Was man bei der Geschichte von Thomas R. empfindet, ist wohl eine Frage der Perspektive. Fakt ist: Der heute 41-Jährige soll bereits 2017 unter Drogeneinfluss in einen Verkehrsunfall auf der A14 verwickelt gewesen sein; seine Beifahrerin wurde überrollt, als er sie aus dem Wagen ziehen wollte. Nach zig Verzögerungen sollte jetzt der Prozess starten – doch der Angeklagte erschien nicht. Dem Gericht blieb nur eine Konsequenz.
Strafprozesse sind etwas Unvorhersehbares. Und manchmal sind sie sehr kurz, wenn Angeklagte, die nicht in Untersuchungshaft sitzen, ihrer Verhandlung einfach fernbleiben. Das merkte heute auch eine Schulklasse, die sich extra im Saal 218 des Leipziger Amtsgerichts eingefunden hatte, um den Ablauf eines Prozesses mal aus nächster Nähe mitzuerleben.
Beifahrerin wurde tödlich verletzt
Eigentlich sollte sich Thomas R. unter anderem wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Laut Staatsanwaltschaft war der heute 41-Jährige am 3. Oktober 2017 kurz nach Mitternacht auf der A14 im Leipziger Norden unter Einfluss von Amphetaminen und Methamphetaminen in einen Unfall verwickelt. Den Ermittlungen nach soll der Mann damals auf dem Streckenabschnitt zwischen Leipzig-Messe und Leipzig-Nordost von hinten touchiert worden sein und die Gewalt über das Fahrzeug verloren haben.
Nicht der Unfall an sich steht im Mittelpunkt der Anklage, sondern das entsetzliche Geschehen danach: Als die beteiligten PKW auf der Fahrbahn zum Stillstand kamen, wollte Thomas R. seine Lebensgefährtin wohl vom Beifahrersitz des unversicherten und nicht zugelassenen Wagens ziehen. Dabei wurde die Frau von einem heranrasenden Fahrzeug erfasst und tödlich verletzt.
Warum wird erst nach rund sechs Jahren verhandelt?
Doch der Platz neben Strafverteidiger Uwe Sabel im Amtsgericht blieb am Donnerstagmorgen leer – sein Mandant erschien trotz Vorladung auch eine Viertelstunde nach offiziellem Beginn nicht zum Prozess, ohne dass eine Entschuldigung vorlag. Selbst Anwalt Sabel vermochte zum Verbleib von Thomas R. offenbar keine Auskunft zu geben.
Es ist ein frustrierender Zustand, der bereits mit der Frage beginnt, warum ein Sachverhalt mit tödlichem Ausgang von vor fast sechs Jahren überhaupt erst jetzt vor einem Gericht landet. Schon im September 2018 hatte die Staatsanwaltschaft ursprünglich Anklage gegen Thomas R. erhoben. Die für Ende Januar 2019 angesetzte Verhandlung platzte jedoch, weil der Verdächtige angab, aufgrund seiner Depressionen und Traumata nach dem schweren Unfall eine Reha mit seiner Tochter absolvieren zu wollen. Dem wurde entsprochen.
Nur: Die Behandlung trat Thomas R. ebenso wenig an wie andere Therapien. „Hätte ich damals gewusst, wie es läuft, hätte ich anders entschieden“, betonte Amtsrichterin Ute Pisecky denn auch am Donnerstag.
Ein weiterer Anlauf für einen Prozess scheiterte im März 2019, weil Thomas R. ein Attest über eine Reise- und Verhandlungsunfähigkeit vorlegte. Das Verfahren schleppte sich weiter nach hinten.
Massives Vorstrafenregister, offene Haftstrafen und bisher unauffindbar
Dabei sind ernste Zweifel angebracht, inwieweit Thomas R. tatsächlich an einer selbstkritischen Aufarbeitung des Geschehens, gar einer Verhaltensänderung, interessiert ist. Denn nicht nur vor, sondern sogar nach dem Autobahn-Unfall vom Oktober 2017 wurde er zuletzt 2021 und 2022 wegen ähnlicher Sachverhalte verurteilt – durch die Amtsgerichte in Hohenstein-Ernstthal und Döbeln. Es ging um Fahren ohne Fahrerlaubnis, Urkundenfälschung, Verstöße gegen das Versicherungsgesetz und Drogenbesitz.
Jüngst scheiterte Thomas R. im Mai 2022 mit dem Versuch, gegen die Verurteilungen vorzugehen. Zum Berufungsprozess am Landgericht Chemnitz tauchte er gar nicht mehr auf.
Mittlerweile hat der 41-Jährige über zwei Jahre Knast auf dem Konto angesammelt, deren Vollstreckung bisher ausblieb – teils wegen gewährten Strafaufschubs, teils, weil er Aufforderungen zum Antritt der Haft in der JVA schlicht nicht folgte. An seinem Wohnort jedenfalls traf die Chemnitzer Polizei, die einen Vollstreckungshaftbefehl in der Tasche hatte, Thomas R. im März 2023 nicht an. Auch Nachforschungen bei der Freundin in Limbach-Oberfrohna blieben ergebnislos.
Gericht erlässt Haftbefehl
Rechtsanwalt Uwe Sabel hielt zumindest den Nachweis einer fahrlässigen Tötung für zweifelhaft und regte auch unter Verweis auf psychische Probleme seines Mandanten an, die Ermittlungen gegen ihn bezüglich des Unfalls von 2017 einzustellen, zumal er ja bei seiner Ergreifung ohnehin sofort hinter Gitter müsse. Amtsrichterin Ute Pisecky widersprach: Es stünden schwerwiegende Straftaten im Raum, die Thomas R. laut Gerichtsurteilen später sogar teils wiederholte.
Unter diesen Umständen wolle sie ihm „nicht noch das Geschenk bereiten, hier einzustellen“, so die Vorsitzende des Schöffengerichts. Auch Oberstaatsanwalt Torsten Schneider blieb unbeeindruckt und bemerkte, dass Thomas R. keinen Grund geliefert habe, der mit einer Einstellung des Verfahrens zu honorieren sei. „Es bedarf einer gerichtlichen Hauptverhandlung. Es gibt objektive Tatnachweise“, sagte der Anklagevertreter.
Amtsrichterin Pisecky folgte dessen Antrag und erließ einen Haftbefehl gegen Thomas R., der auf einem dringenden Tatverdacht fußt sowie dem Umstand, „dass der Angeklagte sich offensichtlich verborgen hält, um sich dem Strafverfahren zu entziehen“. Im Falle seiner Ergreifung müsste er also zur Sicherung des Prozesses in Untersuchungshaft. Bis es so weit ist, blieb dem Gericht allerdings keine andere Wahl, als das Verfahren vorläufig einzustellen.
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