Der medienwirksame Prozess gegen den Künstler Gil Ofarim vor dem Landgericht Leipzig gräbt sich durch die mühevollen Ebenen der Beweisaufnahme: Hat der 41-Jährige einen Hotelmanager des Westin wahrheitswidrig des Antisemitismus beschuldigt, wie die Staatsanwaltschaft annimmt? Die Strafkammer geht dieser Frage derzeit gründlich nach und will dabei auch mehr über die Persönlichkeit des Angeklagten erfahren.
Für Yvonne P. war es kein alltäglicher Auftritt. Die 45-Jährige betrat am Donnerstag, dem 16. November, den gut besuchten Saal 115 im Landgericht Leipzig, flankiert von Blicken der Besucher und Medienvertreter auf den insgesamt 85 Publikumsplätzen. Sie setzte sich auf den Zeugenstuhl, wurde durch den Vorsitzenden Richter Andreas Stadler routinemäßig nach ihren Personalien befragt und über die Wahrheitspflicht belehrt.
Brisanter Anruf, schwierige Situation
Beizutragen hatte Yvonne P. durchaus mehr als Banalitäten, denn die langjährige Managerin Gil Ofarims stand ihm in gewisser Weise nahe und wurde am Abend des 4. Oktober 2021 sofort von ihm angerufen, nachdem er – so seine Version – Opfer der antisemitischen Entgleisung eines Managers im Leipziger Hotel Westin geworden war. Die Staatsanwaltschaft hat Ofarim unter anderem wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung auf die Anklagebank gebracht, sie hält den Vorwurf für erfunden.
Der brisante Anruf erreichte Yvonne P. gegen 20 Uhr, während sie gerade auf einer privaten Geburtstagsparty weilte, erinnerte sie sich im Zeugenstand: „Er war sehr aufgebracht, wollte, dass man ihm schnell hilft.“ Zunächst habe sie nur von Komplikationen beim Check-in für das bereits gebuchte Hotelzimmer erfahren und telefonisch veranlasst, dass Ofarim in einem anderen Hotel nächtigen könne.
Eine problematische Situation wie diese sei auch für sie neu gewesen, zumal die von ihr gemanagten Künstler meist sehr entspannt seien, so Yvonne P. weiter.
Die Strafkammer bemühte sich, mehr über Ofarims Persönlichkeit zu erfahren – irgendetwas, was vielleicht weiterhilft zu erklären, warum es offenbar am fraglichen Abend in der Lobby des Westin zu einer verbalen Auseinandersetzung mit dem Empfangschef kam.
„Er ist nach alter Schule erzogen“
„Ich kann mich nicht beklagen, er war immer sehr höflich“, schilderte Yvonne P. auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters ihre Eindrücke von Ofarim, der sich selbst als „säkularen Juden“ bezeichnet und neben seiner Rolle als Musiker auch als Synchronsprecher und in TV-Formaten auftrat. Der 41-Jährige sei „nach alter Schule erzogen“, ein Gentleman, der aufmerksam ist, anderen selbstverständlich den Vortritt lässt und die Tür aufhält. Auch in Hotels habe sie ihn noch nie ungeduldig oder aufbrausend erlebt.
Dass sie inzwischen dennoch, nach rund zehnjähriger Zusammenarbeit, nicht mehr seine Managerin sei, habe andere Gründe ohne Bezug zum laufenden Verfahren, sagte Yvonne P., ohne dies weiter zu erläutern.
Generell war das Verhältnis nach ihrer Aussage freundschaftlich: „Ich würde nicht sagen, dass er mich nachts um 3 angerufen hätte, um mir etwas anzuvertrauen. Aber wir haben offen und ehrlich gesprochen.“ Auch von antisemitischen Erfahrungen habe er ihr erzählt, ohne dass dies ein zentrales Gesprächsthema war, sagte die Managerin.
Zeugin: Ofarim war entsetzt und fühlte sich hilflos
Am 4. Oktober 2021 schien ein mutmaßlicher, antisemitischer Ausfall gegen Ofarim zunächst allerdings noch keine Rolle gespielt zu haben: Ihr sei zunächst nur von Problemen beim Check-in berichtet worden, sagte Zeugin Nadine S. (40) am Donnerstag aus. Sie hatte am 4. Oktober 2021 für eine MDR-Produktion gearbeitet, bei der Gil Ofarim mitwirkte, ehe er planmäßig sein Zimmer im Westin hätte beziehen sollen.
Nachdem sie ein Anruf der Managerin Ofarims mit der Bitte erreicht hatte, sich zu kümmern, rief sie ihn auf dem Handy an und erfuhr erst hier, dass ein Mann im Hotel und dann auch der Manager am Empfang ihn aufgefordert hätten, die Kette mit Davidstern einzupacken, um einchecken zu dürfen. Ofarim habe sich am Telefon entsetzt gezeigt, auch, weil er sich in dem Moment allein gefühlt und niemand etwas gesagt habe, erinnerte sich die TV-Producerin.
Dabei sei Ofarim im Studio zuvor noch völlig gelöst und guter Stimmung gewesen, die Aufzeichnung sei super gelaufen, so Nadine S. weiter.
Ihre Kollegin Lina N. (30) kontaktierte dann das Hotel Westin, der Manager habe beim Telefonat vollkommen ruhig mit ihr geredet, als wenn die Angelegenheit geklärt wäre. „Ich hätte nie damit gerechnet, dass da ein krasses Problem ist.“ Die Antisemitismusvorwürfe seien erst im nächsten Telefonat mit Ofarim-Managerin Yvonne P. aufgetaucht.
„Es war einfach eine Extremsituation“
Die machte am Donnerstag kein Geheimnis daraus, mit Ofarims viral gegangenem Video-Post am 5. Oktober 2021 alles andere als glücklich gewesen zu sein, der demnach ohne Rücksprache stattfand: „Weil ich weiß, wie schnell das Internet ist, die Öffentlichkeit und auch die Presse.“ Sie hätte den Vorfall lieber intern geklärt, so Yvonne P., die sich danach von der medialen Berichterstattung und einer Flut an Anfragen überrollt sah. „Es war so viel los, es war einfach eine Extremsituation.“
Schon im Vorfeld habe sie Ofarim gewarnt, dass er den Namen des beschuldigten Managers auf keinen Fall öffentlich machen dürfe. Ihr wiederholtes Nachbohren, ob sich das Geschehen tatsächlich so ereignet habe, bejahte Gil Ofarim stets, führte Yvonne P. aus.
Sein bis dahin gut laufendes Geschäft brach nach Bekanntwerden der Vorwürfe ein, da potenzielle Auftraggeber verunsichert gewesen seien und den Gang der Dinge abwarten wollten.
Videos manipuliert? Verteidigung sieht Anfangsverdacht
Neben den Zeugenvernehmungen nahm das Gutachten des Digitalforensikers Prof. Dirk Labudde (57) am Donnerstag während der Gerichtsverhandlung wieder sehr viel Raum ein. Der renommierte Wissenschaftler der Hochschule Mittweida hatte die Aufnahmen der hoteleigenen Überwachungskameras im Auftrag der Polizei analysiert. Seinen vorläufigen Befunden nach hat Ofarim die Kette mit dem Symbol des Davidsterns innerhalb des Hotels nicht sichtbar getragen.
Der mögliche Zuruf einer Person in der Hotellobby, den „Stern einzupacken“, wie es Ofarims Video nahelegt, sei zumindest nicht ersichtlich, wenn auch nicht völlig auszuschließen.
Ofarims Verteidigerteam sieht allerdings den eventuellen Anfangsverdacht einer Manipulation des Materials gegeben, da auf einer Videosequenz aus der Bar zwei Sekunden fehlen, zu der Zeit, als Ofarim sich nebenan im Foyer aufhielt.
Fazit: Die gerichtliche Aufarbeitung des Geschehens dauert an und braucht wohl noch einige Zeit. Längst ist die Erstattung des Gutachtens zu den Überwachungsvideos noch nicht abgeschlossen und weitere Zeugen stehen auf der Befragungsliste. Der Prozess wird am 28. November fortgesetzt, derzeit sind fünf weitere Verhandlungstage geplant.
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