Auch der vierte Tag der Befragungen von Johannes D., des zum „Kronzeugen“ mutierten ehemaligen Weggefährten des flüchtigen Johann G., zeigt deutlich sprunghafte Züge zwischen den Themen. Und endet in einem Eklat. Hin und Her wandert die Befragung durch Richter Hans Schlüter-Staats, von Kampftrainings über Treffen in Leipzig geht es wieder zurück zur „Nakam-Crew“ auf Instagram und einem Gespräch im Leipziger Herderpark. Auch bei weiteren Nachfragen interessiert den Vorsitzenden Richter jedoch vor allem eines: die Rolle des flüchtigen Johann G.
Der war dabei und der war dabei und der war dabei, die Liste der Vornamen wird immer länger, als Johannes D. von einem fröhlichen Zusammensein in Leipzig berichtet. Kurz vor den ersten Durchsuchungen bei Johann G. und Lina E. im Jahr 2020 gab es einen „freundschaftliche Wettkampf“ im Kampfsport und danach ein gemeinsames Beisammensein in Leipzig.
„Wir saßen dann noch in der Nähe der Bornaischen Straße und haben den Abend ausklingen lassen“, so Kronzeuge Johannes D. kurz nach 10 Uhr an diesem 5. August.
An seinem vorerst letzten Aussagetag (Ende August 2022 geht es weiter) merkt man vor allem den Nachfragen von Hans Schlüter-Staats an, dass es ihm um die Beziehungen, das Miteinander und die gemeinsamen Ziele der aus Sicht der Ankläger „kriminellen Vereinigung“ um die vier Angeklagten geht. Und um Johann G.
Sollte das Urteil am Ende des Prozesses feststellen, dass es ein solche „kriminelle Vereinigung“ gab, ist Lina E. wohl kaum derart herausgehoben federführend gewesen, wie nicht nur die Boulevardpresse, sondern auch die Anklageschrift nach ihrer Verhaftung glauben machen wollte. Mehr und mehr scheint es, sie sitzt auch für ihren damaligen Lebenspartner Johann G. auf der Anklagebank.
Der heute rund 29-jährige Wahl-Leipziger machte schon in jungen Jahren Bekanntschaft mit der Justiz, immer im Zusammenhang mit Gewalt im Umfeld linker Aktionen. Erst wegen eines Angriffs auf drei Legida-Teilnehmer und anschließend wegen Steinwürfen im Jahr 2015 auf das Leipziger Amtsgericht aus einer Demo heraus. So wird der bereits wegen der Legida-Angriffe Vorbestrafte im Jahr 2018 in zweiter Instanz zu einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten am Leipziger Landgericht verurteilt.
Seit September 2019 ist G. wieder auf freiem Fuß und gilt seit Anfang 2020 als untergetaucht und wird per Haftbefehl gesucht.
Seit Johannes D. aussagt, rückt der Abwesende mehr und mehr in die Mitte allen Interesses immer dann, wenn D. gefragt wird, wer die Leute im koordinierten Angreifen trainierte, ihn wegen neuer Aktionen kontaktierte, Instagram-Accounts betrieb und Überfälle plante.
Meist sagt Johannes D. nur den vollen Nachnamen G.s auf die Fragen und wenn mit anderen Beteiligten zusammen, dann ist Johann G. in herausgehobener Position: mal als Trainer, mal als Organisator, mal als extra per Videostream zugeschalteter Zuschauer eines „freundschaftlichen Wettkampfes“ in Leipzig. Johann G., und erst danach seine damalige Lebensgefährtin Lina E., scheint der eigentliche Dreh- und Angelpunkt jener Übergriffe zu sein, die hier der „Gruppe Lina E.“ vorgeworfen werden.
So berichtet Johannes D. auch von einem Gespräch mit Johann G. im Herderpark, in welchem es um einen möglichen Angriff auf Benjamin Brinsa ging. Doch man traute sich an diesen nicht heran, der sei Kampfsportler gewesen, so D., also wohl „eine Nummer zu groß“, laut Schlüter-Staats. Auch die 215er Liste der rechten Angreifer vom 11. Januar 2016 auf Connewitz habe eine gewisse Rolle gespielt, so Zeuge D. Man fühlte sich also vom Angriff auf Connewitz „persönlich getroffen“, mutmaßt Schlüter-Staats.
„Die Liste ist der Grundbaustein, die Basis und ein Geschenk“ gewesen, so Johannes D. über diese Auflistung der Namen am 11. Januar 2016 festgesetzter Rechtsextremisten und Mitläufer. Namen, zu denen Johann G. auch weitere Recherchen im Netz und bei Facebook angestellt hätte. Für Johann G. jedenfalls sei diese Liste schon wichtig gewesen und ein Teil der Planung von Angriffen.
Doch als 2020 das Kampfsportevent und das Treffen an der Bornaischen Straße stattfinden, fehlt Johann G bereits. Zu diesem Zeitpunkt, „vor den Durchsuchungen“ (Schlüter-Staats) von G.s Wohnung in der Hammerstraße und bei Lina E., ist G. schon in Thailand, während Lina E. festgenommen wird. Am 10. Juli 2020 nur kurzzeitig und gegen Meldeauflagen wieder entlassen, am 5. November 2020 endgültig und mit Untersuchungshaft bis heute.
Große Nähe zwischen dem „Kronzeugen“ und Johann G.
Die Wohnung G.s in der Hammerstraße wurde auch von Johannes D. als Übernachtungsmöglichkeit genutzt, teils habe ihm Johann G. die Wohnung „überlassen“, so der Ex-Berliner heute zu seinen Anlaufpunkten, wenn er in Leipzig war. Auch Lina E. sei da anzutreffen gewesen, so D. Als G. Anfang 2020 laut Richter Schlüter-Staats „nach Thailand gegangen“ ist, wird die Wohnung von einem Bekannten G.s übernommen, wann genau und von wem wisse Johannes D. nicht mehr.
Die Wohnung selbst sei von Johann G. gesichert worden, unter anderem mit einem Querbalken an der Tür, um ein Eindringen in die Wohnung zu erschweren. Johannes D. nimmt an, dass Johann G. den Balken angebracht habe, weil G. die Kosten für die Installation berichtet habe und dabei äußerte, dass ein zweiter Sperrbalken noch sicherer sei. Dass diese Sicherung gegen das Eindringen „des politischen Gegners“ (Schlüter-Staats), also Rechtsextremisten, gerichtet war, nimmt Johannes D. zuerst nicht an, will es aber auf Nachfragen Schlüter-Staats auch nicht verneinen.
Übrig bleibt an dieser Stelle der gesamt viertägigen Aussage am 5. August der Eindruck, Johann G. wollte schon frühzeitig dafür sorgen, im Falle eines etwaigen Polizeizugriffs die Wohnung noch irgendwie verlassen und flüchten zu können.
Lifestyle, „Nakam-Crew“ und Training in der Gießerstraße
Auch bei den Fragen zu den Netzaktivitäten dreht sich alles immer wieder um Johann G. Laut Richter Hans Schlüter-Staats habe Johannes D. in seiner polizeilichen Aussage aus seinem letzten Mobiltelefon heraus lauter Nummern und Netznamen realen Personen zugeordnet.
Bei der Offenlegung seines in Warschau noch verfügbaren Netzwerkes ordnet Johannes D. den älteren Jabber-Account „Wario“ als „eine Figur aus Super-Mario“ Johann G. zu. „Wario“ ist jedoch mehr als irgendeine Figur in der virtuellen Welt von Super-Mario, sondern vielmehr der negative Gegenspieler des gutgelaunten italienischen Klempners, der „böse Mario“. Mit unter den Kontakten auch Lina E., ihr Jabber-Name hätte „Kobra“ gelautet.
Den Instagram-Account „Admiral Adama“ hätte ebenfalls Johann G. betrieben, allerdings eher als eine Art „Lifestyle-Graffiti“-Account, wie Johannes D. meint. Hier soll Johann G. einfach alle möglichen Bilder, darunter Graffiti-Abbildungen hochgeladen haben. Ein offenbar gemeinsamer Sammelaccount namens „Nakam-Crew“ sei ebenfalls von G. mitverantwortete worden. Johann G. alias „Spy“, Lukas aus Berlin, Moritz B. aus Dortmund und weitere verstanden sich als diese Crew, so Johannes D. in seiner heutigen Aussage.
Vermutete Richter Schlüter-Staats in einer der früheren Verhandlungstage noch, es könne sich bei der Abkürzung NKM um eine Abkürzung für „Nazis kaputtmachen“ handeln, wird heute gegen Ende der Verhandlung durch Nebenklägeranwalt Arndt Hohnstädter (für den mittlerweile verhafteten Nebenkläger Enrico B.) der geschichtliche Hintergrund auftauchen.
Für Schlüter-Staats geht es in seiner Befragung jedoch noch einmal zurück zu den Trainings in der Gießerstraße, wo Johannes D. nach eigenen Angaben noch 2021 zum letzten Mal vor Ort war. Schlüter-Staats will wissen, wer letztlich in der Gießerstraße ein und aus ging, wer Herbert, der „Coach“ und andere aus der „militanten Szene“ (Schlüter-Staats) gewesen seien, welche Johannes D. auch beim „Großtraining gegenüber dem BSG Chemie-Stadion“ gesehen habe.
Anleitungen beim Training in der Gießerstraße seien maßgeblich durch Johann G. und „Bolle“ erfolgt. Viel mehr Erhellendes trägt D. hier nicht mehr bei: doch indirekt berichtet Johannes D., dass sich einige, wie beispielsweise der „Coach“, in dieser Zeit zunehmend aus der Szene zurückzogen.
Ob aus befürchtetem Fahndungsdruck oder persönlichen Veränderungen, bleibt unklar.
Weshalb Schlüter-Staats wissen will, wie der Zeuge selbst zu der Trainingsgruppe in der Gießerstraße gestoßen sei. Da D. Kampfsportler sei, habe man ihn nach einigen Gesprächen gefragt, ob er dabei sein will. Die Trainings selbst beschreibt Johannes D. als eher ungeregelt, ohne feste Termine, erfahren habe man von den Treffen durch die sozialen Medien und Chats. Wegen der Möglichkeit, hier Bekannten zu begegnen, habe Johannes D. auch die teils lange Anfahrt aus Berlin in Kauf genommen.
Es gab laut D. drei Szenarien, die in der Gießerstraße geübt wurden: auf Menschen, die mit Angriffen rechneten oder auf Personen, die damit rechnen und durch Trainings und Gewaltbereitschaft vorbereitet seien. Das dritte geübte Angrifss-Szenario drehte sich um ahnungslose Personen. Auf Nachfrage erklärt Johannes D., dass ihm Absprachen zu Überfällen und Straftaten während des Trainings nicht bekannt seien.
Speziell das angeblich trainierte „Einwirken auf den Kopf“ sei nicht das Vorhaben gewesen, den Gegner „zu töten“, versucht Johannes D. auf Nachfrage zu entkräften. Das überzeugt Schlüter-Staats wenig, der noch einmal insistiert, ob in diesem Training nicht eine Tötungsabsicht liegt und ob darüber Johannes D. und die anderen je nachgedacht hätten.
Teils ja, teils nein – genau wisse er es nicht, schätze aber ein, dass der überwiegende Teil keine solche Absicht gehabt haben, so D.
Keine Kommentare bisher