Dass er für den Tod seines Bekannten Daniel P. verantwortlich ist, hat Kevin R. bereits gestanden. Doch die zuständige Jugendstrafkammer des Landgerichts nimmt sich Zeit, will ganz genau herausfinden, was den 20-Jährigen dazu trieb, seinen offenbar in ihn verliebten Kumpel in einen gottverlassenen Getreidespeicher zu locken, wo er gefesselt und geknebelt wurde und am Ende qualvoll in einem Wasserbecken erstickte.

Als Kriminalhauptkommissar T. im August 2023 mit einem Kollegen ins psychiatrische Krankenhaus Altscherbitz bei Leipzig fuhr, wusste er nicht, was ihn erwartet. Doch die Vernehmung des dort befindlichen Markus B. (Name geändert) erwies sich als außerordentlich ergiebig: „Er war sehr unsicher, aber zugewandt, hat viel gesprochen“, so der 34-jährige Polizist am Dienstag als Zeuge im Landgericht Leipzig.

Bekannter hatte nach Tod von Daniel P. Schuldgefühle

Kurz zuvor war Markus B. wegen eines angekündigten Suizids nach Altscherbitz gebracht worden. Er kannte sowohl den ermordeten Daniel P. (25) als auch dessen mutmaßlichen Mörder Kevin R. (20), der seit vergangener Woche auf der Anklagebank sitzt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der junge Mann seinen Bekannten unter Vortäuschung eines erotischen Abenteuers in einen heruntergekommenen Kornspeicher am Lindenauer Hafen gelockt, dort gefesselt, geknebelt und den hilflosen Mann in ein Wasserbecken geworfen hat.

Das war am 28. Juni vor einem Jahr – erst vier Wochen danach stießen Lost-Place-Fotografen zufällig auf die verwesende Leiche, die halbnackt im Wasser trieb. Daniel P. war erstickt. Für Ermittler T. war klar: Markus B., ein Kumpel des Opfers, hatte sein Leben aus schlechtem Gewissen heraus beenden wollen. Er fühlte sich schuldig, da er es war, der Daniel P. in jenen Kreis mitbrachte, aus dem später der mutmaßliche Mörder kam. Dieser bezichtigte Markus B. gegenüber der Kripo sogar zu Unrecht der Täterschaft.

Und auch sonst wusste jener Markus B., obgleich er zum Zeitpunkt des Verhörs verwirrt und desorientiert wirkte, einiges zu berichten, was den Kriminalisten glaubhaft erschien. So habe ihm Kevin R. an einem Abend mit viel Alkohol berichtet, dass er sich um „das Problem Daniel P. gekümmert“ habe, angeblich soll auch die Rede davon gewesen sein, Daniel sei „baden gegangen.“

Opfer soll im Sparkasse um Geld gebettelt haben

Doch woher kam all die Wut, die Kevin R. zum teuflischen Plan trieb, seinem Bekannten eine „Lektion zu erteilen“, wie er es zum Prozessbeginn selbst zugab? Im Geständnis, das sein Verteidiger Dr. Malte Heise verlesen hatte, spielte ein Darlehen von 6.000 Euro eine zentrale Rolle, welches das Opfer zugesagt, aber nie gezahlt haben soll. Kevin R. habe sich davon ein Moped kaufen wollen, ließ er erklären.

Kriminalhauptkommissar T. und seine Kollegen stießen im Zuge der komplexen Ermittlung auf die Angestellte einer Sparkasse in Leipzig, die sich tatsächlich erinnerte, dass Daniel P. wenige Tage vor dem Verbrechen in der Filiale aufgetaucht war: Dort habe er um eine Auszahlung regelrecht gebettelt, indem er der verdutzten Mitarbeiterin die Geschichte erzählte, er habe seiner großen Liebe einen Mopedkauf versprochen. Zu einer Geldübergabe kam es jedoch nicht.

Gescheiterter Mopedkauf: „Ich bemerkte, dass die nicht ganz koscher sind“

Eine Familie aus der Nähe von Leipzig bestätigte zudem, dass der Getötete gemeinsam mit dem jetzt Angeklagten und einem weiteren Bekannten bereits im Frühjahr 2023 zu ihnen gekommen war, um ihnen ein via Ebay angebotenes Moped der Marke „Furia“ abzukaufen. Das spätere Opfer sei dabei als eine Art Wortführer und Geldgeber aufgetreten.

Obwohl das Kaufobjekt die Interessenten nach einer Probefahrt beeindruckt habe, kam das Geschäft nie zustande, weil kein Geld floss. Dabei zeigte Daniel P. dem Familienvater und dessen minderjährigem Sohn bei anderer Gelegenheit sogar einen angeblichen Überweisungsbeleg vor – nur hatten die Anbieter ihre Kontodaten gar nicht herausgegeben. „Ich bemerkte, dass die nicht ganz koscher sind“, erinnerte sich die Frau (53) im Zeugenstand.

Hatte der 25-jährige Daniel P. mit seiner nicht erfüllten Zusage die Wut von Kevin R. so sehr entfacht, dass er die Liebesgefühle des bisexuellen Mannes ausnutzte und ihn in die Falle lockte? Mehrere Zeugen, darunter sogar die eigene Mutter, hatten Daniel P. vor Gericht als unzuverlässig, verlogen und sprunghaft charakterisiert, er soll schon wegen Betrugs eingesessen haben. Auch nach der Ankunft in Leipzig vor mehreren Jahren habe der aus Sachsen-Anhalt zugezogene Mann sein Umfeld permanent beklaut und hintergangen, so heißt es.

Anklage nimmt Mord aus Habgier an

Doch derlei Umstände ändern letztlich nichts daran, dass ein Mensch grausam zu Tode kam. Der Anklage nach hatte Kevin R. das hilflose Opfer einfach zurückgelassen, dessen Geldkarte an sich genommen und nach gescheiterten Versuchen schließlich 550 Euro abgehoben, außerdem die Lederjacke und persönliche Gegenstände des Getöteten unter anderem im Auwald bei Böhlitz-Ehrenberg verbrannt, um Spuren zu beseitigen.

Laut Verteidigung sei die Vorgeschichte hinter der eiskalt wirkenden Tat aber komplizierter, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Polizei fand auch heraus, dass der mutmaßliche Täter und der Ermordete noch am 13. Juni 2023 gemeinsam zum Tagesbesuch im Tropical Island bei Berlin weilten. Die knapp 100 Euro für den Ausflug habe das Opfer dem Vernehmen nach aber nur durch die Hilfe eines wesentlich älteren, homosexuellen Mannes in Leipzig aufgebracht, bei dem er sich zeitweise aufhielt.

Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung derzeit Verhandlungstermine bis 7. Oktober geplant. In drei Wochen soll der Prozess fortgesetzt werden.

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