Er eckt an, spitzt zu und polarisiert, gilt manchen als selbstverliebt, ist auch in den eigenen Reihen teils umstritten. Doch würde er je Gewalt befürworten? Jürgen Kasek beantwortete dies am Mittwoch im Leipziger Landgericht mehrfach mit einem scharfen „Nein“. Der 43-jährige Grünen-Politiker und Aktivist wehrte sich in zweiter Instanz gegen eine Geldstrafe wegen eines Tweets, der mit Adressnennung auf eine obskure Fensterlampe hinwies.
Gegenstand der Verhandlung war ein Tweet vom 20. Januar 2023: Damals hatte Jürgen Kasek, Stadtrat der Grünen in Leipzig, Jurist, Umweltaktivist und Streiter gegen Rechtsextremismus, auf seinem reichweitenstarken Account bei Twitter (jetzt: X) eine öffentlich einsehbare Botschaft abgesetzt.
Darin hieß es: „In der (es folgt eine Adressangabe, Anm. d. Red.) steht dieser Kerzenhalter dekorativ im Fenster. Reichsadler mit verbotenem Keltenkreuz. Ein aufmerksamer Bürger hat mich darauf hingewiesen. @PolizeiSachsen wollt ihr mal nach den Rechten gucken? Nicht das noch was passiert.“
Dazu zeigte ein Foto das hell erleuchtete Fenster einer Hochparterre-Wohnung mit der Silhouette einer Tischlampe, deren Aufsatz bildete ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen und einem Kreuz darunter. Es handelte sich konkret um ein Eisernes Kreuz, was nach einer Inspektion durch eine Polizeistreife herauskam. Eine Strafbarkeit konnte nicht festgestellt werden.
Verfassungsfeindliche Symbolik im Fenster?
Im November 2023 hatte Jürgen Kasek in erster Instanz 80 Tagessätze zu je 30 Euro Geldstrafe kassiert: Das Leipziger Amtsgericht sah ein „Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten“ als erfüllt, da die Anschrift identifizierbar war und der Wohnungsinhaber so einer Gefährdung durch Straftaten ausgesetzt gewesen sei.
Kasek, der gegen das Urteil in Berufung gegangen war, sah dies anders: Zwar habe er den Tweet verfasst, räumte er am Mittwoch im Landgericht ein. Allerdings sei es ihm nur darum gegangen, die Polizei schnell aktiv werden zu lassen, damit sein Anfangsverdacht auf die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbolik geprüft wird.
Eine Freundin aus der Nachbarschaft der fraglichen Wohnung habe ihn morgens auf die von der Straße aus einsehbare Lampe aufmerksam gemacht und er habe sich nach vergeblichen Versuchen, das Polizeirevier telefonisch zu erreichen, zu dem Tweet entschlossen, auch um Handlungsdruck bei der Polizei aufzubauen, die auf anderen Wegen nicht so schnell reagiere: „Ich kenne einen Teil der Beamten beim Social-Media-Team, die sind freundlich, bürgerorientiert, die antworten auch“, erklärte Kasek.
Kasek: Ich distanziere mich von jeder Gewalt
Die Skepsis seitens der Anklage konnte Kasek nicht zerstreuen: Er hätte eine öffentliche Adressbenennung vermeiden und die Polizei direkt informieren müssen, hielt Staatsanwältin Gitty Pfeiffer dem 43-Jährigen vor und hinterfragte die Bedeutung des letzten Satzes „Nicht das noch was passiert.“ Kasek wisse, wie man diesen mehrdeutigen Kommentar verstehen könne, so die Staatsanwältin.
Der Angesprochene konterte, er lenke doch nicht die Aufmerksamkeit der Polizei auf den Fall, wenn es ihm darum gehe, ein bestimmtes Klientel zu triggern. „Dass ich streitbar bin, ist das eine. Aber ich habe mich immer distanziert von jeder Gewalt. Ich bin Pazifist“, betonte Kasek. Die Spannungen im Gerichtssaal blieben jedoch bestehen.
Rückendeckung erhielt er durch seine Verteidigerin Christiane Götschel, die den Behörden Unterstellungen und einseitigen Belastungseifer gegen ihren Mandanten sowie Linke überhaupt vorwarf. Kasek sei als Aktivist, Demokrat und Demo-Anmelder bekannt, außerdem selbst schon Opfer von Drohungen und politischer Gewalt geworden. Wohl mit Blick auf die prominente Person habe man einen vermeintlichen Straftatbestand völlig überzogen, die Anklage habe keine Substanz.
Auch die letzten Teile des Tweets seien unverfänglich bzw. als Ausdruck von Sorge zu verstehen, so Götschel. Die Herleitungen der Staatsanwaltschaft bezeichnete sie teils als „abenteuerlich.“
Die letzten Jahre waren für Kasek schwierig
Während die Verteidigung, deren Vorstoß zur Einstellung des Verfahrens gescheitert war, einen Freispruch forderte, hielt die Staatsanwältin an der Verurteilung fest. Unter Einbezug eines früheren Urteils solle Kasek 120 Tagessätze bezahlen, die wegen seiner Einkommensverhältnisse aber auf je 20 Euro gesenkt werden könnten.
Kasek hatte auf Gerichts-Nachfrage angegeben, derzeit von Rücklagen und Aufwandsentschädigungen als Stadtrat zu leben, die er aktuell noch kassiert. Nach der Wahl vom Sonntag wird er dem neuen Kommunalparlament ab September aber nicht mehr angehören. Künftig strebe er einen Arbeitsvertrag als Jurist in der Kanzlei seiner Verteidigerin an, die Sozietät sei noch im Aufbau.
Auch sonst liefen die letzten Jahre eher schwierig für den zweifachen Vater, der sich alleinerziehend um seine Tochter kümmert. Wegen einer Erkrankung fielen seine langen Haare aus, zugleich verlor der Jurist im Sommer 2022 seine Anwaltszulassung, nach eigener Angabe wegen ausstehender Geldforderungen vom Rechtsanwaltsversorgungswerk.
Seit diesem Jahr ist der ehemalige Landesvorstandssprecher der Grünen in Sachsen rechtskräftig unter anderem wegen Verwahrungsbruchs verurteilt. Es ging um Akten, die er als Anwalt 2015 und 2020 viel zu spät zurücksandte. Dabei habe er fälschlich einer damaligen Kanzleimitarbeiterin die Schuld zugeschoben, befand das Gericht.
Vor wenigen Wochen entzog seine eigene Partei ihm gar die Hilfe im Stadtratswahlkampf wegen Vorwürfen „grenzüberschreitenden Verhaltens“, erst ein Schiedsgericht kippte die Entscheidung.
Richter: Hirn einschalten vor dem Twittern
Zumindest mit Bezug auf den umstrittenen Tweet konnte der stadtbekannte Politiker am Mittwoch aufatmen: Das Schöffengericht sprach ihn nach mehreren Stunden Verhandlung frei und hob die Geldstrafe auf, weil die Markierung der Polizei Sachsen tatsächlich darauf hindeute, dass es Kasek darum ging, die Behörden auf ein Problem aufmerksam zu machen. „Man kann nicht widerlegen, dass Sie deeskalierend mit Ihrem Helfersyndrom vorgehen“, meinte der Vorsitzende Richter Jens Kaden.
Dass der Tweet trotzdem alles andere als unproblematisch war, wurde in der Urteilsbegründung deutlich: „Bei Ihnen wäre es wichtig, vor Betätigen des Twitter-Accounts das Hirn einzuschalten.“ Kasek selbst hatte in seinem Schlusswort eingeräumt, dass er aus heutiger Sicht nicht nochmal so vorgehen würde. „Aber in dem Moment wollte ich nur, dass die Polizei kommt.“
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Keine Kommentare bisher