Er soll einen Bekannten in Leutzsch beinahe zu Tode geprügelt und kurz darauf versucht haben, seine Freundin zu vergewaltigen. Doch der Prozess gegen einen 30 Jahre alten Tätowierer vor dem Leipziger Landgericht wird nicht wie geplant in dieser Woche beendet werden können: Eines der mutmaßlichen Opfer hält sich derzeit in Hamburg auf und erlitt offenbar kurz vor dem geplanten Termin zur Zeugenaussage in Leipzig einen psychischen Zusammenbruch.
Lange wurde vorab darauf hingearbeitet, dass Janina M. (Name geändert) am heutigen Dienstag, kurz nach Ende der bundesweiten Streiks, einen Zug aus Hamburg nimmt, um als Zeugin vor dem Leipziger Landgericht auszusagen.
Doch nach Auskunft ihrer als Zeugenbeistand verpflichteten Anwältin, erlitt die 32-Jährige, die derzeit in einer Hamburger Obdachlosenunterkunft lebt, kurz vor der geplanten Abreise eine Art traumatischen Schock, weinte am Telefon und vermochte sich kaum mehr klar auszudrücken. Ihr Auftritt im Zeugenstand ist damit vorläufig geplatzt.
Staatsanwaltschaft geht von Gewaltexzess aus
Dabei ist die junge Frau aus Sicht der Ermittlungsbehörden ein wichtiger Schlüssel, um aufzuklären, was sich am Abend des 1. September 2022 in Leipzig-Leutzsch ereignet hat. Laut Anklage soll ihr damaliger Freund Christian F., den sie Anfang 2022 im Hamburger Obdachlosenasyl kennengelernt hatte, die Frau am fraglichen Abend gegen 23:30 Uhr an der Hans-Driesch-Straße beim Rathaus Leutzsch massiv bedroht und in eine dunkle Ecke gezerrt haben, um sie zum Oralverkehr zu zwingen.
Nur ein zufällig vorbeifahrender Streifenwagen, den Janina M. auf sich aufmerksam machen konnte, verhinderte demnach Schlimmeres. Bei der Festnahme von Christian F. stießen die Polizeibeamten, die den aggressiven Mann erst mit Verstärkung überwältigen konnten, bei ihm noch auf zwei Messer.
Die wiederum stammten der Anklageschrift nach aus dem Haushalt von Manfred K. (Name geändert) in der Georg-Schwarz-Straße. Nur wenige Stunden vor dem Zwischenfall am Leutzscher Rathaus soll Christian F. auf den 64-Jährigen, der ihm und Janina M. Unterschlupf geboten hatte, mehrfach eingeprügelt, ihn mit Bierflaschen traktiert und auf ihn eingestochen haben. Anlass sei gewesen, dass der deutlich ältere Mann spontan nicht wusste, wo seine Zigaretten waren. Manfred K. blieb stundenlang hilflos in der Wohnung liegen, ehe er am nächsten Morgen gefunden wurde, er überlebte den brutalen Angriff schwer verletzt.
Angeklagter weist Freundin die Schuld zu
Die Geschehnisse vom 1. September waren dabei laut Ermittlungen der traurige Höhepunkt einer Reihe an Gewalttaten, aufgrund derer sich Christian F. nun verantworten muss. Er ist unter anderem wegen versuchten Mordes, versuchter schwerer Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. In einer Erklärung hatte der Obdachlose über seine Anwältin Pamela Pabst die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft weitestgehend zurückgewiesen: Weder habe er eine Vergewaltigung geplant, noch sei er derjenige, der Manfred K. so schwer verletzt habe.
Vielmehr will er seine Freundin Janina M. beobachtet haben, wie sie auf das Opfer einstach, als er selbst gerade vom Duschen aus dem Bad kam, gab der 30-Jährige zu Protokoll.
Mit der psychisch labilen Frau, die er geliebt haben will, plante Christian F. laut eigener Aussage einen Neubeginn und ein normales, gemeinsames Leben in Leipzig. Auch eine Wohnung sei bereits in Aussicht gewesen. Doch habe sie ihm immer wieder das Leben schwer gemacht, sich um nichts gekümmert und ihn mehrfach körperlich angegriffen, beklagte sich der gebürtige Dessauer, der nach eigener Darstellung sein Geld mit Tattoos und Pornografie verdiente.
Schwierige Beziehung und Eifersucht
Dass die Beziehung der beiden alles andere als einfach war, bestätigte am Dienstag auch eine Bekannte von Christian F. im Zeugenstand: So sei allein ihre Anwesenheit schon der Grund für rasende Eifersucht von Janina M. gewesen, erinnerte sich die 22-jährige Kathleen B. (Name geändert), die im Sommer 2022 zeitweise mit dem Angeklagten und dessen Freundin in Leipzig abhing. Angeblich soll Janina M. Christian F. sogar in die Hand gestochen haben, will Kathleen B. erfahren haben. Sie selbst sei von Christian F. unvermittelt geschlagen worden, sagte die Zeugin, er bestreitet dies.
Der Betreiber eines Leipziger Tattoo-Studios erlebte in seinem Laden Ende August 2022, nur wenige Tage vor dem Tatabend, wie Janina M. ihrem Freund offenbar eine gewaltige Szene machte, sogar auf ihn einschlug, als der sich ein Tattoo stechen lassen wollte: „Sie tingelte hin und her, wollte nicht, dass er ein Tattoo macht. Sie war total unruhig, wurde auch beleidigend“, so Zeuge Christopher S. (Name geändert). Daraufhin habe er die Frau aus seinem Geschäft geschickt, erklärte der 33-Jährige.
Ist die Zeugin vernehmungsfähig?
Derzeit hält sich Janina M. wieder in Hamburg auf und bislang gelang es nicht, sie nach Leipzig zu bekommen. Ihre Aussage scheint umso wichtiger, weil der beinahe totgeprügelte Manfred K. nur wenig Substanzielles zum Sachverhalt aussagen konnte: Die Erinnerung des älteren Mannes scheint durch gravierende Verletzungsfolgen und seinen eigenen Alkoholkonsum faktisch ausgelöscht.
Ein psychiatrisches Gutachten muss nun klären, ob der 32-jährigen Janina M. ein Auftritt als Zeugin im Gerichtssaal überhaupt zugemutet werden kann. Gegebenenfalls käme auch eine Vernehmung via Video-Schalte in Betracht, erklärte der Schwurgerichts-Vorsitzende Johann Jagenlauf am Dienstag. Zudem legte die Strafkammer sechs weitere Verhandlungstage bis Ende Mai fest. Nach ursprünglicher Planung hätte der Prozess am 30. März abgeschlossen werden sollen.
Keine Kommentare bisher