Am Ende langer Verhandlungstage bleiben Überraschung, Ratlosigkeit und offene Fragen zurück: Am heutigen Dienstag gestand der unter anderem wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung angeklagte Künstler Gil Ofarim, dass der Antisemitismus-Vorwurf gegen einen Manager des Hotels Westin gelogen war, er bat den Mann um Entschuldigung. Nun ist der Prozess am Landgericht beendet und das Verfahren vorläufig eingestellt.
Eine ungewohnt lange Verzögerung des Prozessbeginns um mehr als zwei Stunden, wartende Zuschauer, abgeladene Zeugen (unter anderem Sängerin Jeanette Biedermann) und Gerüchte, dass der bislang schweigsame Gil Ofarim jetzt doch eine Aussage tätigen will: Irgendwie deutete sich an diesem Dienstag an, dass die Dinge anders lagen als bisher. Kurz nachdem der Angeklagte mit seinen Anwälten den Gerichtssaal betreten hatte, verschwanden sie auch schon wieder in einem Hinterzimmer.
Ofarim gesteht seine Lüge ein
Erst gegen 11.30 Uhr startete der Prozess mit einer intern vorab besprochenen Aussage des 41-jährigen Ofarim, die den Zusammenbruch einer über zwei Jahre aufrechterhaltenen Erzählung bedeutete: „Die Vorwürfe treffen zu. Herr W., ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich habe das Video gelöscht“, so Ofarim in Richtung des Nebenklägers, der ihm einige Meter entfernt gegenüber saß. Der 35-Jährige erklärte, die Entschuldigung anzunehmen.
Damit scheint geklärt, dass Ofarim Anfang Oktober 2021 in seinem Instagram-Video schlichtweg log. Dort hatte der Sänger aus München, der sich als „säkularen Juden“ sieht und auch aus diversen TV-Shows bekannt ist, massive Vorwürfe gegen den damaligen Empfangschef des Westin erhoben. Er habe ihm bedeutet, die Kette mit Davidstern abzunehmen, um einchecken zu dürfen. Die vermeintliche Diskriminierung Ofarims, an der zunächst kaum jemand zweifelte, ging damals viral und löste eine Welle der Empörung aus.
Doch dann schlug die Stimmung um, nach monatelanger Ermittlung war klar, dass die Staatsanwaltschaft Ofarim selbst auf der Anklagebank sehen wollte: Der Vorfall könne sich nicht so zugetragen haben, wie im Video von ihm suggeriert, so die Behörde.
Zeugenaussagen und Überwachungskameras brachten Ofarims Version in Bedrängnis
Letztlich seien vor allem die Bilder der Überwachungskameras und die Aussage einer Zeugin entscheidende Anknüpfungspunkte, um die Glaubhaftigkeit von Ofarims Geständnis zu untermauern, begründete der Vorsitzende Richter Andreas Stadler den Beschluss zur vorläufigen Einstellung des Verfahrens.
So hatte die heute 63-jährige Frau K., die damals mit einem Kollegen im Westin am Schalter neben Ofarim eincheckte, bereits kurz nach dem Vorfall an eine Kollegin gechattet, dass der Angeklagte gepöbelt habe. Dies geschah offenbar aus Wut darüber, dass Stammgäste des Hotels, deren Zimmerkarten schon bereitlagen, beim Check-in vorgezogen wurden, während andere länger warten mussten – bedingt durch einen Computerausfall.
Obendrein war es der Digitalforensiker Prof. Dirk Labudde von der HS Mittweida, dessen Auswertung der Überwachungskameras aus dem Westin Ofarim in Bedrängnis brachte: Das Gutachten des Fachmanns kam zu dem Schluss, dass der Angeklagte seine Halskette innerhalb des Hotels zwischen 19.20 Uhr und 19.45 Uhr nicht sichtbar trug, als er nach der Rückkehr von einer MDR-Produktion in Leipzig einchecken wollte.
Durch die jetzige Entschuldigung Ofarims sei der Hotelmanager wirkungsvoller rehabilitiert, als es durch ein Urteil möglich gewesen wäre, heißt es in einer Mitteilung des Landgerichts vom Dienstag. Der 35-jährige Herr W. hatte im Zeugenstand geschildert, dass die Vorwürfe für ihn einen wahren Albtraum bedeuteten, er habe eine Morddrohung erhalten und musste mit Unterstützung seines Arbeitgebers vorübergehend an einem sicheren Ort abtauchen. Er arbeitet inzwischen nicht mehr im Westin und ist nach eigener Aussage bis heute in Behandlung.
Geldauflage und geheime Entschädigung an Hotelmanager
Gil Ofarim, der nach Prozessende kommentarlos durch eine Seitentür verschwand, muss als Auflage innerhalb der kommenden sechs Monate insgesamt 10.000 Euro zahlen, die je zur Hälfte der Israelitischen Gemeinde in Leipzig und dem Trägerverein des Hauses zur Wannseekonferenz zugutekommen.
Erst nach dieser Zahlung, die nach Gerichtsangaben zumindest symbolisch Abhilfe leisten soll, gilt das Verfahren als endgültig eingestellt. Zudem liegt offenbar bereits ein interner Deal zwischen Ofarims Verteidigung und dem Anwalt des Nebenklägers über eine finanzielle Entschädigung vor. Zu den Details des Ausgleichs herrscht striktes Stillschweigen, keiner der Beteiligten wollte sich näher äußern.
„Unsere Gesellschaft kennt keine ewige Verdammnis“
Von der Verfahrenseinstellung sind auch falsche eidesstattliche Versicherungen betroffen, mit denen Ofarim gegen Presseberichte vorgegangen sein soll. Dies sei zu missbilligen, aber auch auf äußeren Druck geschehen und habe auf Ofarims Leben erhebliche Auswirkungen gehabt, eine Wiederholung sei ausgeschlossen, sagte der Kammervorsitzende.
Zugleich betonte er, das Verfahren gegen Ofarim habe Gewinner: Die Gesellschaft, die den wahren Sachverhalt erfahren habe, den Geschädigten, der wirksam rehabilitiert sei, und Gil Ofarim selbst, der mit seinem Einlenken den Weg der auch für ihn günstigen Verfahrensbeendigung ermöglicht habe. Ofarim habe einen Fehler begangen, aber: „Unsere Gesellschaft kennt keine ewige Verdammnis.“ Und: „Die Chance auf einen befreiten Neustart ist sein Gewinn.“
Verteidiger: Wir bewerten keine Moral
Zumindest der letzte Punkt dürfte aus Sicht vieler zweifelhaft scheinen. Formal gilt Ofarim zwar weiter als nicht vorbestraft, faktisch aber scheint fraglich, ob es dem 41-Jährigen so schnell wieder gelingen wird, im Musik- und Showbusiness Fuß zu fassen. Bereits seine langjährige Managerin hatte im Zeugenstand geschildert, dass die Buchungen von Ofarim nach dem Vorfall im Westin einbrachen, potenzielle Auftraggeber waren verunsichert.
Und grundsätzlich bleibt die Frage: Wie kommt man dazu, einem Menschen öffentlich etwas anzuhängen, was geeignet ist, eine Existenz zu ruinieren, und über zwei Jahre lang an dieser Lüge festzuhalten? Ofarims Verteidigung äußerte sich hier zurückhaltend: Man bewerte keine Moral, aber ein Neubeginn außerhalb des Gerichts sei Ofarim nur zu wünschen, so Rechtsanwalt Alexander Stevens nach Ende des Prozesses.
Letztlich habe man dem Mandanten geraten, den Weg der Einstellung mitzutragen. Offenbar das Geständnis, dass man mit dem eigentlich erwünschten Freispruch nach dem Stand der Dinge doch ein wenig auf verlorenem Posten stand.
Unstrittig dürften die Schlussworte des Vorsitzenden Richters sein: „Antisemitismus ist eine Tatsache, der Kampf dagegen ist eine Aufgabe.“
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