Das am Donnerstag, dem 6. Juni 2024, vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gefällte Urteil zur Rechtssache „Anspruch von Anwohnern auf Einschreiten der Straßenverkehrsbehörde gegen verbotswidriges Gehwegparken?“ (BVerwG 3 C 5.23), ruft verschiedene Reaktionen hervor. Es gibt einen Grund, warum hier der komplette Titel des Verfahrens benannt wurde. Aus diesem erklärt sich das Urteil. Für eine vollständige Einschätzung muss selbstverständlich die Veröffentlichung des Volltextes abgewartet werden.
Bisher gibt es nur eine Pressemitteilung des Gerichts, diese sagt aber schon einiges aus.
Der nachfolgende Text konzentriert sich auf die Ahndung des Gehwegparkens, weitergehende Inhalte zum Streitgegenstand wurden ausgeklammert.
Die Streitsache
Rekapitulieren wir: Eigentümer und Bewohner mehrerer Bremer Straßen hatten die Untätigkeit der Straßenverkehrsbehörde und Ordnungsbehörde beklagt. Diese ließ verkehrsbehindernd auf Gehwegen parkende Fahrzeuge, auch nach Anzeige, nicht entfernen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts der Hansestadt Bremen, vom 11.11.2021, mit Aktenzeichen 5 K 1968/19, gab den Klägern recht, ließ aber eine Revision zu und setzte das Entschließungsermessen (in Leipzig wird in vergleichbaren Fälle vom Ermessensspielraum der Ordnungsbehörde gesprochen) auf null.
In der Revision vor dem Oberverwaltungsgericht Bremen wurde der Grundtenor des Urteils bestätigt, den Behörden aber ein Entschließungsermessen zugestanden. Das ist der Kurztext zur Klage, vollständig sind die Umstände in der Pressemitteilung zu lesen, auch wir haben bereits berichtet.
Was ist dieses Entschließungsermessen?
Das Juraforum und andere Quellen sagen dazu: „Entschließungsermessen bezieht sich auf das Recht einer Behörde, bei gegebenem Sachverhalt und bestimmten Voraussetzungen selbst zu entscheiden, ob sie tätig werden möchte oder nicht.“
Der Begriff „Ermessensspielraum“ ist da verständlicher, die Behörde, in Person der Ordnungsbeamten, schaut sich also die Situation des beparkten Gehwegs an und wenn die Beamten einschätzen, dass die verbleibende Gehwegbreite für den Fußverkehr ausreicht, dann wird eben nichts unternommen.
Bei diesem Verfahren und dem der Behörde damit zugestandenen Recht auf Entscheidung nach Ermessen können Fehler auftreten. Deshalb setzte das Gericht in erster Instanz diesen Spielraum auf null, was bedeutet: Es ist „ermessensfehlerfrei“ zu handeln.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts
Zuerst muss hier festgestellt werden, dass das Bundesverwaltungsgericht über die konkrete Klage entschieden hat. Das hat durchaus grundsätzlichen Charakter, ist aber nicht ein Urteil über das Gehwegparken im Allgemeinen, obwohl es die „drittschützende Wirkung“ von § 12 Abs. 4 und 4a StVO, nicht in Abrede stellt.
Wer den Drittschutz sucht, findet ihn meist nur im Baurecht (Nachbarschaftsrecht), dort heißt es: „Nach der Schutznormtheorie entfaltet eine Rechtsnorm Drittschutz, wenn diese nicht nur dem Schutz der öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt ist, sondern (auch) dem Schutz eines erkennbar abgrenzbaren oder abgegrenzten Personenkreises dient.“
Der Kurztext zum Urteil aus der Pressemitteilung lautet: „Anwohner können bei einer erheblichen Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Gehwegbenutzung einen räumlich begrenzten Anspruch gegen die Straßenverkehrsbehörde auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Einschreiten gegen das verbotswidrige Gehwegparken haben.“
Was bedeutet das?
Anspruchsberechtigt auf ermessensfehlerfreie Ahndung des Gehwegparkens sind, im Sinne des Urteils, die Anwohner. Das heißt Passanten, die durch auf dem Gehweg parkende Autos behindert werden, betrifft das Urteil nicht. Zugespitzt könnte man formulieren, dass, wenn der Gehweg durch Anwohner beparkt ist und keine weiteren Anwohner da sind, die dies zur Anzeige bringen, die Straßenverkehrsbehörde keinen Handlungsdruck hat.
Für Anwohner gilt der Anspruch für ihre Straßenseite und für den Teil der Straße, an dem sie wohnen, das heißt zwischen den nächstgelegenen Einmündungen.
Das Urteil erlegt der Straßenverkehrsbehörde keine Kontrollpflicht auf, das war auch nicht Inhalt der Klage.
Fazit: Es bleibt der Volltext des Urteils abzuwarten, aber man darf vermuten, dass sich auch dort keine andere Auslegung ergibt. Das Urteil hat durchaus Auswirkungen über Bremen hinaus, es gibt grundsätzlich Anwohnern das Recht auf Beseitigung rechtswidrig auf dem Gehweg parkender Fahrzeuge. Eine weitergehende, allgemeingültige Entscheidung bedarf allerdings einer anderen Klage.
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