Als der Vorsitzende Richter Hans Weiß am Mittwoch kurz nach 17 Uhr das Urteil verkündete, wurde Angéla B. von Weinkrämpfen geschüttelt und sank förmlich auf ihrem Stuhl zusammen: Die Strafkammer verurteilte die 33-jährige Ungarin wegen Mordes an ihrem neugeborenen Jungen zu lebenslanger Haft – und ging damit sogar über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Die Kammer am Landgericht hatte keinerlei Zweifel, dass Angéla B. den als Störfaktor betrachteten Säugling grausam getötet und im ausrangierten Gefrierfach ihrer Wurzner Arbeiterunterkunft abgelegt hatte.
Tod durch massive Gewalteinwirkung
Mindestens eine halbe Stunde, aber maximal sechs Stunden – so grenzte eine Rechtsmedizinerin später die irdische Lebenszeit von János ein. Der Name wurde dem toten Säugling posthum gegeben, der am 10. November 2021 vom Bewohner einer Unterkunft für Arbeiter im Wurzner Ortsteil Sachsendorf entdeckt worden war.
Die Leiche des Kindes lag, eingewickelt in eine Plastiktüte, im Gefrierfach eines alten Kühlschranks im Waschraum des Hauses und wies elf Schnitte im Halsbereich auf, wo komplexe Nervenstränge verlaufen. Eine Luftembolie als Folge der Gewalt führte zum Tod des gesund und lebensfähig geborenen Babys, das bei der Geburt 3.996 Gramm wog und 48 cm groß war.
Kind soll Störfaktor gewesen sein
Mehr als ein Jahr später verurteilte die 16. Strafkammer des Landgerichts Leipzig die Bewohnerin der Unterkunft und nachweisliche Kindsmutter Angéla B. am Mittwoch zu lebenslanger Haft wegen Mordes. Die 33-jährige Frau aus Ungarn, die erst im Juni 2021 nach Deutschland gekommen war und im Schichtsystem für eine Mutzschener Fischfabrik arbeitete, war nach dem grausigen Fund im Kühlfach schnell in den Fokus der Ermittler geraten. Ein DNA-Test hatte die Elternschaft von ihr und ihrem ungarischen Landsmann Joszef S. (24), der für den gleichen Betrieb tätig war, eindeutig belegt.
Aus Sicht der Kammer war nach 13 Verhandlungstagen erwiesen, dass das neugeborene Kind aus Sicht von Angéla B. schlicht ein Hindernis in ihrer Lebensplanung darstellte und daher am Abend des 29. Oktober 2021 grausam sterben musste. Die Angeklagte soll es in ihrem Badezimmer getötet haben.
Angeklagte präsentierte mehrere Tatversionen
Seit ihrer Verhaftung hatte die sechsfache Mutter, die vor Gericht durch eine Dolmetscherin unterstützt wurde, mehrfach verschiedene Versionen des Geschehens angebracht: Wollte die gelernte Gärtnerin zunächst nichts mit der Geburt des Kindes zu tun haben, behauptete sie zum Auftakt des Prozesses im vergangenen August dann, sie hätte ihre Schwangerschaft nicht bemerkt und den Säugling Ende Oktober 2021 völlig überraschend zur Welt gebracht, als sie wegen Krämpfen auf der Toilette saß.
Kurz darauf habe ihr ein Unbekannter mit Handschuhen und Tattoos das Kind entrissen und sie mit einem Schlag auf den Kopf ohnmächtig gemacht. Dann erinnere sie sich nur noch an eine kalte Dusche und sei schließlich auf einem Bett liegend wieder zu sich gekommen. Bis zum Schluss bestritt Angéla B., den Säugling getötet zu haben: „Das habe ich nicht begangen“, beteuerte sie noch kurz vor dem Urteilsspruch.
Gericht: Aussagen der Angeklagten unglaubwürdig
Ihre Erklärungen schloss das Gericht jedoch ebenso aus wie eine durch Angéla B. unbemerkte Schwangerschaft: „Wir sind uns sicher, dass Sie wussten, dass Sie schwanger sind“, betonte der Schwurgerichts-Vorsitzende Hans Weiß und verwies neben medizinischen Details unter anderem auf die insgesamt sechs Kinder, die Angéla B. bereits zwischen Februar 2009 und April 2020 in Ungarn zur Welt gebracht hatte. Sie alle wachsen bei ihren Großeltern bzw. Pflegeeltern auf, Kontakt zu ihnen soll sie nicht haben.
Überdies hatten Kollegen im Lebensmittelbetrieb von Mutzschen ein verdächtiges Verhalten von Angéla B. bezeugt, die demnach häufig zur Toilette ging, einen auffälligen Pullover trug, unter Schmerzen litt und sich nicht vor anderen Frauen in der Umkleide ausziehen wollte. Auf Hilfsangebote und die direkte Frage, ob sie schwanger sei, soll sie genervt und abweisend reagiert haben.
Die Einlassungen von Angéla B. seien absolut unglaubhaft, so befand es die Kammer. Als die Ermittlungen in Gang kamen, hatte die Ungarin zunächst eine andere Frau und dann sogar den Kindsvater Joszef S. der Täterschaft bezichtigt, der deswegen bis 31. März 2022 unschuldig in Untersuchungshaft gesessen hatte.
„Kinder sind wie Sterne, sie bringen die Welt zum Leuchten“
Mit ihrer Annahme eines Mordes aus niedrigen Beweggründen ging die Kammer noch weiter als die Anklage – Staatsanwältin Katharina Thieme hatte auf zwölf Jahre Gefängnis wegen Totschlags plädiert: Die Angaben der Angeklagten seien zwar unplausibel, die Mordmerkmale aber nicht erwiesen. Verteidiger Alexander Krell wollte unter Verweis auf bleibende Zweifel einen Freispruch erreichen, eine Verurteilung wegen Mordes sei in jedem Fall rechtlich nicht haltbar.
„Kinder sind wie Sterne, sie bringen die Welt zum Leuchten“, hatte der Vorsitzende Hans Weiß seine lange Urteilsbegründung begonnen. „Am 29.10.2021 kam in Sachsendorf bei Wurzen ein solcher Stern auf die Welt.“
Doch das post mortem János getaufte Kind habe maximal sechs Stunden Lebenszeit gehabt, ehe sein Töten und Einfrieren durch Kriminalpolizisten rekonstruiert werden musste. „Wie gruselig ist das denn?“, warf der Richter als rhetorische Frage in den Raum. Der nach eigener Aussage gläubigen Angéla B., so schloss der Vorsitzende seine Ausführungen, könne er nur die wörtliche Bedeutung des Namens János (deutsch: Johannes) wünschen: „Gott ist gnädig.“
Gegen das Urteil kann binnen einer Woche Revision eingelegt werden.
Keine Kommentare bisher