Streit um die Vorlage „Ausführungsbeschluss zur Ersatzbeschaffung von Verkehrsüberwachungstechnik 2023/2024“ gab es am 5. Juli zwar nicht. Aber ein paar Sätze dazu wollte SPD-Fraktionsvorsitzender Christopher Zenker dann doch loswerden, denn schon lange ärgert ihn, wie in den Foren etwa der LVZ immer wieder herum gepöbelt wird, wenn irgendwo ein „Blitzer“ aufgestellt wird. Und wie dann regelmäßig von „Abzocke“ die Rede ist. Ganz so, als wäre Rasen in der Stadt ein Autofahrer-Grundrecht. Ist es aber nicht.
Wer rast oder gar das Rot an Ampeln ignoriert, gefährdet Menschenleben. Wenn eine Stadt an neuralgischen Punkten Überwachungsanlagen zur Geschwindigkeit aufbaut, wirkt das natürlich eindämmend, bringt viele Autofahrer dazu, sich an die vorgegebene Geschwindigkeitsbegrenzung zu halten. „Geblitzt“ werden in der Regel nur all jene, die es trotzdem nicht lassen können, immer wieder mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt zu rasen. Und das sind eine ganze Menge, so am Jahresende, wenn die Stadt zusammenrechnet, was sie an Bußgeldern wegen Geschwindigkeitsüberschreitung eingenommen hat.
Das macht die Vorlage, die am 5. Juli in der Ratsversammlung zur Abstimmung kam, deutlich, wenn das Ordnungsamt die eingenommenen Bußgelder auflistet. Bis 2021 waren es jedes Jahr über 6 Millionen Euro. 2022 stieg die Gesamtsumme sogar auf 9,63 Millionen Euro, weil in diesem Jahr auch die Sätze im Bußgeldkatalog erhöht worden waren.
Die Vorlage „Ausführungsbeschluss zur Ersatzbeschaffung von Verkehrsüberwachungstechnik 2023/2024“
Geld, mit dem Leipzig mittlerweile rechnet, auch wenn die Vorlage betont, dass es bei der Verkehrsüberwachung nicht primär um wirtschaftliche Ziele geht.
Denn andererseits kostet Verkehrsüberwachung auch eine Menge Geld, besonders jetzt, da die meisten Überwachungsgeräte an die Grenze ihrer Zulassung geraten, wie die Vorlage betont: „Um die Aufgabenwahrnehmung der Verkehrsüberwachung zu sichern, sind seitens des Ordnungsamtes umfassende Ersatzbeschaffungsmaßnahmen erforderlich, da ein Großteil der vorhandenen Messgeräte zum Stichtag 31.12.2024 die Bauartzulassung verliert und somit nicht mehr eingesetzt werden können.“
Wenn Laser die Straßen abtasten
Es muss also eine Menge neuer Technik angeschafft werden. Das kostet, auch wenn die Vorlage aus gutem Grund keine Summe nennt, mit der Leipzig jetzt in die Ausschreibung geht: „In der nichtöffentlichen Anlage 1 (Finanzierung) wird das benötigte Finanzvolumen für die Ersatzbeschaffungen benannt und aufgeschlüsselt. Bei Öffentlichkeit dieser Anlage würden potenzielle Interessenten einerseits Kenntnis über die Angebotspreise anderer Marktteilnehmer erlangen und andererseits bereits vor Durchführung der erforderlichen Vergabeverfahren erfahren, welche finanziellen Mittel seitens der Stadt Leipzig maximal investiert werden.
Dies hätte zur Folge, dass im Rahmen der Vergabeverfahren kein ordnungsgemäßer Wettbewerb gewährleistet werden kann (§ 97 Abs. 1 GWB, Vergabegrundsätze).“
Aber deshalb ging Christopher Zenker nicht ans Mikro. Auch nicht unbedingt nur wegen der Ermahnung an all die wortgewaltigen Kommentatoren, die sich jedes Mal über eingesetzte „Blitzer“ aufregen, als würden diese Geräte in ihre Grundrechte eingreifen. Was sie nicht tun. Denn wer sich an die Regelgeschwindigkeit hält, wird nun einmal auch nicht geblitzt.
Wie das funktioniert, beschreibt die Vorlage z. B. so: „Bei der stationären laserbasierten Überwachung von Geschwindigkeits- und Rotlichtverstößen werden fächerförmig ausgesandte Laserstrahlen mit über 15.000 Lichtimpulsen pro Sekunde ausgesandt, die zunächst alle Fahrzeuge im definierten Erfassungsbereich erfassen und verfolgen. Gleichzeitig wird geräteintern geprüft, ob ein Verstoß vorliegt, sodass dieser als Falldatensatz erfasst und zur Ahndung weitergereicht wird.
Das Messverfahren ist dabei mehrzielfähig, sodass mehrere Fahrstreifen simultan erfasst werden können. Ein Vorteil der laserbasierten Verkehrsüberwachung ist der nicht-fahrbahninvasive Aufbau, sodass Eingriffe in die Fahrbahndecke zur Installation von Sensoren und Detektorschleifen, ebenso wie aufwändige Wartungen zukünftig entfallen.“
Polizeipräsident in der Kritik
Aber tatsächlich galt Zenkers kurze Rede jemand anderem, der hier in Leipzig seine Funktion als Polizeipräsident augenscheinlich nicht ausfüllt: René Demmler, zuletzt massiv in der Kritik wegen der völlig überzogenen Polizeiaktion am 3. Juni. Da standen, da man bürgerkriegsähnliche Zustände befürchtete, kurzerhand 4.300 Polizisten in der Stadt, um „Stärke zu demonstrieren“.
Aber gerade diese Ballung machte deutlich, dass man Leipzig Polizisten an anderer Stelle schon seit Jahren nicht mehr gesehen hat: nämlich in der Überwachung des fließenden Verkehrs. Diese Überwachung wurde vor zehn Jahren großenteils eingestellt, weil die vom damaligen Innenminister angestoßene „Polizeireform 2020“ vor allem eine Streichung von Stellen im Polizeidienst war. Mit fatalen Folgen in ganz Sachsen und auch in Leipzig.
Inzwischen wurde die Zahl der Polizeibediensteten sachsenweit wieder deutlich aufgestockt. Die Polizeidirektionen haben ihre Verkehrsüberwachung wieder ausgebaut. Nur in Leipzig sieht Zenker davon nichts. Auch wenn das Innenministerium dennoch entsprechende Zahlen liefert – aber eben für den gesamten Direktionsbezirk Leipzig, zu dem auch die beiden Landkreise gehören. Dass es hier deutliche Ungleichgewichte gibt, zeigt der Vergleich mit Dresden, wo im vierten Quartal 2022 immerhin 15.801 Geschwindigkeitsverstöße von der Polizei registriert wurden, im ersten Quartal 2023 dann 16.040.
Im Bereich der Polizeidirektion Leipzig wurden in denselben Zeiträumen aber nur 6.321 bzw. 9.279 Geschwindigkeitsverstöße festgestellt. Das erzählt von einer deutlich geringeren Kontrolltätigkeit.
Es ist eine Lücke, welche die Stadt nicht ausfüllen kann. Sie kann zwar mit technischer Verkehrsüberwachung Geschwindigkeitsüberschreitungen ahnden. Aber das Leipziger Ordnungsamt darf nicht in den fließenden Verkehr eingreifen. Das darf nur die Polizei.
Und so war Zenkers Mahnung zuallererst an René Demmler gerichtet, in Leipzig auch polizeilich wieder zu einer stärkeren Verkehrsüberwachung zurückzukehren.
Gegen die Vorlage der Stadt hatte er gar nichts einzuwenden. Die fand er sogar richtig gut.
Im Grunde brauchte die Verwaltung nur das Okay des Stadtrates, um die Beschaffung der neuen Geräte starten zu können. Aber erstaunlicherweise fanden sich tatsächlich sechs Stadträte, die sich dabei enthielten. Ansonsten war es ein klares Ja zur Beschaffung der dringend benötigten neuen Technik.
Es gibt 3 Kommentare
Polizisten, lieber Autor, haben nach meinem Eindruck seit Jahren eine seltsame Angst, etwa Verkehrsregelung mittels Stab und Kelle vorzunehmen, wie es einstmals etwa Rolf Herricht als Held in “Geliebte weiße Maus” vor mehr als 60 Jahren in Dresden tat. “Brust und Rücken – Bremse drücken” war ein Merkspruch für Kraftfahrzeugführerinnen und -führer, den meine Mutter zu ähnlicher Zeit aufgeschnappt und zeitlebens bewahrt hatte, um sich das richtige Verhalten beim Ansichtigwerden eines Verkehrspolizisten herbeizumurmeln.
Und nun werden Sie sagen, tja, kein Wunder, die Automassen und Blechschlangen sprechen eine klare Sprache. Aber genau das ist viel zu einfach. Und daß das Ordnungsamt mit Verkehrsüberwachung keine roten Zahlen schreiben will, versteht sich am Rande, und das ist per se ein Problem, weil dadurch immer ein Gewinninteresse mit dabei ist. Was denen, die “Raser” und “Gehwegparker” skandieren, aber auch recht ist. Ja, es gibt Raser, Leute mit überlaut gemachten tiefergelegten Fahrzeuggeschossen. Aber es sind sehr wenige. Laut sind übrigens nicht nur zudem rumpelige Straßenbahnen, die ich gestern abend auf der Zschocherschen Straße zwei Stunden lang erlebte, sondern bei abebbendem Verkehr auch olle Skateboards, die ohrenbetäubend sein können, wie auch Rollkoffer, die seit kurzen in Dubrovnik verboten worden sind, übrigens.
Und zur Haltung von User “Uwe”: die Autorität des Staates ist erstens da und wegen mir auch ein Wert an sich, aber zweitens nichts, was alle gesellschaftlichen Probleme zurechtrückt.
@Uwe:
Da stimme ich Ihnen vollumfänglich zu, wobei ich es auf alle Mobilitätsarten erweitern würde.
Ein Staat, der Gesetze erlässt und deren Einhaltung dann nicht kontrolliert und deren Nichteinhaltung nicht sanktioniert (Rasen, Falschparken, …), braucht sich nicht zu wundern, wenn seine Bürger a) Gesetzesverletzungen als akzeptabel ansehen und b) die Autorität des Staates zunehmend negieren…