Nach mehreren Schüssen durch Polizeibeamte wurde er gestoppt und verletzt, nun sitzt er auf der Anklagebank: Sieben Monate nach einer wilden Verfolgungsjagd im Süden von Leipzig muss sich ein 38-jähriger Mann seit Montag vor dem Amtsgericht verantworten. Zum Prozessauftakt erhoben er und sein Anwalt massive Vorwürfe gegen die beteiligten Polizeikräfte.
Wildwestartige Szenen spielten sich am späten Nachmittag des 9. Januar 2023, etwa 17:30 Uhr, im Leipziger Süden ab. Nach einer Verfolgungsjagd an jenem Montag stoppten mehrere Polizeiwagen einen silberfarbenen Mercedes C-Klasse an der Auffahrt zur B2 im Bereich Koburger Straße. Schüsse fielen in der Dämmerung und verletzten den 38-jährigen Autofahrer, der vor Ort erstversorgt und anschließend in einer Klinik operiert wurde.
Verfolgungsjagd im Süden
Gut sieben Monate danach steht Thomas H. seit Montag, dem 14. August, als Angeklagter vor dem Amtsgericht. Die Staatsanwaltschaft wirft dem gelernten Schweißer unter anderem versuchte gefährliche Körperverletzung, einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Fahren ohne Fahrerlaubnis und Urkundenfälschung vor.
Laut Ermittlungen soll sich der 38-Jährige am Tattag unter dem Einfluss von Drogen einer Verkehrskontrolle entzogen haben, indem er von der Willy-Bredel-Straße in Lößnig aus mit dem Mercedes über Nibelungenring, Bornaische Straße, einen dortigen Rewe-Parkplatz und Prinz-Eugen-Straße in Richtung B2 brauste, mit Spitzengeschwindigkeiten um 100 km/h. Auch über einen Wäscheplatz vor einem Wohnhaus sei er gefahren.
Auf der waghalsigen Flucht habe der zuletzt in der Nähe von Leipzig wohnhafte Thomas H. mehrere Streifenwagen beschädigt. Der gesamte Sachschaden liegt bei etwa 53.000 Euro.
Staatsanwaltschaft: Angeklagter wollte Straftaten verdecken
Als ihn mehrere Polizeiautos an der Auffahrt zur B2 eingekesselt hatten, soll Thomas H. schlussendlich über die Beifahrerseite des Wagens herausgeklettert und mit einer Machete auf die Polizisten zugegangen sein. Zwei von ihnen zielten daraufhin nach einem Warnschuss auf Thomas H., der erheblich verletzt und noch am Abend im Krankenhaus operiert wurde. Motiv des Angeklagten für seine Flucht sei die Verdeckung von Straftaten gewesen, da er unter Einfluss von Drogen gestanden habe. Zudem seien die Kennzeichen des nicht zugelassenen Kraftfahrzeugs fremd und Thomas H. nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis gewesen, so die Anklageschrift.
Verdächtiger mehrfach vorbestraft
Für die Polizei war Thomas H., der aktuell in Untersuchungshaft sitzt, zum Zeitpunkt der Festnahme kein Unbekannter. Seine Akte umfasst laut Behörden unter anderem Eigentums- und Verkehrsdelikte sowie Straftaten wegen Betäubungsmitteln. Als er gefasst wurde, stand er unter Bewährung.
Nach einem vertraulichen Gespräch zwischen Gericht, Anklage und Verteidigung räumte Thomas H. am Montag einige der Vorwürfe ein: Demnach habe er in der Willy-Bredel-Straße beim Einparkversuch im Rückspiegel einen Polizisten wahrgenommen, der aus einem zivilen Polizeifahrzeug auf das Auto zugelaufen sei. Daraufhin habe er Gas gegeben und sei geflüchtet, da der PKW nicht zugelassen, er selbst unter Einfluss von Crystal und ohne gültigen Führerschein war, gab Thomas H. zu Protokoll.
Lügen- und Vertuschungsvorwürfe Richtung Polizei: „Man versucht, die ganze Schuld auf mich abzuwälzen“
Beim Showdown an der Auffahrt zur B2 schließlich sei ein Polizist auf die Motorhaube des Mercedes gesprungen, habe die Frontscheibe einzuschlagen versucht und gedroht, ihm „in die Fresse zu hauen“, so Thomas H. weiter. Umstellt von einem halben Dutzend Beamten mit geladenen Waffen habe er, nachdem Reizgas ins Wageninnere versprüht worden war, nach einer Machete gegriffen und sei durch die Beifahrerseite mit einer Art Purzelbaum nach draußen gelangt: „Ich hatte sehr große Angst davor, mich den aggressiven Beamten auszuliefern. Es war fast schon wie bei einem wilden Tier, auf das man gelauert hat.“
Kurz darauf seien bereits die Schüsse gefallen, obwohl er nur über seine gewaltfreie Verhaftung habe verhandeln wollen, sagte Thomas H., der beteuerte, es habe mehrere Gelegenheiten gegeben, ihn ohne Schusswaffengebrauch zu fassen. „Es ist nicht zu erklären, wie man bei einem Einsatz so viele falsche Entscheidungen treffen kann.“ Dieser sei „unverhältnismäßig und brutal“ gewesen, auch im Nachhinein habe sich niemand entschuldigt: „Vielmehr versucht man durch Lügen und Vertuschen die ganze Schuld auf mich abzuwälzen“, warf Thomas H. den Polizeikräften vor.
Auch Verteidiger Curt-Matthias Engel hatte den Einsatz zuvor heftig kritisiert. Sein inhaftierter Mandant bräuchte dringend Physiotherapie und Reha-Maßnahmen, um die Folgen der Schussverletzungen zu behandeln.
Maßregelvollzug für Angeklagten denkbar
Das Schöffengericht sichtete am Montag die Video- und Audioaufnahme einer Bodycam der Polizei. Sirenengeheul, hektische Stimmen, Schüsse und Schmerzensschreie ließen die Dramatik des Geschehens zumindest erahnen. Zudem wurden die ersten Zeugen aus den Reihen der beteiligten Ordnungshüter befragt.
Im Falle einer Verurteilung wäre laut Gericht denkbar, dass Thomas H. wegen seiner Drogenprobleme in den Maßregelvollzug geschickt wird. Auch die Frage einer womöglich verminderten Schuldfähigkeit steht im Raum. Er habe nicht rational denken und handeln können, schätzte Thomas H. sich selbst und sein Verhalten ein.
Es sind derzeit zwei weitere Prozesstage bis 30. August eingeplant.
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Das ist schon ganz schön weltfremd von Polizeigewalt zu sprechen, wenn man mit Machete aus dem umzingelten Auto steigt.