Sie fliehen vor Klimawandel-Folgen, Bürgerkriegen, Verfolgung und Perspektivlosigkeit, hoffen auf ein besseres Leben in Europa. Tausende Menschen sind in diesem Jahr bereits über Belarus und Polen in die Bundesrepublik eingereist, oft unter lebensgefährlichen Bedingungen. Doch auf einer der Touren lief nicht alles wie geplant. Seit Mittwoch müssen sich zwei mutmaßliche Schleuser aus der Ukraine vor dem Landgericht Leipzig verantworten.
Laut Anklage hatte Volodymyr P. (37) gemeinsam mit der Mitangeklagten Iryna K. (38) am 4. Mai vier Männer aus dem ostafrikanischen Eritrea sowie einen Jemeniten in einem Renault Megane Scenic von der Grenze zu Weißrussland abgeholt und über Polen bis nach Sachsen gebracht. Die Migranten im Alter zwischen 16 und 41 Jahren sollen an unbekannte Hinterleute bereits vorab je 1.300 Euro für ihre Schleusung in die Bundesrepublik hingeblättert haben. Doch nach der Ankunft in Deutschland habe Volodymyr P. noch einmal 1.500 Euro Nachschlag für seine Tätigkeit eingefordert, sagte Staatsanwalt Eike Gildemeister beim Prozessauftakt.
Afrikaner festgehalten: Polizei in Leipzig befreite die Geisel
Bei einem Zwischenstopp hätten sich vier der fünf Menschen abgesetzt und das Weite gesucht. Doch der Eritreer Mokonen T. sei festgehalten, mit einem Messer bedroht, dabei auch verletzt und geschlagen worden, heißt es in der Anklage. Volodymyr P. habe 25-jährigen Afrikaner dazu gezwungen, Verwandte anzurufen und eine Überweisung von weiteren 3.000 Dollar zu veranlassen. Weil dies nicht den gewünschten Erfolg brachte, soll der 37-jährige Ukrainer dann einen der kurz zuvor davongelaufenen Männer per Messenger unter Druck gesetzt haben, Mokonen T. könne etwas Schlimmes zustoßen.
Letztlich hätten die zwei Ukrainer mit ihrer Geisel die Leipziger Wohnung von Iryna K. angesteuert und dort die Nacht verbracht. Bei der Weiterfahrt am nächsten Morgen, dem 6. Mai, konnte der festgehaltene Mokonen T. durch Klopfen und Winken auf sich aufmerksam machen. Die Polizei setzte dem Treiben ein Ende, nahm das mutmaßliche Schleuser-Pärchen fest und befreite den 25-jährigen Afrikaner. Es ist ein schockierender Vorfall, der, wenn er sich so bewahrheitet, auch die Brutalität und Skrupellosigkeit des Schleusergeschäfts vor Augen führt.
Brutales Geschäft mit der Not von Menschen
Die Polizei im sächsischen Grenzgebiet greift derzeit nahezu täglich Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und vielen weiteren Ländern auf, die über die polnische Grenze nach Deutschland gelangen. 13.500 Personen wurden z. B. im Polizeibezirk Pirna während der ersten Jahreshälfte 2023 festgestellt. Die Aufgegriffenen, die oft ein Schutzersuchen stellen, werden dann meist an Erstaufnahmeeinrichtungen weitergeleitet, mutmaßlich an der Schleusung Beteiligte festgenommen und gegebenenfalls in Untersuchungshaft geschickt.
Dies geschah auch mit Voloymyr P., während Iryna K. aktuell auf freiem Fuß ist. Leipziger Gerichte sind gleichwohl von Vorwürfen der Einschleusung von Ausländern wegen ihrer Grenzferne tendenziell weniger betroffen. „Wir machen das als Kammer auch nicht in großer Regelmäßigkeit“, stellte der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr zum Prozessauftakt am Mittwoch fest.
Die meisten Geschleusten sind unbekannten Aufenthalts
Da die meisten der im Mai eingeschleusten Personen heute unbekannten Aufenthalts und für die Behörden als Zeugen nicht greifbar sind, hat sich für die angeklagten Ukrainer allerdings ein Hintertürchen für eine deutliche Strafmilderung geöffnet: Gegen glaubhafte Geständnisse könnte das Duo potenziell mit geringeren Sanktionen davonkommen, so das Ergebnis eines Rechtsgesprächs zwischen Kammer, Staatsanwaltschaft und Verteidigung am Mittwoch. Volodymyr P. müsste, wenn die Verständigung so umgesetzt wird, in Summa wohl weniger als drei Jahre in Haft.
Angeklagt sind das Einschleusen von Ausländern in fünf Fällen, bei Volodymyr P. kommen erpresserischer Menschenraub, gefährliche Körperverletzung und schwere räuberische Erpressung obendrauf. Sein Mandant habe noch Überlegungsbedarf, ob er sich auf den Deal einlasse, erklärte Verteidiger Dr. Stephan Flemming.
Der Prozess wird fortgesetzt, zwei weitere Verhandlungstage bis 26. September stehen aktuell auf dem Programm.
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