Immer wieder gab es Stunk. Hausbewohner nahmen ihn wahr – durch die hellhörigen Wände des Eutritzscher Mehrfamilienhauses oder den Lüftungsschacht. Ende November 2022 schließlich war Christian G. (38) nach einem Fußballabend tot – sein Nachbar David P., den ein wechselhaftes Verhältnis zum Opfer verband, soll den Mann so schwer verletzt haben, dass er verstarb. Vor dem Landgericht sagte am Mittwoch unter anderem der zuständige Kripo-Ermittlungsführer als Zeuge aus.

Kollegen riefen den Kriminalhauptkommissar am Nachmittag des 28. November 2022 zu einem Mehrfamilienhaus in der Delitzscher Straße. An jenem Montag im Spätherbst war ein Mann, nur leicht bekleidet, leblos auf dem Fußboden seiner Wohnung im vierten Stock entdeckt worden, der Hausmeister hatte den Notruf gewählt. Vor Ort trafen die Beamten auch auf den aufgeregten David P., der die Wohnung nach eigenen Angaben betreten und den Inhaber gefunden hatte. Zuvor habe er sich Sorgen um seinen Bekannten gemacht, so stellte er es jedenfalls dar.

Nun sitzt der 33-Jährige wegen Totschlags auf der Anklagebank im Leipziger Landgericht, weil er selbst seinen Nachbarn durch Prügel und mindestens einen Fußtritt gegen den Kopf getötet haben soll, im Streit.

Chatnachrichten als Seismograf des permanenten Auf und Ab

Streit gab es zwischen beiden Männern ständig, soviel fanden die Ermittler durch die Befragung von Nachbarn schnell heraus. Lautes Schimpfen, Klopfgeräusche oder Schreie durch einen Lüftungsschacht: War diese Soundkulisse zu vernehmen, wusste man, dass es zwischen David P. und Christian G. mal wieder hoch herging.

Die beiden Nachbarn – Christian G. lebte in Etage vier, David P. zwei Stockwerke höher – verband eine längere und wechselhafte Bekanntschaft, in der man weder mit noch ohne den anderen auf Dauer klarzukommen schien. Viel Alkohol wurde gemeinsam getrunken, wohl auch Drogen konsumiert, oft in den Tag hinein gelebt, sich geprügelt.

Chatnachrichten, die Ermittler sichern konnten, scheinen das Auf-und-Ab-Verhältnis der beiden Männer wie ein mikoskopischer Seismograf zu spiegeln. So meldete sich Christian G. bereits Ende August 2021 aus dem Krankenhaus bei seinem jetzt angeklagten Nachbarn mit Bildern von Hämatomen, nachdem er ihn damals heftig verprügelt haben soll. David P. reagierte beschwichtigend und mit Entschuldigungen, auf die dann auch wieder Pöbelei und eine halbwegs normale Konversation im Wechsel folgten.

Für die mit dem Fall befassten Polizeibeamten war es unmöglich, eine klare Linie in der Beziehung der Männer herauszulesen: „Da war eine sehr, sehr starke Sprunghaftigkeit“, sagte der leitende Kripo-Ermittler am Mittwoch im Gericht aus.

Angeklagter sagte widersprüchlich aus und geriet unter Verdacht

Dass der Angeklagte, der den Ermittlern am 28. November 2022 bereitwillig Rede und Antwort stand, dann schnell vom Zeugen zum Beschuldigten wurde, war nicht zuletzt dem widersprüchlichen Aussageverhalten des zweifachen Vaters geschuldet. So schilderte der 33-Jährige, der mal eine Maler- und Lackiererlehre begonnen hatte, dass man sich am Sonntagnachmittag nach gemeinsamem Alkoholkonsum am Hauptbahnhof im Streit getrennt hatte. Offenbar eine Falschaussage.

Zum Prozessauftakt hieß es dann, man habe gemeinsam das Vorrundenspiel der damaligen WM gucken wollen, Deutschland gegen Spanien. Weil im Wohn- und Schlafzimmer von Christian G. kein Strom verfügbar war, legten die beiden Männer demnach kurzerhand eine lange Leitung zum Bad, um den Fernseher zu aktivieren.

Irgendwann sei eine körperliche Auseinandersetzung entstanden, bei der das Opfer auch geschlagen wurde – so hatte es der Verdächtige am ersten Prozesstag eingeräumt. Christian G. will er dann aber erst am Folgetag ohne Lebenszeichen in seiner Wohnung entdeckt haben, so David P., der einen Tritt gegen den Kopf des Verstorbenen bestritten hat. Das Verletzungsbild beim Toten sagte etwas anderes.

Dritten gegenüber soll der Verdächtige mögliches Täterwissen erwähnt haben. Das deckte sich mit der Erinnerung eines Hausbewohners, der auch am Abend laut Protokoll Streitgeräusche wahrnahm. Die Staatsanwaltschaft geht entsprechend davon aus, dass David P. den Geschädigten am 27. November 2022 in dessen Wohnung zwischen 17.30 Uhr und 19.30 Uhr brutal zu Boden schlug und auf ihn eintrat.

Opfer Christian G. verstarb mit nur 38 Jahren durch einen Bruch des Schädeldachs und eine raumfordernde Einblutung, hinterlässt eine Tochter.

Urteil voraussichtlich demnächst

Lichtbilder, welche die Strafkammer am Mittwoch inspizierte, zeigen, in welch stark spartanischem und verwahrlosten Zustand sich die Wohnung des mutmaßlichen Täters befand. Badezimmer und Toilette waren völlig verdreckt, an vielen Stellen sammelte sich der Müll, als Ermittler die Wohnung des Tatverdächtigen in Augenschein nahmen.

David P. war durch die gründliche Ermittlungsarbeit und die aufgedeckten Widersprüche längst im Visier der Behörden: So wurden unter anderem Handydaten gesichert und Bilder von Überwachungskameras am Hauptbahnhof von der ansässigen Bundespolizei angefordert, wo David P. am Tag zuvor mit dem Opfer noch unterwegs gewesen sein will.

Der 33-Jährige sitzt aktuell in Untersuchungshaft ein, könnte laut Gericht im Fall einer Verurteilung wegen Totschlags mit Blick auf sein Alkoholproblem auch in eine Entziehungsanstalt geschickt werden. Zunächst waren Prozesstermine bis 30. August geplant, womöglich endet das Verfahren aber früher.

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