Es wรคre wohl ein gewaltiges Medienspektakel geworden: Ab Montag, dem 24. Oktober, sollte sich der Sรคnger Gil Ofarim wegen der Vorwรผrfe der Verleumdung und der falschen Verdรคchtigung vor dem Leipziger Landgericht verantworten. Er hatte vor รผber einem Jahr einen Hotel-Mitarbeiter in Leipzig des Antisemitismus bezichtigt โ€“ laut Staatsanwaltschaft zu Unrecht. Doch nun hat die zustรคndige Strafkammer die anvisierten sieben Prozesstermine bis Ende November gekippt. Erneut werden Vorwรผrfe an die Verteidigung Ofarims laut.

Alle Termine wurden gecancelt

Der Prozessauftakt gegen den Sรคnger Gil Ofarim vor dem Landgericht wird nicht wie geplant am kommenden Montag stattfinden. Die 6. Strafkammer hob den fรผr 24. Oktober angesetzten Beginn sowie sechs Folgetermine bis 30. November 2022 am Montag per Verfรผgung auf.

Wann die Verhandlung jetzt beginnen wird, steht aktuell noch nicht fest.

Staatsanwaltschaft geht von falscher Darstellung aus

Die Hintergrรผnde sind inzwischen vielfach geschildert worden: Der Sรคnger und Schauspieler Gil Ofarim hatte vor mehr als einem Jahr, Anfang Oktober 2021, in einem online viral gegangenen Video dargelegt, wie er durch einen Mitarbeiter des Leipziger Hotels Westin aufgefordert worden sei, seine Halskette mit Davidstern abzulegen, um einchecken zu kรถnnen.

Einer Welle der Solidaritรคt folgten bald Zweifel โ€“ und im Frรผhjahr erhob die Leipziger Staatsanwaltschaft Anklage gegen den heute 40-jรคhrigen Ofarim wegen Verleumdung und falscher Verdรคchtigung: Der Vorfall habe sich nicht so zugetragen, wie von dem Kรผnstler dargestellt, erklรคrte die Anklagebehรถrde.

Heftige Angriffe und juristischer Hickhack

Ofarim, fรผr den bis zum rechtskrรคftigen Abschluss eines Verfahrens die im Rechtsstaat essenzielle Unschuldsvermutung gilt, hatte sich zuletzt nicht mehr รถffentlich zu dem Fall geรคuรŸert. Dafรผr sorgten seine Anwรคlte jedoch schon vorab fรผr reichlich Wirbel: Die Rede war von einem mรถglichen โ€žSchauprozessโ€œ, obendrein wurde die Anklageerhebung zum Landgericht kritisiert, das an sich nur bei Fรคllen von schwerer Kriminalitรคt zustรคndig ist.

Den Vorsitzenden Richter der 6. Strafkammer lehnten die Verteidiger als befangen ab, da er unter anderem sinngemรครŸ geรคuรŸert haben soll, er kรถnne sich einen antisemitischen Vorfall wie geschildert in einem hochklassigen Hotel nahe einer Synagoge nicht vorstellen. Daher, so die Befรผrchtung, wรผrde er den Angeklagten nicht neutral und unparteiisch behandeln.

Die Befangenheitsgesuche wurden abgelehnt und das Hauptverfahren gegen Ofarim umgehend erรถffnet. Hierbei wirkte auch jener Vorsitzende Richter selbst mit, obwohl die Entscheidung, er sei nicht befangen, zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskrรคftig war.

โ€žTricksereien der Leipziger Justizโ€œ

Doch die Beteiligung eines abgelehnten Richters am Erรถffnungsverfahren fรผhre nicht zu dessen Unwirksamkeit, argumentierte das Oberlandesgericht (OLG) Dresden. Hier wurden die Beschwerden der Verteidigung Ofarims gegen die negative Entscheidung der Befangenheitsantrรคge zuletzt zurรผckgewiesen.

Aus Sicht von Ofarims Anwรคlten ein Unding, da die ganze Anklagezulassung aus ihrer Sicht rechtswidrig sei. Zuletzt sollte gar ein Entscheid durch das Bundesverfassungsgericht per Eilverfahren herbeigefรผhrt werden. Dies geht aus einer Mitteilung hervor, welche die Mรผnchner Strafverteidiger Alexander Betz und Alexander Stevens am Freitag publiziert hatten. Hier ist von โ€žTricksereien der Leipziger Justizโ€œ die Rede.

https://twitter.com/realalexstevens/status/1580931467038769152?cxt=HHwWgICqseGyzPArAAAA

Kritik an Verteidigern

In einer Mitteilung vom Montagmittag, dem 17. Oktober, gab das Landgericht nun die Aufhebung der angesetzten Termine bekannt: Diese sei aufgrund der โ€žFรผrsorgepflichtโ€œ fรผr den Angeklagten geboten und solle auch dem Eindruck entgegentreten, dass Ofarim wegen seines โ€žtatsรคchlichen oder vermeintlichen Prominentenstatusโ€œ schlechter als โ€ždurchschnittlicheโ€œ Angeklagte behandelt werde, so das Landgericht.

Dieser Anschein sei von einem Teil des Verteidiger-Teams von Ofarim erweckt worden, welcher zugleich die Verhinderung des Prozesstermins am Montag betrieben habe โ€“ ein deutlicher Seitenhieb. Moniert wird auch, dass die Anwรคlte die Beschwerde-Entscheidung des OLG Dresden als vermeintlich rechtswidrig fehlinterpretiert und dies รผber die Medien kolportiert hรคtten.

Hotel-Rezeptionist stellt Adhรคsionsantrag

Hinzu kommt, dass der durch Ofarim bezichtigte Hotelmitarbeiter, der im Prozess als Nebenklรคger auftreten sollte, am Freitag einen umfangreichen Adhรคsionsantrag gestellt hat, um zivilrechtliche Ansprรผche wie Schmerzensgeld bzw. Schadenersatz geltend zu machen. Die Ermittlungen gegen den Mann waren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Hier wurde die Option einer auรŸergerichtlichen Einigung ins Spiel gebracht.

In der nun gewonnenen Zeit soll laut Landgericht Leipzig auch noch รผber weitere, offene Rechtsmittel der Verteidigung befunden werden. Ferner ist aktuell ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Ofarim offen, weil er im Zusammenhang mit dem Fall falsche Behauptungen genutzt haben soll, um juristisch gegen Presseverรถffentlichungen vorzugehen. Bislang ist nicht entschieden, ob auch diese Vorwรผrfe vor Gericht kommen.

Neue Termine wohl nicht vor Frรผhjahr 2023

Wegen der hohen Auslastung der Kammer mit Haftsachen, bei denen Beschuldigte in U-Haft auf ihren Prozess warten und Anspruch auf eine beschleunigte Bearbeitung ihres Falls haben, sei mit einer Neuterminierung nicht vor Ablauf von sechs Monaten zu rechnen, so das Landgericht am Montag.

Das wรคre dann im Frรผhjahr 2023.

Update 17:13 Uhr: Ofarim-Anwalt bezeichnet vorlรคufige Prozessabsage als โ€žfolgerichtigโ€œ

Am frรผhen Montagabend รคuรŸerte sich Alexander Stevens, einer von Ofarims Verteidigern, zur Entscheidung des Landgerichts: โ€žDie heutige Aufhebung sรคmtlicher Hauptverhandlungstermine in der Strafsache Ofarim ist folgerichtig, insbesondere nach den unhaltbaren ร„uรŸerungen dies Vorsitzenden Richters, die ihn als befangen qualifiziert habenโ€œ, heiรŸt es in einer bei Twitter verรถffentlichten Mitteilung.

Ein deeskalierendes Verhalten des Landgerichts sei nicht erkennbar gewesen, vielmehr habe der Vorsitzende Richter kein Entgegenkommen bei der Terminfindung gezeigt, sondern die neu hinzugekommenen Anwรคlte รผbergangen.

https://twitter.com/realalexstevens/status/1582026916852211714?cxt=HHwWhICpwarGvvQrAAAA

Der wahre Grund der Termin-Streichung bestehe in der durch das OLG Dresden festgestellten Rechtswidrigkeit der Anklagezulassung. Dadurch hรคtte ein mรถgliches Urteil gegen Ofarim spรคtestens durch den Bundesgerichtshof wieder kassiert werden mรผssen. Derzeit werde geprรผft, inwieweit ein Anruf des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe weiter nรถtig sei.

An dieses hatte sich das Verteidiger-Team von Ofarim zuletzt gewandt, um die Verhandlung im Eilverfahren verbieten zu lassen.

Empfohlen auf LZ

So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:

Keine Kommentare bisher

So eine Schmierenkomรถdie!
Anstatt sich รถffentlich zu entschuldigen wird jetzt von gewieften Anwรคlten rein technisch eine Verhandlung behindert (ich hoffe nicht verhindert).
Die werden auch sicherlich nach einem eigenen Stundensatz bezahlt, ihr Mandat hat es offensichtlich.
Alles in Allem eine ganz schlechte ร–ffentlichkeitsarbeit.
Warum sich die Richter allerdings hier รผberhaupt mit persรถnlichen Meinungen รคuรŸern und dadurch Angriffsflรคche bieten, erschlieรŸt sich mir nicht.

Schreiben Sie einen Kommentar