Die Staatsanwaltschaft in Leipzig hat Ende Mai 2024 und damit fast genau ein Jahr nach den Ausschreitungen am sogenannten „Tag X“ Anklage gegen einen 25 Jahre alten Mann aus Leipzig unter anderem wegen zweifachen versuchten Mordes erhoben. Der Angeschuldigte soll demnach Brandsätze, Steine und Pyrotechnik auf Polizisten geworfen haben. Seitens einer Soligruppe für den Inhaftierten kommt scharfe Kritik.

„Dem nunmehr Angeschuldigten wird zur Last gelegt, sich vermummt und dunkel gekleidet an den schweren gewalttätigen Ausschreitungen am sogenannten Tag X in Leipzig am 3. Juni 2023 im Bereich des Alexis-Schumann-Platzes und der angrenzenden Straßen beteiligt zu haben“, teilte die Leipziger Staatsanwaltschaft am Montag mit.

Demnach habe der junge Mann im Rahmen der gewalttätigen Auseinandersetzungen nacheinander insgesamt zwei Brandsätze, zwei Steine sowie einen „pyrotechnischen Gegenstand“ auf Polizeibeamte geworfen. Im Hinblick auf die Brandsätze gehe man davon aus, dass der Verdächtige tödliche Verletzungen bei den Polizeibeamten zumindest billigend in Kauf genommen habe, so die Anklagebehörde, die ursprünglich noch wegen versuchten Totschlags ermittelt hatte.

Verschärfung der Vorwürfe: Staatsanwaltschaft geht von zweifachem Mordversuch aus

Insofern bedeutet der Vorwurf des versuchten Mordes eine gravierende Verschärfung des Verdachts über den 25-Jährigen, der sich Anfang Januar 2024 nach einer Fahndung gestellt hatte und seither in Untersuchungshaft auf seinen Prozess wartet.

Die Staatsanwaltschaft legt ihm neben den Mordversuchen das Führen verbotener Gegenstände, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, Landfriedensbruch, tätlicher Angriff auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, die Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel sowie 18fache gefährliche Körperverletzung zur Last.

Mit letzterem beziehen sich die Ankläger auf die Zahl verletzter Polizisten, deren Verletzungen auch dem Angeschuldigten aufgrund von dessen gemeinschaftlichem Handeln zugerechnet würden: „Es kommt insoweit nicht darauf an, ob der Angeschuldigte mit seinen eigenen ihm zur Last gelegten Würfen von Steinen und Pyrotechnik Polizeibeamte verletzt hat oder nicht“, erklärte die Staatsanwaltschaft am Montag. Über die Zulassung der Anklage entscheidet demnächst das Leipziger Landgericht.

Initiative kritisiert Anklage scharf

Heftige Kritik an der Anklageerhebung kommt von einer „Soligruppe #FreeBenni“, die den inhaftierten jungen Mann unterstützt: Man verurteile die „Überzogenheit der Anklage“, vor allem mit dem „hanebüchenen Vorwurf des versuchten Mordes“ suggeriere die Staatsanwaltschaft eine Tötungsbereitschaft der Demonstranten am „Tag X“ in Leipzig. Dies weise man als Verunglimpfung der Proteste zurück, heißt es in einem Statement, das am Montag auf der alternativen Medienplattform Indymedia veröffentlicht wurde.

Die Rede ist von einem „persönlichen Racheakt der Justiz“, die Staatsanwaltschaft scheue offenbar keine Mühen und biete „einiges an Fantasie und Unverfrorenheit“ auf. Zugleich seien die Haftbedingungen des 25-Jährigen verschärft worden, so ein weiterer Vorwurf. Antifaschisten würden ihrer Grundrechte beraubt, während Neonazi-Netzwerke und rechtsextreme Gruppierungen in Deutschland gerade im bedeutenden Wahljahr 2024 immer mehr Einfluss gewännen.

Der „Tag X“ und der Polizeikessel

Am 3. Juni 2023 war es in Leipzig und weiteren deutschen Städten zu Protesten gekommen, die unter dem Begriff „Tag X“ kursierten. Nur Tage vorher waren die Leipziger Studentin Lina E. und weitere Personen in Dresden gerichtlich verurteilt worden, nachdem sie als Gruppe von 2018 bis 2020 teils brutale Attacken auf Neonazis und politisch weit rechts stehende Menschen begangen haben sollen.

Eine Großdemo in Leipzig war mit Blick auf die Sicherheitslage untersagt worden. Beim Protest einer Initiative gegen derlei Grundrechtseinschränkungen durch den Staat am Alexis-Schumann-Platz im Süden der Stadt kam es am Nachmittag mit Auflösung der Versammlung zu Ausschreitungen und auch Angriffen auf Polizeibeamte.

In der Folge wurden nach heutigem Wissen mehr als 1.300 Personen, darunter viele Minderjährige, auf dem Heinrich-Schütz-Platz bis zu 11 Stunden eingekesselt und einer Identitätsfeststellung unterzogen. Dieses Vorgehen der Einsatzkräfte steht bis heute stark in der Kritik und wirft für viele Fragen auf.

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