auffällig gekleidet und mit einigen Minuten Verspätung zu seinem Prozess. Die Androhung des Vorsitzenden Richters Bernd Gicklhorn, im Wiederholungsfall einen Sitzungshaftbefehl zu erlassen, quittierte der Angeklagte mit den Worten: „Sie können doch nicht bestimmen, wann wir eine Panikattacke haben.“
Schon vor über einem Jahr war erklärt worden, dass Marc F. eine sogenannte Agoraphobie hätte, eine Angststörung vor der Außenwelt. Damals hätte der Prozess endlich starten sollen, nachdem das mutmaßliche Opfer sich erst 2020 offenbart hatte und die Ermittlungen kompliziert waren. Doch Marc F. tauchte 2023 zunächst nicht zu seinem Gerichtstermin auf. Kurz danach wurde das Verfahren wegen eines Glaubwürdigkeitsgutachtens in Bezug auf die heute 22-jährige Belastungszeugin ausgesetzt.
Zu den massiven Vorwürfen der Anklage werde sich sein Mandant nicht äußern, erklärte Verteidiger Stefan Costabel am Dienstag. Allerdings machte Marc F. überraschend deutlich, dass er als „die Angeklagte“ angeredet werden wolle, woraufhin die Anklagevertreterin die Formulierung „die angeklagte Person“ nutzte. Im Ermittlungsverfahren spielte die Frage der Geschlechtsidentität von Marc F. bisher aber offenbar keine Rolle.
Gericht schließt Öffentlichkeit vom Prozess aus
Nach einem Rechtsgespräch wurde am Dienstag zudem auf Antrag der Verteidigung festgelegt, dass der weitere Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden wird. Da die Verhandlung zwangsläufig persönlichste und intimste Details aus dem Privatleben von Marc F. sowie Sina G. aufgreift, dürfte nach Auffassung der Strafkammer der Schutz von Persönlichkeitsrechten Vorrang haben, denen gegenüber das Interesse der Öffentlichkeit zurücktreten muss.
Bisher sind vor einer möglichen Urteilsverkündung zwei weitere Verhandlungstermine bis 27. August anberaumt worden.
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