Mit Spannung war abgewartet worden, wie der Prozess gegen eine suspendierte Leipziger Polizistin, die sichergestellte Fahrräder illegal verkauft haben soll, nun weitergeht. Immerhin stand das Verfahren auf der Kippe, nachdem ihr erster Anwalt in der vergangenen Woche überraschend aufgegeben hatte. Jetzt gibt es eine Antwort: Der Prozess wird für mehrere Wochen ausgesetzt und soll Ende Mai komplett neu starten.
Diese Entscheidung fällte die 8. Strafkammer des Leipziger Landgerichts am Dienstag nach einer internen Beratung unter Ausschluss der Öffentlichkeit: „Eine sinnvolle Fortsetzung des Verfahrens ist nicht möglich“, stellte der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr nüchtern fest. Damit fallen die nächsten Verhandlungstermine zunächst aus und der umfangreiche Prozess gegen Anke S. soll am 28. Mai mit erneutem Vortrag der Anklage wieder aufgenommen werden.
Anke S. soll Schlüsselfigur bei illegalem Fahrradverkauf gewesen sein
Wie berichtet, musste sich die 47-jährige Polizeihauptmeisterin seit Mitte März wegen Bestechlichkeit, Verwahrungsbruchs, Diebstahls und Urkundenfälschung verantworten. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft der suspendierten Beamtin vor, als Leiterin der polizeilichen Asservatenkammer in Leipzig von August 2014 bis November 2018 über 260 teils hochwertige Fahrräder und Fahrradteile meist gegen Zahlungen an Dritte übergeben zu haben.
Die Abnehmer, überwiegend Kollegen, sollen dafür meistens bis zu 50 Euro hingelegt haben. Anke S. habe dabei die Schlüsselrolle gespielt und die Transaktionen verschleiert, indem der abgewickelte Verkauf als gemeinnützige Spende deklariert worden sein soll. Laut Anklage nahm sie über mehr als vier Jahre rund 4.800 Euro ein, habe aber in erster Linie ihr Ansehen im eigenen Umfeld verbessern wollen. Zudem sei eine Spende an einen Gartenverein geflossen, wo der Vater von Anke S. Vorsitzender war.
Erster Verteidiger gab wegen Interessenkonflikten überraschend auf
In einer Erklärung hatte Anke S. die Vorwürfe zurückgewiesen: Sie habe sich nie bereichert und sei von der Rechtmäßigkeit ihres Handelns ausgegangen, das auch mit Vorgesetzten abgestimmt gewesen sei. Mit Blick auf die immer voller werden Lager habe sie versucht, Abhilfe zu schaffen, zumal Altbesitzer und Versicherungen großteils kein Interesse an der Rücknahme der aus Diebstählen stammenden Räder gehabt hätten, so die Darstellung der 47-Jährigen.
Die geplante Vernehmung von Zeugen seitens des benannten Gartenvereins sowie der Polizei sollte dann bereits nicht mehr zustande kommen: In der vergangenen Woche folgte ein kleiner Paukenschlag, als bekannt wurde, dass Verteidiger Thomas Morguet hinwirft.
Er begründete dies nach Gerichtsangaben mit Interessenkonflikten, da er auch andere Beteiligte des umfangreichen Verfahrens beraten oder vertreten haben soll. Schließlich hatte es nach dem Auffliegen der „Fahrradgate“ genannten Affäre vor rund vier Jahren hunderte Ermittlungsverfahren gegeben, von denen der Großteil eingestellt wurde. Morguets Kanzlei ließ eine LZ-Anfrage zur Mandatsniederlegung unbeantwortet.
Umfassende Akten und Verhandlungstage bis Ende Oktober
Immerhin fand sich mit Rechtsanwalt Erik Bergmüller relativ zeitnah ein neuer Verteidiger für Anke S., der bereit war, sich tief in die komplexe Materie einzuarbeiten. Allerdings steht der Jurist, der seit 2017 als Rechtsanwalt zugelassen ist und auch den Titel „Fachanwalt für Strafrecht“ trägt, noch ganz am Anfang: Bisher hatte Bergmüller nur unvollständige Akteneinsicht und wird nach seiner groben Schätzung in den nächsten Wochen etwa 4.000 Seiten zum Fall lesen müssen, dazu kommen weitere Dateien und Personalakten. Allein die Anklageverlesung am ersten Prozesstag hatte fast fünf Stunden gedauert.
Daher gab das Gericht Bergmüller die sechswöchige Einarbeitungszeit, um eine ordentliche Verteidigung sicherzustellen. Außerdem muss die anstehende Feriensaison bei der Terminabstimmung berücksichtigt werden: Bereits gebuchte Urlaube Verfahrensbeteiligter kreuzen sich zum Teil, dabei müssen alle unter einen Hut gebracht werden, um an den festgelegten Tagen im Gerichtssaal anwesend sein zu können.
Für Anke S. ist ein baldiger Abschluss ihres Falls hinfällig: Die Kammer hat jetzt weit über den Sommer hinaus Verhandlungstage bis 29. Oktober geplant.
Für Anke S. geht es um die berufliche Zukunft
Gleichwohl könnte die überlange Verfahrensdauer der Angeklagten letztlich bei einer eventuellen Strafzumessung zugutekommen, da sie die Verzögerung nicht selbst zu verantworten hat. Laut dem Kammervorsitzenden komme nach aktuellem Stand bei einem Schuldspruch eine „nicht unerhebliche Gesamtgeldstrafe“ in Betracht, auch sei möglicherweise von einem minderschweren Fall auszugehen.
Eine Entlassung aus dem Polizeidienst wäre für Anke S. dann zumindest nicht zwingend die Folge, anders bei einer Freiheitsstrafe ab einem Jahr. Er werde sich in der nächsten Zeit öfter mit Frau S. zusammensetzen und die Lage besprechen, so Verteidiger Bergmüller gegenüber der LZ.
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