Mit einer Blockade auf dem Cityring vor mehr als einem Jahr befasst sich seit Donnerstag das Leipziger Amtsgericht. Fünf Mitglieder der „Letzten Generation“ (LG) sind wegen Nötigung angeklagt. Am Ablauf des Geschehens gibt es wenig zu deuteln. Das Gericht nimmt sich dennoch Zeit und will die Vorwürfe gründlich beleuchten. Die Verteidigung brachte dann am Ende sogar noch einen Überraschungszeugen auf.
Blockade im Berufsverkehr
Pia O. schien gut vorbereitet. Als zweite der fünf Angeklagten verlas die 27-jährige am Donnerstag vor dem Amtsgericht ihre Erklärung zum Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Darin ging es um die Straßenblockade auf dem Leipziger Cityring am 13. Juni 2022. Am frühen Morgen kurz nach 7 Uhr war der Verkehr an der Fußgängerampel in Höhe der Oper auf beiden Fahrspuren damals blockiert worden, durch je zwei beziehungsweise drei Personen.
Ein Ankleben auf dem Untergrund gelang nur teilweise, da die Polizei rasch eingriff. Richtung Hauptbahnhof war eine der Spuren nach kurzer Zeit wieder frei, gut eine Stunde später floss der gesamte Verkehr weitgehend normal.
Es tue ihr leid, gestört zu haben, so Pia O., aber die Klimakatastrophe lasse keine andere Wahl: „Protest, der nicht stört, hat sein Ziel verfehlt“, zeigte sich die Bildungsbeauftragte überzeugt.
Die Bundesregierung erfülle mit ihrer Klimapolitik nicht den grundgesetzlichen Schutzauftrag für das Leben, viele Errungenschaften hätten durch Ungehorsam erkämpft werden müssen, wie das Frauenwahlrecht, das Ende von Sklaverei und sogenannter Rassentrennung.
Die Sicht der Angeklagten auf das Geschehene
Ähnlich wie Pia O. äußerten sich auch die vier anderen Angeklagten, die ebenfalls längere Reden hielten und ihre Beteiligung an der Blockade zugaben: „Alle milderen Mittel haben nicht ausgereicht, um das Leben zu schützen“, sagte Grafikdesignerin Elena T. (24).
Man müsse spürbare Konsequenzen schaffen, ein rationaler Blick auf die Fakten zum Weltklima reiche nicht. „Wir sind der Feueralarm, der jetzt sichtbar macht, was passiert und was auf uns zukommen wird.“
Man agiere stets gewaltfrei, zudem werde immer auf die Rettungsgasse geachtet, so auch der angeklagte Lehramtsstudent Leon M. (26): „Ich werde in den nächsten 40 Jahren Kinder unterrichten, ihnen ein Leben lang in die Augen sehen müssen. Ich möchte sagen, dass ich mir nicht anders zu helfen wusste.“
Der älteste auf der Anklagebank, der Bildungsbeauftragte Kevin H. (31), sprach über sein bisheriges Engagement für die Zivilgesellschaft sowie Erfahrungen mit Polizeigewalt und Haft. Die Frage, ob es all das wert sei, könne er für sich mit „Ja“ beantworten.
Finanzmanagerin Maike G. (22), die schon im Zusammenhang mit einer Klebe-Aktion in der Dresdener Gemäldegalerie für Aufsehen gesorgt hatte, bezeichnete friedliche, aber störende Protestformen als legitimes Mittel und übte Kritik an Durchsuchungsmaßnahmen gegen Klimaaktivisten.
Ihr Instinkt sage ihr, so nicht weitermachen zu können, betonte die junge Frau, die gar einen rechtfertigenden Notstand für die Blockade ins Spiel brachte.
Laut Strafgesetzbuch kann strafbares Handeln unter Umständen folgenlos bleiben, wenn es darum geht, Gefahren für Leben, Leib und Freiheit abzuwehren.
Autofahrer äußern sich meist gelassen
Die Verhandlung am Leipziger Amtsgericht wegen Nötigung war angesetzt worden, weil die Angeklagten Einspruch gegen ihre Strafbefehle eingelegt hatten. Wer allerdings böses Blut erwartet hatte, eine aggressive Konfrontation, wurde am Donnerstag eines Besseren belehrt: Die Stimmung im Saal blieb die meiste Zeit gelöst, teilweise heiter, etwa wenn Zeugen flapsige Antworten von sich gaben.
Vor dem Gerichtsgebäude gab es eine kleine Kundgebung, zudem wurde der Georgiring als Reaktion auf den Prozess blockiert. Störungen der vielen Unterstützerinnen und Unterstützer auf den Zuschauerbänken im Gerichtssaal blieben dagegen aus. Lediglich einmal wurde nach einem Angeklagten-Statement geklatscht, was Amtsrichterin Laura Jankowski sofort untersagte.
Neben Polizeikräften wurden mehrere der betroffenen Autofahrerinnen und Autofahrer angehört. Ernsthaften Schaden machte keiner geltend: Er habe mitbekommen, dass es um Klimaschutz gehe, so ein 50-jähriger Kraftfahrer, der auf dem Weg zum Postabholen im Amt war. Seine private Meinung wolle er nicht äußern.
Anders ein Rechtsanwalt (38), der seine Tochter am fraglichen Morgen zur Kita bringen und anschließend zur Arbeit fahren wollte: „Ich kann das verstehen, die Frage ist, ob das richtig ist“, meinte er zu der Blockade-Aktion. Seinen Termin um 8:30 Uhr habe er wegen des Zeitverlusts nicht so gut vorbereiten können.
Betont gelassen zeigte sich eine Tierärztin (36), die sich immerhin eine Stunde auf der Arbeit verspätet hatte. Ihr sei kein extremer Nachteil entstanden, und überhaupt sei sie ein eher abwartender Mensch. Und auch ein 57-jähriger Handwerker, dessen Zeitplan durcheinandergeriet, habe einfach seine Geschäftsführung informiert und gut, sagte er aus.
Wie weit darf Protest gehen und woraus speist er sich?
Doch trotzdem: Die Frage, wie weit Protest gehen und welche Folgen er potenziell in Kauf nehmen darf, um auf ein hehres Anliegen wie Klimaschutz aufmerksam zu machen, dürfte weiterhin nicht aus der Diskussion verschwinden. Zumal infolge der heutigen Blockade auf dem Ring offenbar auch medizinische Notfälle im Stau standen, darunter ein älterer Mann, der per Taxi auf dem Weg in eine Klinik war. Dies meldet der MDR unter Berufung auf die „Bild“-Zeitung, die zuerst berichtet hatte. Zur besseren Einordnung des Protestes hatte die Verteidigung mit dem Protestforscher Simon Teune überraschend noch einen eigenen Zeugen ins Gericht mitgebracht.
Dessen Vernehmung gestattete Amtsrichterin Laura Jankowski nach kurzer Diskussion mit den Anwälten, auch wenn sie sich skeptisch äußerte, wie relevant die Aussage des Soziologen für den strafrechtlichen Vorwurf der Nötigung wirklich sei.
Der promovierte Wissenschaftler, der sich vielfach auch zur „Letzten Generation“ geäußert hatte, referierte über die Bandbreite von Protestformen und deren Rolle in der Demokratie.
Angemeldete Demos und Kundgebungen, so eine Quintessenz des Forschers, kämen an ihre Grenzen, wenn starke Kräfte dagegen stehen.
Ziviler Ungehorsam als Protestform werde erst gewählt, wo andere Mittel sich als unwirksam erwiesen hätten: „Das kann man bei der ‚Letzten Generation‘ geradezu lehrbuchhaft verfolgen.“ Ein Beispiel sei das 2021 höchstrichterlich kassierte Klimaschutzpaket des Bundes, dem seien radikale Reaktionen wie ein Hungerstreik und eine strategische Neuausrichtung gefolgt.
Ob Teunes Ausführungen helfen, die drohenden Strafen für die Angeklagten abzuwenden oder zumindest abzumildern? Der Prozess, der erste gegen LG-Mitglieder in Leipzig, wird am 4. Juli fortgesetzt, auch ein Urteil könnte dann fallen. Einer der Verteidiger schloss allerdings einen weiteren Beweisantrag nicht aus.
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