Eine Verurteilung scheint aktuell sehr wahrscheinlich – doch auf welches Strafmaß müsste sich der einstige „Kinderzimmer-Dealer“ Maximilian S., den die Anklage für den Kopf einer Drogenbande hält, dann einstellen? Im Prozess vor dem Landgericht wurde am Donnerstag hinter verschlossener Tür unter anderem über diese Frage gerungen. Doch bisher bleiben noch einige Punkte unklar.
Der neue Verhandlungstag am Landgericht hatte verspätet begonnen, als die Strafkammer die Sitzung auch schon wieder unterbrach: Nach dem überraschenden Teilgeständnis von Maximilian S., sich erneut am illegalen Rauschmittelgeschäft beteiligt zu haben, wurde im nicht öffentlichen Rechtsgespräch unter anderem über den weiteren Verfahrensablauf für die insgesamt fünf Männer auf der Anklagebank diskutiert.
Drei von ihnen, benanntem Maximilian S. (28), Friedemann G. (36) und André R. (43), sollen laut Staatsanwaltschaft spätestens im November 2018 eine Bande zum professionellen Handel mit illegalen Betäubungsmitteln gegründet haben, die von April 2019 bis Januar 2021 etwa 20 Kilo Rauschgift versandt habe. Die anderen zwei Männer im Alter von 40 und 24 Jahren, die demnach in der Hierarchie untergeordnet waren, werden der Beihilfe verdächtigt.
Maximilian S. bestreitet Führungsfunktion
Am Montag hatte Maximilian S., der „als Kinderzimmer-Dealer“ schon von Ende 2013 bis Anfang 2015 mit einem eigenen Online-Drogenshop für Wirbel gesorgt hatte, erstmals ausgepackt und in einem mehrstündigen Vortrag seine erneute Verstrickung in Betäubungsmittelgeschäfte eingeräumt. Allerdings stritt der 28-Jährige dabei eine Führungsrolle ab und schrieb die Idee für das Projekt seinem Mitangeklagten Friedemann G. (36) zu.
Diesen hatte der im November 2015 zu sieben Jahren Haft verurteilte Maximilian S. Ende 2018 im offenen Strafvollzug kennengelernt. Mit dem Autohändler aus Borna sei vereinbart gewesen, dass er ausschließlich für Technik und Programmierung des Webshops „Candylove“ zuständig sei und sich jederzeit ausklinken könne, gab Maximilian S. zu Protokoll. Mit Einkauf, Stückelung und Versand der Drogen habe er nie etwas zu tun gehabt.
Das Gericht hielt dem jungen Mann am Donnerstag eine gesicherte Nachricht an den mutmaßlichen Bandenhelfer Jens M. (40) vor, in welcher er ihn anhält, auf eine exakte Portionierung bestellter Rauschmittel zu achten. War die Befehlsgewalt von Maximilian also größer, als er zugibt? „Ich habe das schon mal 15 Monate gemacht“, antwortete er auf die Frage von der Richterbank mit Anspielung auf seine Vorgeschichte. Daher schließe er nicht aus, auch mal eine solche Weisung erteilt zu haben.
Staatsanwalt will derzeit etwa sechs Jahre
Zuvor hatten sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung unter Ausschluss der Öffentlichkeit beraten, wie die jetzige Rechtslage aussieht und in welche Richtung der Prozess weiterlaufen könnte. Verbindliche Absprachen wurden nicht festgelegt – allerdings ließ Staatsanwalt Christian Kuka durchblicken, sich für Maximilian S. nach jetzigem Stand eine Haftstrafe von etwa sechs Jahren vorstellen zu können. Deutlich zu hoch für seinen Verteidiger Curt-Matthias Engel, der viereinhalb Jahre als Obergrenze sieht.
Autoverkäufer Friedemann G., der laut Maximilian Initiator des Drogenverkaufs gewesen sein soll und sich bisher nicht zu den Vorwürfen der Anklage geäußert hat, verbüßt derzeit eine bis August 2027 andauernde Strafhaft in anderer Sache. Seine Vollzugs-Lockerungen im Berliner Gefängnis seien aktuell zurückgenommen, sofern es keine Verfahrenseinstellung gäbe, so solle es bei einer „angemessenen Aufstockung“ zur jetzigen Strafe verbleiben, forderte seine Anwältin Dr. Ines Kilian. Einigkeit bestand darin, dass weder ihr Mandant noch Maximilian S. Interesse an einem langen Prozess haben und diesen zügig abschließen wollen.
Die mutmaßlichen Helfer Jens M. (40) und Julius M. (24) hatten über ihre Verteidiger bereits Geständnisse abgelegt, wonach sie die Drogenbestellungen 2019 vorübergehend gegen Geld abwickelten, und können nun mit deutlichem Strafnachlass rechnen. Der außerdem angeklagte Strafverteidiger André R. (43), der Friedemann G. lange als Klienten seiner Kanzlei kannte und die Gruppe bei Rechtsfragen beraten haben soll, hatte alle Vorwürfe durch seinen Anwalt von sich weisen lassen.
Was wurde aus dem vielen Geld?
Mit Spannung wird jetzt auf den nächsten Verhandlungstag am 9. März gewartet – dann will auch Friedemann G. eine Erklärung zur Anklage abgeben. In seinem Geständnis vom Montag hatte Maximilian S. den einstigen Knastkumpel als treibende Kraft und Mensch dargestellt, der ihm zunächst freundlich begegnet sei, sich aber auch immer wieder gönnerhaft bis abwertend über ihn geäußert habe. Vom „kleinen Kerl“, den man „schon gernhaben könne“, ist in Chats demnach die Rede, aber auch, Maximilian sei „wie ein Köter.“
Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage bisher davon aus, dass mit dem Endzwanziger der Kopf der Bande vor Gericht steht. Zudem, so wird vermutet, könnte der dem Mitangeklagten G. zugeschriebene Autohandel in Borna als Tarnung für scheinbar legale Arbeitsverhältnisse gedient haben, wo es in Wirklichkeit um Drogenhandel ging. Bewiesen ist das bisher nicht.
Laut Geständnis will Maximilian S. seine Unterstützung für den Drogenshop „Candylove“ bereits im Januar 2020 beendet und die Website abgeschaltet haben. Spätere Anfragen von Friedemann G. für eine neue Kooperation habe er abgelehnt. Auf die Frage, was aus dem Verkaufserlös geworden sei, antwortete Maximilian erst nach einem diskreten Gespräch mit seinem Anwalt, dass er sich die eigens abgeholten rund 164.000 Euro mit Friedemann G. geteilt habe, Details wisse er nicht mehr. Allerdings hatten Ermittler im Rahmen einer Durchsuchung bei Maximilian S. mehrere zehntausend Euro sichergestellt.
Nach Prozessende war zu beobachten, dass Maximilian S. sich mit Friedemann G. noch leise unterhielt. Das genaue Verhältnis der beiden bleibt bislang eine der ungeklärten Fragen dieses Verfahrens.
Netflix-Dokuhit soll Beweismittel werden
Schon im Netflix-Dokuhit „The Teenage Drug Lord“ („Der jugendliche Drogenchef“) hatte sich Maximilian S. gegenüber eine Reporterin zu seinem ersten „Business“, mit dem er bis zu seiner Verhaftung um die vier Millionen Euro eingenommen haben soll, ausführlich geäußert und dabei Andeutungen gemacht, wonach er jetzt im Autobereich tätig sei. Bereits in dem Format, das auch Gutachter, Ermittler und den früheren Anwalt von S. zu Wort kommen ließ, war zwischen den Zeilen zu erahnen, dass die Behörden nach seiner ersten Haft erneut gegen den jungen Dealer ermittelten.
Wie der Kammervorsitzende am Donnerstag ankündigte, soll im weiteren Prozess nun auch diese Dokumentation von Netflix als Beweismittel gesichtet werden. Gespräche mit dem beliebten Streaming-Anbieter laufen bereits.
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