Mirko N. (Name geändert) und Sven Liebich sind keine Freunde, doch kennen sie sich offenbar schon lange. Am Freitag trafen sie im Leipziger Amtsgericht wieder aufeinander: Der Hallenser Rechtsextremist und Aktivist Sven Liebich soll den Fotografen auf der Querdenker-Demo am 7. November 2020 in Leipzig mit mehreren Personen brutal attackiert haben. Ganz eindeutig scheint die Sachlage aber zumindest bislang nicht.
Alles unübersichtlich, die Stimmung aggressiv, die Polizei unterlegen und überfordert: Die komplett eskalierte Querdenker-Demonstration gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen am 7. November 2020 auf dem Leipziger Ring bot die perfekte Mixtur, um potenziellen Angreifern einen scheinbar sicheren Raum zu bieten.
Seit Freitag aber müssen sich eine Frau und drei Männer wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Leipziger Amtsgericht verantworten: Das Quartett, darunter der berüchtigte Rechtsextremist Sven Liebich, soll einen Fotografen am Abend auf der Gleisschleife vom Georgiring Richtung Hauptbahnhof inmitten des Querdenker-Aufzugs brutal angegriffen und misshandelt haben.
Angeklagte: Wollten ihn nur der Polizei übergeben
Laut Anklageschrift, die Staatsanwalt Manuel Rothe am Freitagmorgen im Amtsgericht verlas, war dem womöglich ein Schlag des Fotografen Mirko N. gegen Sven Liebich vorausgegangen. Allerdings sei der Geschädigte daraufhin durch den 52-jährigen Liebich und dessen damalige Lebensgefährtin Caroline K. (27) festgehalten, geschlagen und getreten worden, obwohl von ihm keine Gefahr mehr ausgegangen sei. Am Angriff auf den Mittvierziger, der wegen seiner mutmaßlichen Attacke auf Liebich parallel als Beschuldigter eines Strafverfahrens geführt wird, sollen sich außerdem noch Matthias B. (42) und Uwe H. (52) beteiligt haben.
Zu all dem wollten die Angeklagten Uwe H. und Matthias B. – letzterer wies über seinen Verteidiger gleichwohl jede Tatbeteiligung von sich – am Freitag nichts sagen. Sven Liebich und Caroline K. hingegen schilderten die Situation so, dass sie den Fotojournalisten nach dessen Schlag gegen Liebich lediglich hätten festhalten und der Polizei übergeben wollen. Caroline K. hatte, so berichtet ihre Anwältin, nach dem Vorfall und der Anzeige ihre Anstellung als Erzieherin verloren.
Aufzug von Querdenkern eskalierte komplett
Beide beschrieben zudem die extrem unübersichtliche Dynamik des Geschehens am 7. November 2020. Tausende Gegner der Pandemie-Maßnahmen, Verharmloser und Leugner von Corona, die auch aus dem Hooligan- und Neonazimilieu kamen, hatten damals entgegen der Auflage einer stationären Kundgebung eine Polizeisperre am Wintergartenhochhaus überrannt, um ihren Marsch durchzusetzen. Es kam zum Einsatz von Pyrotechnik sowie massiver Gewalt gegen Presse und Polizeikräfte. Der Einsatz der Gesetzeshüter unter dem damaligen Leipziger Polizeipräsidenten Torsten Schultze geriet zum völligen Desaster, das bis hinauf zum Landtag thematisiert wurde.
Liebich wurde nach eigener Aussage ins Gesicht geschlagen
Erahnen lässt sich die aggressive Stimmung anhand von Videoaufnahmen Umstehender, die vielleicht entscheidend dazu beitrugen, dass es zu einer gerichtlichen Anklage kam. Eine der Sequenzen, die Amtsrichterin Laura Zunft am Freitag immer wieder im Gerichtssaal abspielen ließ, zeigt eine chaotische Situation, als der Geschädigte durch mehrere Personen umringt, angegangen, festgehalten und teilweise geschlagen wird. Auch der mit weißem Overall bekleidete Sven Liebich ist dabei. Nach etwa 15 Sekunden stürmen Polizeieinheiten ins Bild hinein und die Situation löst sich auf.
Liebich hatte, so stellt er es dar, vorab einen Schlag ins Gesicht durch den Fotografen abbekommen. Eine Aufnahme zeigt, wie dieser seinen Arm gegen Liebich erhebt.
Mirko N. selbst, der Nebenkläger im Prozess ist, erklärte diesen „Schubser“, wie er es nannte, mit einer gefühlten Gefahr durch Sven Liebich, der auf ihn zukam: „Für mich war es eine bedrohliche Situation“, so der Fotograf, der mit einer Bekannten unterwegs war und bestätigte, Liebich und sein Umfeld schon lange aus der Hallenser Demoszene zu kennen. Generell gehe seiner Ansicht nach von Liebich eine Gefährdung aus. Rechtsanwalt Andreas Wölfel bemühte sich, diesen Eindruck zu zerstreuen. Sein Mandant sei friedlich: „Die Videos zeigen eindrucksvoll, dass Liebich derjenige war, der attackiert wurde, nicht der, der attackiert hat.“
Wer ist Sven Liebich?
Dass Liebich, unabhängig vom jetzigen Tatvorwurf, tatsächlich alles andere als harmlos ist, lässt sich leicht nachvollziehen. Der gebürtige Merseburger, der bald 53 Jahre alt wird, zählte laut belltower.news seit den 1990er Jahren zu den führenden Neonazis in Sachsen-Anhalt, unter anderem als treibende Kraft hinter dem Ableger des heute verbotenen Netzwerks „Blood and Honour.“ Fiel der Rechtsaußen-Aktivist in Corona-Hochzeiten durch entsprechende Demos auf, vertrat er mit Beginn des völkerrechtswidrigen Großangriffs auf die Ukraine wiederholt betont russlandfreundliche Positionen.
Vorwürfe von Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Beleidigungen und üble Hetztiraden begleiten den Dauer-Provokateur seit Jahren. Der Verfassungsschutzbericht Sachsen-Anhalts 2022 widmet ihm mehrere Seiten, der MDR hat intensiv zu seinem Treiben recherchiert.
Meist kam er bisher glimpflich davon
Trotz hunderter Anzeigen und Strafverfahren ließ die Justiz den Mann oft mit einem blauen Auge davonkommen – zumindest bisher. Im Juli kassierte er durch das Hallenser Amtsgericht dann immerhin anderthalb Jahre Gefängnis unter anderem wegen Beleidigung, Volksverhetzung und übler Nachrede. Dieses vielfach begrüßte Urteil ist bisher noch nicht rechtskräftig und Liebich vorerst weiter auf freiem Fuß.
Ob das Leipziger Amtsgericht am Ende auch ein Machtwort sprechen wird? Eine Entscheidung könnte es kommenden Freitag geben. Dann wird der Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung fortgesetzt und wahrscheinlich ein Urteil gefällt.
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