Ihn plagten nach dem Tod seines Kumpels offenbar Gewissensbisse und er verletzte sich selbst: Ein junger Mann aus dem Bekanntenkreis von Daniel P., der vor gut einem Jahr ermordet im alten Kornspeicher am Lindenauer Hafen aufgefunden worden war, wollte sich danach das Leben nehmen. Dies wusste ein Polizeibeamter zu berichten, den das Landgericht am Dienstag zur Sache befragte.
„Er war in einer psychischen Ausnahmesituation“
Ein Notruf führte den Polizeibeamten S. und seinen Kollegen am 17. August 2023 nach Schkeuditz. Dort trafen die Gesetzeshüter mit Markus B. (Name geändert) einen jungen Mann, der sich selbst erheblich verletzt hatte: „Er hatte tiefe Schnittwunden an Bein und Unterarm, war stark alkoholisiert. Er hat sich einen Vorwurf gemacht“, sagte der 37-jährige Polizist am Dienstag als Zeuge im Leipziger Landgericht. „Er war in einer psychischen Ausnahmesituation.“
Eine spätere Messung ergab etwa 1,5 Promille bei dem Betroffenen, der dann umgehend ins Krankenhaus nach Altscherbitz gebracht wurde. Und er wusste den verdutzten Beamten trotz seines desaströsen Zustands zu erzählen, dass er Beteiligte des aktuellen Mordfalls vom Lindenauer Hafen in Leipzig kenne.
Angeklagter soll Opfer in Falle gelockt haben
Zum Zeitpunkt seiner Einlieferung in die Klinik liefen die Ermittlungen bereits auf Hochtouren, nachdem Ende Juli 2023 eine männliche Leiche im Wasserbecken eines schwer zugänglichen, alten Kornspeichers am Lindenauer Hafen gefunden worden war. Das gefesselte und oberkörperfreie Opfer wurde schließlich als Daniel P. identifiziert, ein 25-Jähriger aus Sachsen-Anhalt, der schon länger in Leipzig lebte.
Seit Ende Mai muss sich der erst 20-jährige Kevin R. vor dem Landgericht wegen Mordes verantworten: Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der junge Mann seinen Bekannten aus Habgier umgebracht hat. Dabei habe Kevin R. die Gefühle des bisexuellen Daniel P. gezielt ausgenutzt, ihn am 28. Juni 2023 mit der Aussicht auf ein erotisches Abenteuer zur gottverlassenen Ruine im Leipziger Westen gelockt, dort gefesselt, geknebelt und in den Wasserschacht geworfen.
Hintergrund soll Krach um Geld gewesen sein
Der Angeklagte hatte die Tatvorwürfe in einer über seinen Anwalt Dr. Malte Heise abgegebenen Erklärung am ersten Prozesstag weitgehend gestanden. Demnach habe es im Vorfeld Krach zwischen ihm und dem Getöteten gegeben, weil der 6.000 Euro Darlehen für den Kauf eines ersehnten Kleinkraftrades zugesagt, dies aber nicht eingehalten habe.
Kevin R. habe sich durch seinen Bekannten, der von mehreren Zeugen als notorischer Lügner und Betrüger beschrieben wurde, massiv hintergangen gefühlt, so heißt es. Laut Verteidigung des Angeklagten stelle sich die Vorgeschichte hinter der grausigen Tat durchaus komplexer dar, als es ihre scheinbare Kaltblütigkeit zunächst nahelegt.
Kumpel des Opfers hatte große Angst und drohte mit Suizid
Dem Vernehmen nach spielten nämlich Schein-Freundschaften und zwischenmenschlich toxische Beziehungen untereinander durchaus eine größere Rolle, wenn man sich dem Tatgeschehen annähert. Jener Markus B., der seinen Suizid angedroht hatte, kannte den ermordeten Daniel P. und fühlte sich mitschuldig für dessen schrecklichen Tod. Denn er hatte seinen Bekannten einst in jenen Personenkreis eingebracht, aus dessen Reihen dann der mutmaßliche Mörder Kevin R. kam.
Auch in späteren Vernehmungen berichtete der Zeuge der Kripo, dass Kevin R. ihm gegenüber geäußert habe, Daniel sei „baden gegangen“. Den mysteriösen Spruch habe er zunächst nicht einordnen können, erzählte Markus B. der Polizei. Der wurde durch den jetzt Angeklagten sogar noch zu Unrecht als Täter hingestellt, als sich das Netz der Ermittler um Kevin R. bereits zuzog. Markus B. habe geweint und Ängste geäußert, selbst getötet zu werden, berichtete der als Zeuge geladene Polizist am Dienstag.
Anfang September 2023 war der heute 20-jährige Kevin R. verhaftet worden. Die Anklage wirft ihm vor, den ahnungslosen Daniel P. heimtückisch, aus Habgier und zur Ermöglichung einer weiteren Straftat getötet zu haben – denn am 10. August hob Kevin R. nach mehreren Fehlversuchen dann 550 Euro vom Konto seines Opfers ab.
Der Prozess wird fortgesetzt, weitere Verhandlungstermine am Landgericht sind bis 7. Oktober geplant worden.
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