Am Ende war es für das Gericht weniger wild als zum Teil in der Medienlandschaft dargestellt: Fast anderthalb Jahre nach der Entführung eines jungen Mannes aus einem Wohnkomplex in Probstheida wurden fünf Angeklagte heute durch das Landgericht zu Bewährungsstrafen verurteilt. Trotz der Schwere der Tat erkannten die Richter einige mildernde Umstände an, nicht zuletzt den massiven Betrug durch das Tatopfer, dem die syrische Familie aufgesessen war.
Nach Ansicht der Kammer war es ein „eher atypischer Fall von Selbstjustiz“, ausgelöst durch einen Betrug, wie er ihr noch nicht untergekommen sei: Fünf Männer zwischen 20 und 48 Jahren wurden am Donnerstag der Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung bzw. Beihilfe hierzu schuldig gesprochen.
Der monatelange Prozess vor dem Landgericht endete mit Freiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren für vier der Verdächtigen, ein 26-Jähriger erhielt wegen Beihilfe sechs Monate. Alle Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt.
Falscher Zaubertrick führte zu einem der schrägsten Fälle der Leipziger Kriminalgeschichte
Aus Sicht der 3. Strafkammer hatte die monatelange Beweisaufnahme bestätigt, dass sich Mitglieder der Magdeburger Familie M. kurzerhand entschlossen, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen, nachdem sie 15.000 Euro Erspartes an einen dubiosen Schwindler verloren hatten. Der Kameruner Lionel N. (30) aus Leipzig hatte es demnach Anfang 2023 mit eindrucksvollen Demonstrationen geschafft, von seiner vermeintlichen Fähigkeit zur wundersamen Vermehrung von Banknoten mithilfe chemischer Substanzen zu überzeugen. Behörden warnen eindringlich vor der als „Wash-Wash“ bekannten Masche.
Daraufhin soll der heute 23-jährige Muhammad M. dem Betrüger die vielen Scheine im Auftrag seines Vaters Jamal M. ausgehändigt haben. Doch zur vereinbarten Übergabe des vervielfachten Bargelds in einem Magdeburger Hotel am 10. Januar 2023 warteten die M.s vergeblich. Weil Muhammad M. mit einem Rest gesunder Skepsis aber heimlich den Ausweis von Lionel N. abfotografiert hatte, war der Familie dessen Leipziger Anschrift in Probstheida bekannt.
Filmreife Entführung mit Schüssen in der Dunkelheit
Noch am Abend des 10. Januar fuhren vermummte Personen nach Polizeikenntnissen am Wohnblock in der „Langen Lene“ vor, brachten den ahnungslosen Lionel N. in ihre Gewalt und fuhren den gefesselten Mann per Audi nach Magdeburg. Zuvor hinderten sie durch Schüsse mit einer Schreckschusswaffe potenzielle Zeugen, die die Hilfeschreie des Opfers mitbekamen, an einem Einschreiten.
Zwei Tage später hätten sich die Täter entschlossen, mit Lionel N. in dessen Leipziger Wohnung zurückzufahren, in der Hoffnung, das verlorene Geld dort aufzufinden. Ein Versuch, ihr Erspartes über einen in Frankreich lebenden Onkel des Kameruners zurückzuholen, sei zuvor gescheitert, weil der Verwandte nicht erreichbar war. Spezialkräfte der eingeschalteten Polizei, die das Haus observierten, nahmen einen der Kidnapper bei der Ankunft in Leipzig am Abend des 12. Januar 2023 fest und befreiten den durch Schläge lädierten Lionel N. aus der Hand seiner Entführer.
Zwei zentrale Vorwürfe fallengelassen
Im Verlauf des Prozesses hatten Familienvater Jamal M. (48), dessen Söhne (20 und 23) sowie zwei weitere Angeklagte (26, 34) Geständnisse zum äußeren Tatablauf abgelegt. Letztlich waren es diese Einlassungen sowie die Erkenntnisse durch den ausgewerteten Chatverlauf, die auch für das Gericht keine Zweifel am Ablauf ließen. Die ungewöhnlichen Umstände im Vorfeld der Tat waren ein Grund für eine deutliche Strafmilderung, zumal die Angeklagten keine oder nur geringfügige Vorstrafen aufwiesen.
Man habe wohl aus Ehrschutzgründen nicht zur Polizei gehen und sagen wollen, für wie dumm man sich habe verkaufen lassen, sagte der Kammervorsitzende Bernd Gicklhorn, der auch anerkannte, dass die Syrer vom „Opfer in schamlosester Weise um Bargeld gebracht“ worden waren. Dem jüngsten Angeklagten, der nach dem milderen Jugendstrafrecht verurteilt wurde, billigte die Kammer zudem zu, dass er sich seinem Vater in besonderer Weise verpflichtet gefühlt habe und sich beweisen wollte.
Zwei der ursprünglich angeklagten Straftatbestände ließen sich für das Gericht am Ende nicht aufrechterhalten: Ein erpresserischer Menschenraub käme nicht in Betracht, weil die Entführer nur das Geld zurückverlangt hätten, was ihnen ohnehin zustand. Für eine Geiselnahme wiederum habe es an der Dauer des Kidnappings gefehlt, auch habe das Entführungsopfer gegenüber der Polizei und der Ermittlungsrichterin keine Todesangst geschildert oder eine Traumatisierung geltend gemacht.
Vor Gericht hatte sich Lionel N., gegen den wegen Betrugs ermittelt wird, auf sein Recht zur Aussageverweigerung berufen, da er sich nicht selbst belasten muss.
Vorsitzender: Selbstjustiz wird nicht geduldet
Die anhaltende Freiheitsberaubung und die mittlerweile geheilten Verletzungen des Geschädigten fielen nichtsdestoweniger strafverschärfend ins Gewicht, so die Urteilsbegründung. Überhaupt, stellte der Kammervorsitzende klar, sei jegliche Selbstjustiz auf keinen Fall zu tolerieren. Die Bewährungsstrafen für die Angeklagten, die kürzlich nach 16-monatiger Untersuchungshaft freigekommen waren, wurden zum Teil mit Arbeitsauflagen versehen.
In ihren letzten Worten vor dem Urteil hatten mehrere der Männer auf der Anklagebank ihr ausdrückliches Bedauern geäußert: „Ich möchte mich entschuldigen, es wird nicht mehr vorkommen“, hieß es übereinstimmend.
Rechtskräftig sind die Entscheidungen noch nicht. Die Staatsanwaltschaft, die teils deutlich härtere Strafen auch ohne Bewährung gefordert hatte, prüft eine mögliche Revision. Die Verteidigung zeigte sich dagegen weitgehend zufrieden mit dem Prozessausgang.
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Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: da gibt es inzwischen strafmildernde Umstände, wenn man “nur geringfügige Vorstrafen” hat.
Das müsste genau andersrum sein. Wer schon Vorstrafen hat, hat sich umso besser zu benehmen. Stattdessen wird das noch strafmildernd angerechnet. Ich hoffe auf Revision, eine härtere Strafe und bei nicht funktionierender Integration auf Rückführung. Vielleicht vermehrt sich das Geld ja anderswo auf wundersame Weise.