Er gilt der Staatsanwaltschaft als Kopf einer Drogenbande: Maximilian S., der als „Kinderzimmer-Dealer“ bekannt wurde, gestand am Montag vor dem Landgericht zwar seine erneute Beteiligung an Betäubungsmittelgeschäften. Doch will der 28-Jährige diesmal nur die Rolle eines Programmierers übernommen, aber nichts mit Beschaffung und Versand der illegalen Rauschmittel zu tun gehabt haben.
Tag fünf im Prozess gegen Maximilian S. und vier Mitangeklagte vor dem Leipziger Landgericht: In seiner mit Spannung erwarteten Aussage zu den Tatvorwürfen des bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge belastete Maximilian S. vor allem seinen mutmaßlichen Komplizen Friedemann G. (36), aber auch sich selbst.
Demnach habe er Hilfe durch das Programmieren der Website und der Software zum Online-Drogenshop „Candylove“ geleistet, mit Einkauf, Portionierung und Versand der Rauschmittel selbst jedoch nichts zu tun gehabt. Er habe auch nie als Chef oder Organisator fungiert, gab der 28-jährige Maximilian S. in seiner mehrstündigen Aussage zu Protokoll. Für ihn sei klar gewesen, dass er das „Projekt“ nicht ewig betreiben wolle und sich jederzeit ausklinken könne.
Mathe-Talent, Einzelgänger und Zocker
Die Staatsanwaltschaft wirft dem jungen Mann vor, er habe sich spätestens im November 2018 mit dem mitangeklagten Autohändler Friedemann G. (36) und dem Anwalt André R. (43) zu einer Bande zusammengetan, um über benanntes Portal im Internet einen Drogen-Versandhandel aufzuziehen, der von April 2019 bis Januar 2021 aktiv gewesen sei. Zwei weitere Männer, Jens M. (40) und Julius M. (24), sollen als eine Art Handlanger Beihilfe geleistet haben.
Letztere hatten bereits ein Geständnis abgelegt, wonach sie 2019 vorübergehend über bereitgestellte Laptops Bestellungen für Rauschmittel entgegennahmen und sich um Portionierung sowie Versand der illegalen Substanzen kümmerten. Die monatliche Entlohnung: 1.500 Euro und die Übernahme der Mietkosten.
Maximilian S. selbst beschrieb zunächst seine Kindheit und Jugend, er wuchs demnach mit Mutter und älterer Schwester in einfachen Verhältnissen auf, seinen Vater kenne er nicht. Schon in der Grundschule habe er sich vor allem als Mathe-Talent eher unterfordert gefühlt, in der Kindheit nur „eine Handvoll Freunde“ gehabt, viel am Computer gesessen, später wegen Problemen im Fach Latein vom Gymnasium auf die Realschule gewechselt.
Nach dem dortigen Abschluss 2011 brach der Teenager im Frühjahr 2013 eine Lehre zum Restaurantfachmann ab und begann Ende des Jahres, aus dem Kinderzimmer der mütterlichen Wohnung in Eigenregie einen Online-Drogenshop aufzuziehen.
Der soll ihm etwa vier Millionen Euro eingebracht haben – und, nach seiner Verhaftung Ende Februar 2015, eine siebenjährige Gefängnisstrafe, die bis 2019 andauerte.
Der kumpelhafte Knastbruder
Doch schon Ende 2018 habe er, jetzt bereits Insasse im offenen Vollzug, dort Friedemann G. kennengelernt, einen der vier Männer, die nun mit ihm auf der Anklagebank sitzen. Der Autoverkäufer sei immer sehr nett zu ihm gewesen: „Irgendwie fühlte ich mich ernstgenommen, was mir schmeichelte. Er interessierte sich für meine Geschichte.“
Der kumpelhafte Knastbruder habe immer wieder nach Details gebohrt und ihm schließlich den Vorschlag eines gemeinsamen Drogenhandels im Netz unterbreitet. Nach anfänglicher Ablehnung habe sich Maximilian S. darauf eingelassen, eine entsprechende Plattform plus Software zu programmieren, welche die Abarbeitung von Bestellungen ermöglichte. Preise und Produkte seien dabei von Friedemann G. diktiert worden: „Damit hatte ich nichts zu tun“, beteuerte Maximilian S. in seiner Aussage. Auch um die Anmietung von „Arbeitswohnungen“ habe er sich nicht gekümmert, seine Funktion sei es neben der Programmierung gewesen, Probleme im Bereich Technik und Internet zu lösen.
Nach Erkenntnissen der Ermittler, die 2019 durch einen anonymen Hinweis aufmerksam wurden, wurde das Drogengeschäft von mehreren Leipziger Wohnungen aus abgewickelt – zunächst im „Basecamp“ auf der Prager Straße, später der Langen Reihe in Stötteritz, der Franz-Flemming-Straße in Leutzsch und der Engertstraße in Lindenau. Schon im August 2019 gestaltete sich die Situation schwieriger, als die wegen Beihilfe zum Drogenhandel angeklagten Jens M. und Julius M. ihre Unterstützung beendeten – angeblich wegen schlechter Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Jens M. habe er nur wenige Male im Auto von Friedemann G. gesehen, Julius M. dagegen nie getroffen, führte Maximilian S. weiter aus.
Auch Anwalt auf der Anklagebank
Auch die Wohnung von Friedemann G. in der Arndtstraße habe zuweilen als Basis der Rauschgiftdeals gedient. Maximilian S. habe dort häufig übernachtet und mit dem älteren Friedemann G. Videospiele gezockt. Doch soll sich der heute 36-Jährige in abgehörten Gesprächen zuweilen abfällig über Maximilian geäußert haben: Er sei „wie ein Neandertaler, um den man sich kümmern muss“, „wie ein Köter“ und „wie ein kleines Kind“, echauffierte sich G. demnach etwa gegenüber André R., seinem Anwalt.
Der 43-Jährige ist ebenfalls als mutmaßliches Bandenmitglied angeklagt und sitzt jetzt nur wenige Meter hinter Maximilian S. im Gerichtssaal. Dem Juristen will Maximilian S. nur wenige Male begegnet sein, weil Anwalt R. langjähriger Rechtsbeistand des mutmaßlichen Komplizen Friedemann G. war. Die Anklage wirft ihm vor, er habe die Legendenbildung der angenommenen Bande durch Scheinarbeitsverträge unterstützt und bei Rechtsfragen beraten. R. selbst ließ die Vorwürfe durch seinen Verteidiger zurückweisen. Der vorbestrafte Friedemann G. dagegen äußerte sich bislang noch nicht.
Schlussstrich schon Anfang 2020?
Schon im Januar 2020 habe Maximilian S. den Drogenshop im Internet abgeschaltet, die Dateien vom Server gelöscht: „Es blieb generell zu chaotisch und hatte nicht den von G. gewünschten Erfolg“, nannte er als Beweggrund. Zudem sei ihm die Beziehung zu seiner Freundin, vor der er seine Vorgeschichte tunlichst verborgen hatte, wichtiger gewesen, erklärte der 28-Jährige weiter. Die Magdeburger Studentin hatte er laut eigener Aussage im April 2019 kennengelernt, im Februar 2020 zog sie zu ihm nach Leipzig.
Nach Abhebung der Gesamterlöse von 164.130 Euro habe sich Maximilian im Januar 2020 aus dem Geschäft zurückgezogen: „Ich war froh, dass es zu Ende war“, sagte er. Friedemann G., den er als Initiator benennt, sei für ihn eine Autoritätsperson gewesen, in der er einen Freund und Beschützer gesucht habe. Was dieser weiter getan habe, sei ihm egal gewesen, über den Verbleib des Geldes konnte oder wollte sich Maximilian S. nicht äußern. Neue Anfragen seines Knastkumpels, wieder für ihn tätig zu werden, lehnte Maximilian laut eigener Aussage ab.
Zu seiner jetzigen Situation bemerkte der junge Mann, dass ihn sein Ruhm durch den Netflix-Dokuknaller „The Teenage Drug Lord“ mit allen Folgen auch belastet habe, zudem übte er Kritik an einem Teil der medialen Berichterstattung, die ihm fälschlich unterstelle, noch immer im Besitz von viel Geld zu sein. Durch staatliche Wertersatzforderungen in Höhe von drei Millionen Euro sei er in Wahrheit hoch verschuldet, aktuell arbeite er für eine Lieferfirma.
„Ich habe Angst um meine Zukunft“
Er befürchte, dass er zum Ziel „von Kriminellen und Verrückten“ werden könnte. Erst kürzlich habe er eine tote Maus in seinem Briefkasten gefunden – wohl eine Einschüchterungsgeste. „Ich habe Angst um meine Zukunft. Wie es wirklich in mir aussieht, interessiert scheinbar keinen.“ Mit einer Psychologin arbeite er momentan eigeninitiativ seine Vergangenheit auf.
Am Montagnachmittag unterbrach der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr schließlich die Verhandlung, diese soll am Donnerstag mit Nachfragen an Maximilian S. fortgesetzt werden. Zuvor hatten die Verteidiger des 28-Jährigen die Öffentlichkeit für seine Aussage ausschließen wollen, was die Strafkammer ablehnte.
Allerdings wurden zwei zusätzliche Wachtmeister in den Gerichtssaal beordert, um verbotene Bild- und Tonaufnahmen zu unterbinden. Anfang Februar hatte es im Prozess einen heftigen Eklat gegeben, da eine Medienvertreterin während einer Pause versucht haben soll, eine Unterredung von Maximilian S. mit seinen Anwälten per Handy aufzunehmen. Gegen die Frau wurde Strafanzeige wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gestellt.
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