Während Corona hatte auch Sachsen die Ersatzfreiheitsstrafen für kleinere Ordnungsverstöße ausgesetzt. Aber statt sie gänzlich zu erlassen, werden sie seit 2022 mit bürokratischer Strenge „nachgeholt“. Und so ist die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen 2022 in Sachsen stark gestiegen: 2021 wurden 2.180 dieser Strafen vollstreckt, im Folgejahr waren es 3.273 und damit 33 Prozent mehr, wie eine Anfrage der Leipziger Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) ergab.
Wobei es dabei nicht nur um das sogenannte „Schwarzfahren“ geht, das im Juristendeutsch unter „Erschleichen von Leistungen“ läuft. Es geht auch um kleinere Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, um Beleidigung, Urkundenfälschung, Trunkenheit im Straßenverkehr, Diebstahl, Sachbeschädigung, Körperverletzung. Ein ziemlich weit gespanntes Deliktfeld, das in der Antwort des Justizministeriums auch detailliert aufgelistet ist.
Die Ersatzfreiheitsstrafen für das Fahren ohne gültigen Fahrausweis kosteten dabei den Staat im vergangenen Jahr 2,6 Millionen Euro, alle Ersatzfreiheitsstrafen zusammen verschlangen 19,2 Millionen Euro, wie die Antwort auf eine zweite Anfrage ergab.
„Es hat nicht nur die Justizvollzugsanstalten entlastet, dass Ersatzfreiheitsstrafen in der Pandemie nicht vollstreckt wurden. Das bewahrte viele Menschen, die Geldstrafen nicht begleichen konnten, zunächst vor dem Gefängnis. Da es aber keine Amnestie gab, wie es in Berlin bei einigen Fallkonstellationen der Fall war, werden diese Strafen nun vollstreckt und es gibt wieder wesentlich mehr Ersatzfreiheitsstrafen“, sagt die Linken-Abgeordnete Juliane Nagel.
„Das trifft vor allem ökonomisch benachteiligte, einkommens- und vermögensarme Menschen. Armut wird faktisch mit Freiheitsentzug bestraft – dem härtesten Eingriff in die grundgesetzlich garantierte persönliche Freiheit. Auch juristisch ist das Mittel umstritten, denn eine Geldstrafe verwandelt sich hierbei automatisch in eine Haftstrafe, ohne dass ein Gericht erneut darüber entscheidet.“
Haftstrafe ändert nichts an der Armut
Ein zivilisiertes Gemeinwesen dürfe sich nicht darauf beschränken, Fehlverhalten zu bestrafen.
„Vielmehr müssen wir im eigenen Interesse darauf hinwirken, dass die Betroffenen künftig gesetzestreu leben. Eine Haftstrafe ändert nichts an der Armut der Betroffenen, sie verschärft sogar persönliche Krisen und verschlechtert die Sozialprognose. Wird stattdessen gemeinnützige Arbeit geleistet, ergeben sich kriminalpädagogische Ansatzpunkte“, betont Nagel.
„Wenn Betroffene Lebenskrisen wie Suchtprobleme oder Verschuldung überwinden können, werden sie mit höherer Wahrscheinlichkeit rechtstreu leben als nach der Sinnlos-Sanktion Ersatzfreiheitsstrafe. Das nützt auch der Gesellschaft.“
Die im Bund diskutierte Novelle sieht vor, dass für zwei Tage Geldstrafe nur noch ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, die Haftstrafe also halbiert wird.
„Wir wollen keine halben Sachen: Die Ersatzfreiheitsstrafe muss weg. Gleichzeitig müssen Sozialdienste und soziale Träger, die Straffällige begleiten, gestärkt und Bagatelldelikte wie das Fahren ohne gültigen Fahrausweis entkriminalisiert werden. Nicht zuletzt fordern wir eine sozial gerechte Politik, die Armut und Wohnungslosigkeit verhindert. Niemand soll in eine Spirale von Schulden, Sucht und Straffälligkeit geraten“, sagt Nagel.
Wobei eine Antwort aus dem Justizministerium auch zeigt, dass ein Bagatelldelikt nicht unbedingt im Knast enden muss. Denn es gibt auch andere Formen der Wiedergutmachung, wenn die Betroffenen eine Geldstrafe nicht begleichen können.
„Im Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis zum 31. Dezember 2022 haben insgesamt 4.010 Personen die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe ganz oder teilweise durch unentgeltliche gemeinnützige Tätigkeit abgewendet“, lautet diese Auskunft aus dem Justizministerium.
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