Dem Münchner Musiker und Schauspieler Gil Ofarim wird unter anderem Verleumdung vorgeworfen, er soll einen Hotelmanager in Leipzig fälschlich des Antisemitismus bezichtigt haben. Seit 7. November steht der 41-jährige Künstler deshalb vor dem Landgericht Leipzig. Nach zwei Verhandlungstagen scheint klar: Die Suche nach der Wahrheit ist langwierig und mühsam. Eine Zeugin belastete den Angeklagten am Dienstag.
Zahlreiche Details, viele Zeugen und offene Fragen: Am Mittwoch, dem 8. November, setzte das Landgericht Leipzig den Prozess gegen Gil Ofarim fort. Es geht hauptsächlich um die mehr als zwei Jahre zurückliegenden Antisemitismus-Vorwürfe gegen einen Manager des Leipziger Hotels Westin, der Ofarim aufgefordert habe, seine Kette mit Davidstern abzulegen, um im Hotel einchecken zu können. So jedenfalls legte es eine Videosequenz nahe, die Ofarim am 5. Oktober 2021 auf Instagram veröffentlichte.
Nur: Der Vorfall, der damals eine Welle der Empörung auslöste, kann sich laut Staatsanwaltschaft Leipzig so gar nicht zugetragen haben. Die Ermittlungen gegen den damaligen Mitarbeiter des Westin sind längst eingestellt, stattdessen wurde Ofarim selbst wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung angeklagt. Daneben stehen Vorwürfe von Betrug, versuchtem Betrug und falscher eidesstattlicher Versicherung gegen Ofarim im Raum, da der 41-jährige Künstler im Rahmen presserechtlicher Streitigkeiten falsche Angaben gemacht haben soll.
Vorwürfe und Zweifel der Verteidigung
Ofarim selbst erschien am Dienstag unter großem Medienrummel in Begleitung seiner vier Verteidiger vor dem Landgericht. Zu den Tatvorwürfen und seiner Person wollte sich der aus diversen TV-Produktionen und Shows bekannte Künstler, Sohn des 2018 verstorbenen Sängers Abi Ofarim, erst einmal nicht weiter äußern.
Sein Anwalt Alexander Stevens gab jedoch eine Eingangserklärung ab, wonach es mehrere Lügen über den Fall Ofarim gäbe: Die interne Ermittlung des Hotels Westin sei demnach keinesfalls neutral und offen gewesen, ob Ofarim die Kette mit Davidstern am fraglichen Abend tatsächlich sichtbar getragen habe, sei für den Fall außerdem nicht relevant.
Antisemitismus käme überdies alltäglich in verschiedenen Formen auch in Leipzig vor, die angeblich erdrückende Beweislast gegen Ofarim sei in Wahrheit so nicht gegeben. In jedem Fall werde die Wahrheit schwer herauszufinden sein, es sei auch nicht ausgemacht, dass ein Missverständnis, ein dummer Spruch oder missglückter Humor die ganze Situation im Hotel derart hätte eskalieren lassen.
Lange Warteschlangen durch Systemausfall
Gesichert scheint bis jetzt: Die Situation im Hotel Westin am fraglichen Abend des 4. Oktober 2021 war stressig und chaotisch – verantwortlich dafür war ein Ausfall des elektronischen Check-In-Systems, was zu einer Bildung langer Warteschlangen in der Hotellobby führte. „Es war ein anspruchsvoller Tag“, schilderte Herr W. (35) im Zeugenstand, der am 4. Oktober 2021 bereits eine längere Schicht hinter sich hatte.
Der damalige Front Desk Manager des Hotels ist Nebenkläger im Prozess gegen Ofarim und saß als Zeuge nun wenige Meter neben dem Mann, der ihn entgegen der Wahrheit als antisemitisch angeprangert haben soll. Weil er begonnen habe, Stammgäste des Hotels aus der Schlange herauszunehmen, deren Daten bereits hinterlegt waren und die trotz Software-Ausfalls schnell eingecheckt werden konnten, habe sich Ofarim aufgebracht über die vermeintliche Vorzugsbehandlung beschwert, das Hotel als „Scheißladen“ bezeichnet und eine schlechte Bewertung angedroht, die dank seiner Reichweite im Netz viral gehen werde.
Das, so W., habe er als Drohung empfunden, vom Hausrecht Gebrauch gemacht, Ofarim den Anmeldebogen entzogen und bedeutet, dass er nicht einchecken könne. Das deeskalierende Angebot kurz darauf, die Ablehnung gegen eine Entschuldigung zurückzunehmen, habe Ofarim ausgeschlagen und das Hotel Westin verlassen.
Beschuldigter Manager spricht vom Morddrohungen nach dem Vorfall
Doch ist es tatsächlich glaubhaft, dass der leitende, gut geschulte Mitarbeiter eines renommierten Hotels bei einem aufgebrachten Gast sofort zum Mittel des Hausrechts greift? Ofarims Anwälte äußerten daran erhebliche Zweifel, aus ihrer Sicht müsse der kurze Wortwechsel an der Rezeption einen anderen Inhalt gehabt haben. Auch die Aussage W.s, Ofarim zunächst nicht erkannt zu haben, sei nicht glaubwürdig.
Einen Antrag der Verteidigung, den Belastungszeugen vereidigen zu lassen, lehnte die Strafkammer am Dienstag aber ab: Man habe derzeit keine Überzeugung, dass W. nicht die volle Wahrheit gesagt haben könnte, sagte der Vorsitzende Richter Andreas Stadler.
Nicht nur für das mit Medienanfragen bombardierte Hotel, sondern auch für W. persönlich hatten die Anschuldigungen, die ihn erst am nächsten Tag nach Veröffentlichung des Videos erreichten, laut eigener Aussage gravierende Folgen: So sei sein voller Name im Netz veröffentlicht worden, er habe Morddrohungen erhalten und musste mithilfe seines Vorgesetzten vorübergehend an einem sicheren Ort untertauchen. Er sprach von Nervosität, Ängsten und Schlaflosigkeit. Bis heute nehme er psychologische Unterstützung in Anspruch, im Westin arbeitet er nicht mehr.
Chatnachricht belastet Ofarim: „Er hat gepöbelt“
Eine der früheren Rezeptionistinnen des Hotels, die die Szene mitbekam, stellte sich als Zeugin hinter ihren damaligen Chef und verteidigte auch dessen Entscheidung, Ofarim das Einchecken zu verweigern: „Das hätte ich genauso getan, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre“, so die 25-Jährige. Sie habe nicht gehört, dass Herr W. Worte wie „Pack den Stern ein“ benutzt habe.
Zu den Wartenden aus der Schlange gehörte auch ein Mann, der damals von einer Firmenveranstaltung ins Hotel kam und mit seiner Kollegin einchecken wollte. Der 58-Jährige entsann sich am Dienstag zumindest daran, die Kette mit Davidstern bei Ofarim wahrgenommen zu haben. Und auch seine Begleiterin erlebte Ofarims Beschwerde vom Nebenschalter aus mit, dachte sich zunächst nichts weiter dabei.
Erst am nächsten Tag, da waren die Vorwürfe bereits in aller Welt, wunderte sie sich über das Plakat und das Sicherheitspersonal am Hotel, sagte die 63-jährige Bankkauffrau am Dienstag aus. Eine Kollegin schickte ihr am späten Abend per WhatsApp einen Medienbericht mit Ofarims Vorwürfen gegen das Westin. Die Zeugin antwortete: „Das stimmt definitiv nicht. Er hat gepöbelt.“ Und schob wenige Minuten später nach: „Da stimmt nichts von, unglaublich!“ Von einem Spruch wie „Pack den Stern ein“ habe sie nichts gehört.
Nach zwei Prozesstagen zeichnet sich ab, dass die Verhandlung unabhängig vom Ausgang sehr langwierig werden kann. So ging es auch am Dienstag immer wieder um Details zu den Räumlichkeiten des Hotels, verschiedenen Standorten der Zeugen, Abständen zueinander, den eigenen Wahrnehmungen, dem System des Check-In. Insgesamt sollen etwa 30 Zeuginnen und Zeugen vernommen werden, weitere könnten hinzukommen. Ob das Verfahren so, wie bisher geplant, im Dezember abgeschlossen werden kann, ist aktuell völlig offen.
Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt.
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