Auch nach der teilweisen Legalisierung von Cannabis ab 1. April 2024 dürfen Beweise, die noch nach früherem Recht eingeholt worden waren, weiterhin vor Gericht gegen Angeklagte verwendet werden: So entschied die 6. Strafkammer des Leipziger Landgerichts in einem heute veröffentlichten Urteil. Hintergrund ist der Fall eines Mannes, der kürzlich wegen Handels mit größeren Mengen Marihuana zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Allerdings gehen die Auffassungen der Juristen hier auseinander, wie ein anderes Beispiel zeigt.

Dieser Fall, der unter anderen Umständen wohl kaum größere Beachtung erfahren hätte, wirft plötzlich elementare Fragen auf: Am 12. April hatte das Leipziger Landgericht einen Mann wegen Handeltreibens unter anderem mit Cannabis in nicht geringer Menge zu drei Jahren Freiheitsentzug verurteilt und 53.000 Euro an Gewinn beschlagnahmt. Der Vorwurf gegen den 36-Jährigen bestand darin, mit mehreren Kilogramm Marihuana gehandelt zu haben.

Teilfreigabe wirft völlig neue Fragen auf

Die Krux bei der Sache: Die Ermittler hatten ihre Kenntnisse zum mutmaßlichen Drogenhandel in entscheidender Weise über das Knacken verschlüsselter Handy-Kommunikation gewonnen. Die sogenannten EncroChats galten lange als absolut abhörsicher und sorgten dafür, dass sich nicht nur auf Datenschutz bedachte Menschen diese Technik zulegten, sondern auch Drogenhändler, Terroristen, Mitglieder des organisierten Verbrechens.

Als spezialisierte Ermittler aus Frankreich vor mehreren Jahren die klandestine Kommunikation der Unterwelt aufdecken konnten, sorgte diese Sensation für eine Verhaftungs- und Prozesswelle, die auch Leipziger Strafkammern betraf. Inwieweit die EncroChat-Dateien vor Gericht als Beweis dienen dürfen, ist bislang nicht eindeutig geklärt.

Nun stellt die Teilfreigabe von Cannabis seit April ein ganz neues Problem in den Raum: Der Strafrahmen für den Handel mit dieser Droge hat sich mit der Legalisierung nach unten verschoben, sodass nicht sicher ist, inwieweit Ermittler die Spur der geheimen Chats hier noch verfolgen dürfen bzw. diese als Beweismittel zur Verwertung bei Gericht zur Verfügung stehen.

Landgericht Leipzig sieht keinen rechtsstaatlichen Verstoß

Die Kammer am Leipziger Landgericht positionierte sich bei diesen Fragen im geschilderten Fall eindeutig mit „Ja“ und stützte sich unter anderem auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH): Das Beweismittel gegen den verurteilten Mann sei „nicht auf rechtsstaatlich zweifelhafte Weise gewonnen“ worden. Grundlage sei eine Europäische Ermittlungsanordnung gewesen, die weder nach europäischem noch deutschem Recht zu beanstanden gewesen sei, heißt es in einer Mitteilung am Freitag.

Zwar könne eine vergleichbare Anordnung nach neuer Gesetzeslage heute womöglich nicht mehr ergehen. Daraus folge aber nicht automatisch, dass die frühere Maßnahme einen Verstoß gegen Verfahrens- und Grundrechte bedeute, so die Argumentation.

Freispruch in vergleichbarem Fall aus Mannheim

Ob die Bestand haben wird? Mit der Entscheidung hat sich das Leipziger Gericht in jedem Fall gegen Kollegen in Mannheim gestellt: Das dortige Landgericht hatte – ein skurriler Zufall – einen ebenfalls 36-Jährigen am gleichen Tag, dem 12. April, vom Vorwurf freigesprochen, rund 450 Kilo Marihuana von Spanien aus nach Deutschland geschmuggelt zu haben.

Gewisse Parallelen sind auch sonst offenkundig, denn es waren hier ebenfalls EncroChat-Dateien, durch welche der Verdächtige ins Fadenkreuz der Behörden geriet. Aber dieses Hauptbeweismittel falle laut Strafkammer weg, da Cannabis nach der neuen Gesetzgebung nicht mehr zu den Betäubungsmitteln gehöre. Die Voraussetzung, unter der die Chats nutzbar seien, sei damit nichtig, zumal im konkreten Fall auch keine anderen Faktoren wie Bandenkriminalität vorliegen würden.

Der eine in Freiheit, der andere hinter Gittern? Der Angeklagte in Mannheim wurde im Gegensatz zum Tatverdächtigen aus Leipzig freigesprochen und ihm sogar eine Entschädigung für die U-Haft zuerkannt. Und das, obwohl der Vorsitzende Richter einräumte, dass die Entscheidung bei einer anderen Droge anders hätte ausfallen können und man von der Unschuld des 36-Jährigen nicht überzeugt sei.

BGH soll für Klarheit sorgen

„Da ist momentan ein Streit zwischen den Gerichten“, bestätigt Johann Jagenlauf, Sprecher des Landgerichts Leipzig, auf LZ-Anfrage. Dies begründe sich daraus, dass der Strafrahmen für den Handel mit Cannabis in nicht geringen Mengen durch die neue Gesetzessituation deutlich nach unten abgeändert ist. Der Bundesgerichtshof stehe in der Pflicht, bald für mehr Klarheit zu sorgen.

Doch weder in Mannheim noch in Leipzig ist die letzte Messe gesungen: Im ersten Fall lässt die Staatsanwaltschaft das Urteil per Revision prüfen, in Leipzig hat die Anwältin des Verurteilten ebenfalls Rechtsmittel für ihren Mandanten eingelegt. Die Entscheidungen stehen noch aus.

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