Er erlebte eine nie gekannte Demütigung, er wollte Daniel bestrafen, sagt der Angeklagte: Mehr als ein Jahr nach dem Fund eines getöteten jungen Mannes im alten Kornspeicher am Lindenauer Hafen verhandelt das Landgericht seit Ende Mai gegen seinen mutmaßlichen Mörder. Der 20-Jährige aus dem Bekanntenkreis des Opfers verwarf am Mittwoch Details des alten Geständnisses, um sich jetzt faktisch noch mehr zu belasten.
Seine Wut habe keine Grenzen mehr gekannt: Auf den ersten Blick erzählte Kevin R. (20) am Mittwoch im Landgericht wenig Überraschendes – schließlich hatte er bereits zum Prozessauftakt Ende Mai über seine Verteidigung gestanden, dass er seinen Bekannten Daniel P. (25) am Abend des 28. Juni 2023 in einen ehemaligen Kornspeicher am Lindenauer Hafen gelockt hatte. Dort sei der junge Vater eines Kindes gefesselt, geknebelt und oberkörperfrei in ein drei Meter tiefes Wasserbecken gefallen und qualvoll erstickt, so die Ermittlungsbehörden.
Streit um 6.000-Euro-Darlehen
Die gehen davon aus, dass Daniel P. an jenem Frühsommerabend mit der falschen Aussicht auf ein erotisches Abenteuer an den abgelegenen Ort im Westen Leipzigs gelockt und aus Habgier grausam getötet worden war. Doch was geschah genau? Gab es eine Auseinandersetzung? War die Tat von vornherein eiskalt geplant worden oder eskalierte die Situation vor Ort spontan? All diese Fragen sind wichtig, um ein gerichtsfestes Urteil zu finden.
Kleinlaut, unsicher und fast schüchtern saß der Mordverdächtige Kevin R. am Mittwoch im Landgericht neben seinem Anwalt Dr. Malte Heise. Dieser verlas zunächst eine Erklärung, die nochmals bestätigte, dass sich die jungen Männer um ein Darlehen von 6.000 Euro gestritten hätten. Diese Geldsumme habe das spätere Tatopfer dem Angeklagten zugesagt, weil der sich unbedingt ein Moped kaufen wolle, auch einen entsprechenden Vertrag aufgesetzt.
Beide kannten sich erst seit Mai 2023, und folgt man der Darstellung von Kevin R., so habe er zunächst das schöne Gefühl gehabt, eine dauerhafte Freundschaft mit Daniel P. aufbauen zu können.
Traum vom eigenen Moped als Druckmittel?
Doch das Verhältnis zu dem Sachsen-Anhaltiner, der vor einigen Jahren nach Leipzig gezogen war, soll schnell toxisch geworden sein. Zumal der Mittzwanziger laut übereinstimmender Zeugenaussagen extrem sprunghaft und unzuverlässig war, sein Umfeld ständig belog, um sich Vorteile zu verschaffen.
Auch die angebliche Familien-Erbschaft, aus der Daniel P. das Darlehen gewähren wollte, gab es schlicht nie. Zugleich habe der bisexuelle Mann mit dem jüngeren Kevin R. viermal einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt, obwohl der sich tendenziell eher zu Frauen hingezogen fühle und vorher nie etwas mit einem Mann gehabt habe.
Als nach langem Hinhalten herauskam, dass weder ein Sparkassen-Schließfach noch ein Termin zur Geldauszahlung existierten, der Traum vom Moped mithin geplatzt war, habe er sich sexuell ausgenutzt und betrogen gefühlt, sagte Kevin R. aus. In einem Schnellrestaurant, wo er ihn wegen seiner Lüge zur Rede stellen wollte, traf er Daniel P. im Juni 2023 nicht mehr an, weil er seinen Job längst geschmissen hatte: „Da kannte meine Wut keine Grenzen mehr.“
Angeklagter verwirft Einzelheiten aus erstem Geständnis
Am Tatabend hätten sich beide bei den Höfen am Brühl getroffen, seien in seinem Auto zu den Ruinen am Lindenauer Hafen gefahren, so der Angeklagte. Im alten Kornspeicher habe er Daniel P. aufgefordert, sich sein Hemd auszuziehen. Hernach habe er ihm die Hände gefesselt sowie ihn mit Sockenknäuel und Klebeband geknebelt, Teelichter auf seinem Rücken ausgeschüttet, gestand Kevin R. am Mittwoch. Als er die Erektion von Daniel P. mitbekam, sei er dann „so richtig wütend“ geworden.
Von vorangegangenen Hilfeschreien des Opfers, die er in seinem ersten Geständnis erwähnt hatte, war am Mittwoch keine Rede mehr, obgleich Kevin R. bemerkte: „Ich habe gemerkt, dass er Angst hat.“ Auch habe er ihm, anders als zunächst behauptet, kein Bein gestellt, sondern den gefesselten Mann zum Beckenrand geführt und gezielt in die Tiefe gestoßen: „Ich habe ihn mit beiden Händen am Rücken geschubst, sodass er da reingefallen ist.“
Für die Strafkammer schien es unvorstellbar, dass sich Daniel P. „wie Vieh zur Schlachtbank“ einfach Richtung Wasserschacht habe führen lassen: „Dachte er, dass er dort ein Fußbad nimmt?“, fragte der Vorsitzende Richter Bernd Gicklhorn den Angeklagten spitz. Der blieb jedoch bei seiner Darstellung, wonach es bei Daniel P. keinerlei Gegenwehr gab, nur undefinierbare Geräusche. Und warum jetzt die abweichende Version des Geschehens? „Weil ich Zeit brauchte“, so Kevin R. Er habe sich lange nicht mit den Dingen auseinandersetzen wollen und daher gelogen. Nach der dem Verbrechen sei er panisch vom Tatort geflüchtet.
Staatsanwaltschaft nimmt brutalen Mord aus Habgier an
Mit den neuen Details in seinem Geständnis könnte Kevin R. der Staatsanwaltschaft freilich in die Hände gespielt haben. Die nimmt an, dass Daniel P. heimtückisch, aus Habgier und zur Ermöglichung einer weiteren Straftat getötet wurde – gleich drei Mordmerkmale.
Demnach soll der mutmaßliche Täter den hilflosen Mann einfach zurückgelassen, dessen EC-Karte an sich genommen und knapp zwei Wochen später das Konto seines Bekannten um 550 Euro erleichtert haben. Zudem habe er zur Spurenbeseitigung die Lederjacke und andere Gegenstände im Auwald verbrannt. Schließlich soll er noch eine andere Person der Tat bezichtigt haben, nachdem die Leiche von Daniel P. aufgefunden worden war und die Kripo aktiv wurde.
Derzeit sind weitere Verhandlungstage bis 7. Oktober geplant. Dem Vernehmen nach könnte das Gericht aber schon früher sein Urteil fällen.
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