Mehr als ein halbes Jahr nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung auf dem Lindenauer Markt begann am Donnerstag der Prozess gegen den mutmaßlichen Angreifer vor dem Leipziger Landgericht. Der 35-Jährige soll mit einem Flaschenhals auf seinen Widersacher eingestochen und ihn lebensbedrohlich verletzt haben. Die Angaben des Angeklagten weichen jedoch teilweise von den Annahmen der Ermittler ab.
Gegenstand des Verfahrens ist ein gewaltsam ausgetragener Streit auf dem Lindenauer Markt am 12. August 2023: An jenem Samstagmorgen gegen 9.30 Uhr habe der Angeklagte Ali T. mit dem abgebrochenen Hals einer Bierflasche auf die linke Wange, den Hals und den Rücken seines Kontrahenten Gouleme B. (33) eingestochen, heißt es in der Anklageschrift.
Das Opfer erlitt diverse Schnitt- und Stichverletzungen, zudem wurde bei dem brutalen Übergriff die linke äußere Halsvene durchtrennt: „Er nahm zumindest billigend in Kauf, ihn zu töten“, sagte Staatsanwältin Jenny Mosbacher am Donnerstag über den Angeklagten, der sich wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verantworten muss. Das Leben des Geschädigten wurde glücklicherweise durch eine schnelle Not-OP im Uniklinikum gerettet.
Diebstahl als Anlass der Auseinandersetzung?
Doch was könnte das Motiv der Tat gewesen sein? Nach Angaben seiner Verteidigerin Doreen Blasig-Vonderlin könne sich ihr Mandant nur rudimentär an den Vorfall erinnern, habe viele Details aus den Ermittlungsakten entnommen. Seiner Erinnerung zufolge habe er mit dem späteren Opfer und einem weiteren Mann nach einem Barbesuch den Lindenauer Markt aufgesucht, um dort weiter zu trinken. Zu diesem Zeitpunkt habe er zwei Nächte nicht geschlafen, bereits Alkohol und Drogen intus gehabt.
Anlass des Streits sei gewesen, dass das Angriffsopfer dem Bekannten, der bei ihnen saß, 50 Euro aus der Hosentasche gezogen haben soll, so die Version des Angeklagten. Er habe ihn wegen des Diebstahls zur Rede gestellt, woraufhin es zum Streit gekommen sei. Er wisse noch, dass er zugestochen habe, ohne die Einzelheiten im Gedächtnis zu haben, so Ali T. am Donnerstag.
Auch sei er sauer gewesen, weil Gouleme B. seine Mutter beleidigt habe, die nach einer Operation gerade in seinem Heimatland im Krankenhaus lag, erklärte Ali T. weiter. „Ich weiß, dass ich einen großen Fehler gemacht habe.“ Er sei sauer auf sich selbst und habe eigentlich kein Problem mit dem Opfer gehabt, sagte der Libyer, der nach eigenen Angaben 2015 mithilfe eines Schleusers vor dem Bürgerkrieg nach Europa geflohen war.
Ermittler sehen den Angeklagten als Aggressor
Die Ermittlungsbehörden nehmen dagegen an, dass Ali T. selbst der aggressive und Streit suchende Part in der Auseinandersetzung war. Verwaschene Aufnahmen der Überwachungskamera einer Bank, die am Donnerstag im Gerichtssaal abgespielt wurden, zeigen ansatzweise den Verlauf des Vorfalls. Hier scheint Gouleme B. eher zurückzuweichen, während Ali T. wiederholt auf ihn losgeht. Weitere Personen, so legen es die tonlosen Sequenzen nahe, greifen mehrfach deeskalierend ein.
Nach Angaben einer Kriminalbeamtin, die als eine der ersten am Tatort war und als Zeugin aussagte, habe der Geschädigte bei seiner Vernehmung völlig benommen gewirkt, sogar geweint und Angst gehabt, die Klinik wieder zu verlassen. Den Vorwurf des Diebstahls wies er demnach zurück. Zum möglichen Tatmotiv habe Gouleme B. vermutet, der Angreifer könnte sauer gewesen sein, weil sich der Bekannte auf der Bank mit ihm besser verstanden und mehr unterhalten habe als mit dem späteren Täter.
Auch mehrere Aussagen umstehender Zeugen würden den Schluss nahelegen, dass der Attackierte weitaus zurückhaltender und weniger aggressiv agiert habe.
Angeklagter: Wollte ihn nicht verletzen oder töten
Doch Ali T. blieb bei seiner Beteuerung, er habe seinem Gegenüber nie schwere Verletzungen zufügen oder ihn gar töten wollen. Er hatte offenbar keinen Fluchtversuch unternommen und war noch vor Ort von herbeigerufenen Polizeikräften gestellt worden, sitzt aktuell in Untersuchungshaft.
Der Prozess wird fortgesetzt, es stehen noch vier Verhandlungstage bis 18. März auf dem Kalender. Ein erster Anlauf für das Verfahren war im Januar krankheitsbedingt geplatzt.
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