Es war für viele eine Überraschung: Das Leipziger Amtsgericht sprach am Dienstag, dem 4. Juli, fünf Aktivisten der „Letzten Generation“ frei, sie waren wegen Nötigung im Rahmen einer Straßenblockade auf dem Ring vor über einem Jahr angeklagt. Die Richterin wog in ihrer Begründung die widerstreitenden Interessen von Klimaschützern und Autofahrern gegeneinander ab.

Am Ende der Verhandlung wurde es emotional und persönlich: Ihre eigene Mutter, so trug die Angeklagte Pia O. (27) im Schlusswort mit brüchiger Stimme vor, habe vor einiger Zeit die Diagnose Brustkrebs erhalten. Dass sie die schwere Erkrankung zum Glück überstand und heute nicht im Gerichtssaal dabei sein könne, weil sie wieder arbeiten geht, sei einer raschen Reaktion und medizinischen Behandlung zu verdanken. Warum, so die Botschaft, werde bei der aktuellen Klimakrise nicht ebenso entschlossen gehandelt?

Auch die vier anderen Angeklagten Kevin H. (31), Leon M. (26), Elena T. (24) und Maike G. (22) hatten das ihnen zustehende, letzte Wort für ausführliche Erklärungen genutzt. Es ging um die globale Klimakrise, Hitze, Wasserknappheit, sich erwärmende Ozeane und eine Politik, die im Angesicht der Katastrophe nicht oder nur zaghaft gegensteuert, mithin das Leben nicht schützt: „Wir werden angeklagt. Dabei ist es unsere Regierung, die mit ihrem Kurs den Boden der Verfassung verletzt“, sagte Maike G. vor dem Urteil.

Ihre Mitstreiterin Elena T. wandte sich direkt an Amtsrichterin Laura Jankowski. Ein Strafrecht müsse sich fortentwickeln, bei der Klimafrage gehe es um Leben und Unversehrtheit zahlloser Menschen: „Auf welcher Seite der Geschichte stehen Sie, Frau Richterin?“

Blockade auf dem Ring vor über einem Jahr

Der Sachverhalt selbst war unstrittig und wurde von allen Angeklagten am ersten Prozesstag vergangene Woche weitgehend eingeräumt: Es ging um Nötigung, genauer eine Straßenblockade auf dem Leipziger Cityring in Höhe der Oper. Am frühen Morgen des 13. Juni 2022 hatten die Angeklagten beide Fahrbahnen im Berufsverkehr besetzt, um gegen den „fossilen Wahnsinn“ zu protestieren. Wegen des schnellen Eingreifens der Polizei gelang es nur Kevin H. und Pia O., sich auf dem Untergrund festzukleben. Einer der Fahrstreifen Richtung Hauptbahnhof war nach wenigen Minuten wieder frei, auf der Gegenseite dauerte es etwas länger. Nach etwa einer Stunde floss der gesamte Verkehr wieder reibungslos.

Verteidiger verweisen auf Versammlungsrecht und kritisieren Polizei

Für die Verteidiger der fünf Angeklagten war die geringe Auswirkung und kurze Dauer der Blockade einer von mehreren Gründen, warum sie eine Verwerflichkeit des Handelns ihrer Mandanten ablehnten. Von den Autofahrern, die im Stau gestanden hatten und als Zeugen aussagten, hatte offenbar keiner gravierende Nachteile erlitten. Unter ihnen waren unter anderem ein Handwerker, ein Rechtsanwalt und eine Tierärztin, alle befanden sich am fraglichen Morgen auf ihrem Arbeitsweg.

Die Rechtsbeistände der Angeklagten argumentierten übereinstimmend, ihre Mandanten hätten ihr Versammlungsrecht genutzt, per Pressemitteilung sei vorab eine Blockade zumindest grob angekündigt gewesen. Der Protestort habe einen klaren Sachbezug gehabt, obendrein gab es eine Rettungsgasse für den Notfall und theoretisch eine Umfahrungsmöglichkeit. Auch habe sich der Verkehrsfluss durch eine Sperrung der Polizei zusätzlich verzögert, die dazu das Versammlungsrecht missachtet habe, warf Rechtsanwalt Alexander Gorski, Verteidiger von Kevin H., den Verantwortlichen vor.

Sein Kollege Tobias Krenzel, der Elena T. vertrat, verwies auf die Polizeigewalt gegen seine Mandantin, der die Hand weggetreten worden sei, um sie anschließend von der Straße zu schleifen.

Staatsanwaltschaft forderte Geldstrafen

Die Anklage hatte vieles zuvor völlig anders gesehen. Man habe, plakativ ausgedrückt, keine „klassischen Kriminellen“ vor sich. Doch heilige der Zweck nicht die Mittel, auch Aktivisten seien an Recht und Gesetz gebunden, sagte Staatsanwältin Sabine Winkler in ihrem Plädoyer: „Es war eine psychische Einwirkung auf die Autofahrer.“ Und: „Sich diese als Instrument herauszusuchen, spricht für eine Verwerflichkeit, die nicht nachzuvollziehen ist meines Erachtens.“ Winkler forderte Geldstrafen zu je 30 Tagessätzen, insgesamt jeweils 600, 750 bzw. 900 Euro. Für ihre Ausführungen erntete sie zum Teil heftige Kritik der Verteidiger.

Richterin: „Die persönliche Meinung darf keine Rolle spielen“

Deren Argumente ließ Amtsrichterin Laura Jankowski am Ende großteils gelten: Zwar sei der Verdacht einer Nötigung gegeben und die Polizei zum Eingriff berechtigt gewesen. In der Abwägung stünden sich jedoch Versammlungsfreiheit der Klimaschützer und Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer gegenüber. Hier sprächen die kurze Blockadedauer, die geringen Auswirkungen, der Sachbezug zur Klimafrage und die Vorab-Ankündigung gegen eine Verwerflichkeit. Auch sei die Situation stets beherrschbar und die Stimmung kooperativ gewesen.

Nicht zuletzt sei die Versammlung zu keiner Zeit aufgelöst worden. Unter Verweis darauf, dass „sozial adäquate Nebenfolgen“ bei einer Versammlung in Kauf genommen werden müssten, sei sie zu dem Schluss gelangt, dass die Angeklagten nicht verwerflich agiert hätten, so Jankowski.

Keine Rolle bei dieser Einzelfall-Entscheidung habe das Ziel des Protestes gespielt: „Dem Strafgericht, das betone ich auch hinsichtlich der letzten Worte der Angeklagten, steht keine Wertung zu, ob das Anliegen schützenswert ist. Die persönliche politische Meinung von Richterinnen und Richtern darf keine Rolle spielen.“

Neue Blockade nach dem Freispruch

Die Angeklagten und ihre Unterstützer im Publikum, die den Freispruch mit sichtbarer Freude quittierten, versammelten sich nach dem Prozess zu einer Kundgebung vor dem Amtsgericht.

Blockade im Süden.
Schon kurz nach Prozessende wurde erneut eine Straße blockiert. Foto: Lucas Böhme

Kaum eine Stunde nach dem Urteil nahmen einige von ihnen an einer neuen, etwa zweistündigen Straßenblockade teil, diesmal an der Kurt-Eisner-, Ecke Karl-Liebknecht-Straße. Aktivistin Maike G. hatte schon in ihrem Schlusswort betont: „Ich werde außerhalb dieser vier Wände weitermachen, das ist mein Recht und das ist meine Pflicht.“

Der Freispruch ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft kann innerhalb einer Woche in Berufung gehen.

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Es gibt 4 Kommentare

@baschti:
Knapp daneben, ich laufe. Eine Versammlung wäre es wenn es angemeldet worden wäre. Was Whataboutism ist müssen Sie wahrscheinlich nochmal nachlesen.

Nerv getroffen? Whataboutismus wäre, wenn ich sagen würde, dass sich die Gerichte um wichtigeres kümmern sollten, Falschparker oder Steuerbetrug oder so. Oder auf etwas ganz anderes Verweise, Regenwald oder so.
Aber Behinderungen durch eine Versammlung mit Behinderungen durch eine andere Versammlung zu vergleichen?
Naja gräme dich nicht, fahr einfach drumrum!

Schlimm genug, dass das überhaupt zur Anzeige kommt. Als die letzten Jahre rechtsextre…, ich meine besorgte Bürger ständig den Ring blockierten, kam auch kein Autofahrer (und auch kein RTW) durch. Und hat die eigenmächtig von der Straße gezerrt oder (fast) überfahren.

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