Jeden Tag werden in unserem Land Menschen aufgrund von Straftaten durch Gerichte verurteilt. Das Meiste läuft unter dem Radar von Medien und Öffentlichkeit, nur einige Kriminalfälle erlangen lokal und regional größere Aufmerksamkeit, wenige darüber hinaus – etwa der „Kinderzimmerdealer“ oder der Fall Gil Ofarim. Wir fassen Ihnen hier ein paar ausgewählte Leipziger Urteile des scheidenden Jahres 2023 zusammen.
Lebenslange Haft wegen Mordes an Säugling
Als der Vorsitzende Richter am 4. Januar das Urteil „lebenslang“ verkündet und sogar die Forderung der Staatsanwältin übertrifft, bricht Angéla B. fast zusammen, wird von Weinkrämpfen geschüttelt: Die 33-jährige Ungarin, die 2021 nach Deutschland gekommen war, soll ihren neugeborenen Säugling kurz nach der heimlichen Entbindung in einer Wurzener Arbeiterunterkunft brutal getötet haben, weil er ihr schlicht nicht in die Lebensplanung passte.
Vor Gericht streitet die sechsfache Mutter die Tat ab und liefert verschiedene Versionen, was passiert sein soll. Die Strafkammer am Landgericht glaubt ihr die Unschuldsbeteuerungen aufgrund vieler Indizien nicht.
János – so der Name des getöteten Jungen, der keine Chance auf sein Leben bekam – bedeute zu Deutsch „Gott ist gnädig.“ Das wünsche er auch der Angeklagten, schließt der Richter seine Urteilsbegründung ab.
Tödlicher Kopfschuss bei Schkeuditz: 21-Jähriger muss zehn Jahre in Haft
Anfang 2022 starb Berufsschüler Jesse L. mit nur 19 Jahren auf einem Feldweg bei Schkeuditz nach einem Schuss in den Kopf. Mehr als ein Jahr später verurteilt das Leipziger Landgericht seinen Bekannten Max D. (21) Ende Januar zu zehn Jahren Haft nach dem milderen Jugendstrafrecht. Die Kammer ist überzeugt, der massiv verschuldete Zahnarzt- bzw. Lehrerinnensohn habe Jesse L. gezielt in eine Falle gelockt und ermordet, um sich an einer Tasche mit Drogen zu bereichern.
Er selbst hatte den Vorfall im Verbund mit seinen Anwälten als Versehen dargestellt, der Schuss habe sich unabsichtlich gelöst. Eine Behauptung, die das Schwurgericht allerdings als widerlegt ansieht. Wegen Reifedefiziten kommt Max D. gleichwohl um eine lebenslange Haft herum, wie sie nach Erwachsenenstrafrecht bei Mord üblich wäre. Das Urteil von zehn Jahren Jugendhaft ist inzwischen rechtskräftig.
Würgeangriff auf Fahrgast: Bewährung für Ex-LVB-Kontrolleur
Der Eindruck des brutalen Todes von George Floyd in den USA durch Polizeigewalt war noch frisch, als der Zwischenfall für Schlagzeilen sorgte: Im Juli 2020 war eine Fahrkartenkontrolle in einer Leipziger Straßenbahn komplett eskaliert. Am Ende lag ein junger Australier vor den Augen seiner geschockten Freundin an der Haltestelle Waldplatz auf dem Boden – und röchelnd im Würgegriff eines LVB-Fahrausweisprüfers, der erst nach mehreren Zurufen vom Opfer abließ. Ein durch zufällig anwesende Mitarbeiter des Stadtmagazins „Kreuzer“ gedrehtes Video des Geschehens ging damals viral.
Fast drei Jahre danach verurteilt das Amtsgericht den kurz nach dem Vorfall gefeuerten Kontrolleur zu einer Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung. Der 58-Jährige schweigt in der Gerichtsverhandlung und bringt auch kein Wort des Bedauerns über die Lippen. Anders der Geschädigte: „Ich habe gedacht, ich muss sterben“, erinnert sich der inzwischen 31 Jahre alte Australier im Zeugenstand.
Einstiger „Kinderzimmerdealer“ muss wieder in Haft
Als „Kinderzimmerdealer“ wurde er schon 2015 verurteilt und später mit seiner einmaligen Story zum Netflix-Star: Mitte Mai verhängt das Landgericht wegen illegalen Handels mit Betäubungsmitteln viereinhalb Jahre Haft gegen den heute 28 Jahre alten Max S.
Nach Überzeugung der Kammer tat sich der junge Mann noch vor Ablauf seiner ersten Haft mit mehreren Komplizen zusammen, um einen neuerlichen Drogenhandel unter dem niedlich klingenden Namen „Candylove“ im Netz aufzuziehen. Doch dahinter verbarg sich ein professioneller Versandhandel, der bundesweit und über deutsche Grenzen hinaus seine Abnehmer fand.
Max S. legt im Lauf der Verhandlung ein Teilgeständnis ab. Einer seiner Mitangeklagten, der bereits wegen anderer Delikte in Haft sitzt, erhält einen Strafzuschlag, zwei weitere Männer, die als Handlanger beim Drogenversand halfen, kommen mit Bewährung und Geldstrafe davon. Ein angeklagter Rechtsanwalt aus Leipzig wird freigesprochen. Streitpunkt im Verfahren ist neben der Frage der Bandenbildung, die das Gericht verneint, auch die Verwertbarkeit polizeilicher Lauschangriffe. Die Staatsanwaltschaft vertritt hier eine eigene Auffassung und will das Urteil prüfen lassen.
Gewaltexzess in Leutzsch: Am Ende droht er mit Mord und beschimpft sogar seine Verteidigerin
Diese Taten sind ein Blick in den Abgrund der menschlichen Seele: Ein älterer Mann wurde 2022 in seiner eigenen Wohnung durch Messerstiche und Prügel eines Bekannten fast getötet, weil er nicht wusste, wo seine Zigaretten sind. Kurz danach soll der Angreifer noch versucht haben, seine Begleiterin des Nachts in der Nähe vom Leutzscher Rathaus zu vergewaltigen. Eine Streifenwagenbesatzung griff ein und nahm den hochaggressiven Christian F. mit Verstärkung fest. Das in seiner Wohnung in der Georg-Schwarz-Straße attackierte Angriffsopfer (64) war hilflos zurückgelassen worden, überlebte knapp.
Ende Mai schickt das Landgericht den massiv vorbestraften Christian F. (30) unter anderem wegen versuchten Mordes und versuchter schwerer Vergewaltigung für 13 Jahre hinter Gitter, ordnet dazu Sicherungsverwahrung an. Dem zeitweise obdachlosen Lagerist, der nach eigenen Angaben als Tätowierer und Pornodarsteller sein Geld verdient, hatte der Gutachter eine dissoziale Persönlichkeitsstörung attestiert. Der Staatsanwalt schätzt den Angeklagten im Plädoyer als „äußerst gewaltbereit und gefährlich“ ein.
Wie zum Beweis lässt Christian F. seine Fassade aus Eloquenz und Freundlichkeit während der Urteilsverkündung fallen, tickt völlig aus, schleudert ein Mikrofon zur Richterbank, brüllt und droht Anwesenden mit Mord. Wachtmeister fixieren den tobenden Mann am Boden. Selbst seine Verteidigerin hatte die Täterschaft ihres Mandanten nicht bezweifelt, aber noch ein milderes Strafmaß herauszuholen versucht.
Auch sie bekommt nun ihr Fett ab: Sie sei gekündigt, er wolle sich gegen das Urteil mit neuer Anwältin wehren, faucht Christian F. die Juristin an, als er abgeführt wird. Die Staatsanwaltschaft leitet nach dem Eklat im Gerichtssaal neue Ermittlungen ein.
Hotel-Mord in Leipzig: 43-Jähriger kommt lebenslang hinter Gitter
Anfang Juli verhängt das Landgericht lebenslange Haft gegen einen 43-Jährigen wegen Mordes. Für die Kammer ist erwiesen, dass Danny M. im November 2022 eine junge Frau in einem Sellerhäuser Hotel heimtückisch und grausam getötet hatte – Malina N., die zwei Kinder hinterlässt, wurde nur 31 Jahre alt. Laut Staatsanwaltschaft soll der Hilfsarbeiter aus blanker Wut darüber, dass die Prostituierte aus Bulgarien keine Beziehung mit ihm eingehen wollte, erbarmungslos zugestochen haben.
Für das Schwurgericht bleiben beim genauen Tatmotiv von Danny M. letzte Fragezeichen bestehen. Dass sich der Sachsen-Anhaltiner, den der Gutachter als voll schuldfähig einschätzt, des Mordes schuldig gemacht hat, steht jedoch außer Frage. Er selbst schweigt im Prozess zunächst, erst kurz vor dem Urteilsspruch ringt sich der 43-Jährige zu ein paar Worten des Bedauerns durch.
Teil 2 des Gerichts-Rückblicks 2023 lesen Sie am Wochenende.
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