Rund 30 Personen versammelten sich an diesem Mittwoch, 3. August 2022, vor dem Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichtes in Dresden. Der Grund: der Kronzeuge Johannes D. wird heute weiter befragt und dabei Lina E. und die Mitangeklagten schwer belasten. Erneut geht es um einen รœberfall am 14. Dezember 2019 in Eisenach, bei dessen Planung und Durchfรผhrung Johannes D. beteiligt war.

Bereits vergangene Woche sagte Johannes D. zu den gegen ihn erhobenen Vergewaltigungsvorwรผrfen, zum รœberfall in Eisenach und seine Beteiligung daran aus. Das Ziel der Angriffe sei es gewesen bei den รผberfallenen Rechtsextremen โ€žnachhaltigen Schaden zu hinterlassenโ€œ. Unterstรผtzer/-innen von Lina E. waren am 28. Juli mit Plakaten angereist, auf denen unter anderem โ€žSittentรคter, Bullenfreund und Verrรคterโ€œ zu lesen war.

9:45 Uhr: Beginn der Befragung

Unter siebenfachem Polizeischutz betritt Johannes D. den Zeugenstand. Am heutigen Mittwoch soll die Befragung zum zweiten รœberfall in Eisenach fortgefรผhrt werden. Bekannt ist vor der Aussage D.ยดs: Der Betreiber des โ€žBullโ€™s Eyeโ€œ in Eisenach, Leon R., und seine Begleiter wurden am 14. Dezember 2019 nach Mitternacht in der Nรคhe seiner Wohnung angegriffen.

Der Rechtsextremist erleidet Verletzungen. Bereits zuvor, im Oktober 2019, wurde ein รœberfall auf den Wirt allerdings innerhalb des โ€žBulls Eyeโ€œ verรผbt.

Die Angreifer kรถnnen auch dieses Mal zunรคchst entkommen. Die Polizei stoppt kurze Zeit spรคter einen VW Golf und einen Skoda Octavia. Von den sieben Insassen werden vier festgesetzt. Laut Polizeiangaben unter ihnen: Lina E., von der Johannes D. bei seiner Aussage am 28. Juli 2022 bestรคtigte, dass sie auch auf der Hinfahrt am 13. Dezember 2019 dabei war.

10:30 Uhr: โ€žIch wusste, dass etwas schiefgegangen war.โ€œ

Zunรคchst erzรคhlt D., wie er sich den Autoschlรผssel des Mitangeklagten Jonathan M. aus dessen Wohnung holte, um mit einem weiteren Beteiligten, Tobias E., von Berlin nach Eisenach zu fahren. Dabei bestรคtigt Johannes D., dass es sich bei der Aufnahme einer รœberwachungskamera in Jonathan M.s Hausflur um besagte Schlรผsselรผbergabe handelte. Das Beweismittel sei somit maรŸgeblich fรผr die Beteiligung von Jonathan M. an den รœberfรคllen, verfรผgt Schlรผter-Staats.

Nach einem Treffen mit den anderen Beteiligten auf der A9 zwischen Berlin und Leipzig ging es weiter nach Eisenach. Auf dem Weg wurde Johannes D. in dem Auto geblitzt. In Eisenach habe er, Johannes D., mit Johann G., die Umgebung ausgekundschaftet. G., der damalige Lebensgefรคhrte von Lina E., ist immer noch flรผchtig. Johannes D. erklรคrt, dass er in Eisenach nur sogenannte Scouting-Tรคtigkeiten, also Observation, betrieben hat.

Nachdem die Umgebung fรผr sicher befunden wurde, setzte Johannes D. seine Mitfahrer ab und wartete bis der โ€žBulls Eyeโ€œ-Betreiber Leon R. seine Wohnung verlieรŸ. Nach eigener Aussage habe er die anderen daraufhin kontaktiert, dass es losgehen kรถnne. Er selbst sei dann mit dem Auto wieder Richtung Autobahn gefahren, ohne etwas mit dem รœberfall direkt zu tun gehabt zu haben.

Auf der Autobahn habe er dann noch mehrmals versucht Johann G. anzurufen. Dieser sei jedoch nicht rangegangen. Johannes D. erzรคhlt im Zeugenstand: โ€žIch wusste dann, dass etwas schiefgegangen sein musste.โ€œ

11 Uhr: โ€žWir mussten uns auf eventuelle Hausdurchsuchungen vorbereiten.โ€œ

Johannes D. fuhr danach zunรคchst nach Leipzig, in die WG von zwei der insgesamt sieben am รœberfall Beteiligten. Dort erรถffnete er den Mitbewohner/-innen, dass wahrscheinlich etwas schiefgelaufen sei. โ€žWir mussten uns auf eventuelle Hausdurchsuchungen vorbereitenโ€œ, erklรคrt D. den Richter/-innen.

Er selbst sei dann weiter nach Berlin gefahren, wo er damals im Prenzlauer Berg wohnte. Nachdem ihm Johann G., der der Festnahme in Eisenach entkommen war, รผber den Messenger โ€žJabberโ€œ bestรคtigte, dass โ€žSicherheitsvorkehrungenโ€œ getรคtigt werden mรผssten, machte sich Johannes D. mit dem Zweitschlรผssel zur Wohnung von Tobias E., mit dem er am Vortag nach Eisenach gefahren war.

Dort habe er โ€želektronische Speichermedien, Kampfsport-Utensilien, einfach alle illegalen, ins Tatschema passenden Sachenโ€œ mitgenommen und erst einmal bei sich verwahrt. Vor den Hausdurchsuchungen im Juni 2020 habe er die Sachen jedoch an Tobias E. zurรผckgegeben.

12 Uhr: โ€žDer Treffpunkt in Weimar war nicht im Fokus der Ermittlungsbehรถrden.โ€œ

Im Frรผhling 2020 sei es dann zu einem Treffen in Weimar gekommen. Neben Johann G., Lina E. und Tobias E. waren weitere Personen aus Leipzig und Weimar anwesend, die am รœberfall und dessen Planung beteiligt waren. Das Haus gehรถrte den Weimarern. โ€žWir trafen uns da, weil das Haus nicht im Fokus der Ermittlungsbehรถrden stand.โ€œ

Dort sei besprochen worden, wie man nun vorgehen wolle, wenn es zu einem Verfahren kommt. Welche Rolle jeder eingenommen hatte, welche Rolle das Blitzerfoto noch spielen kรถnnte, wie man sich insgesamt mit dem โ€žverpatztenโ€œ รœberfall fรผhle und was man nun erwarte.

Dabei sei es auch um die Tatmittel, den Hammer und die โ€žKanneโ€œ Pfefferspray gegangen. AuรŸerdem sei erzรคhlt worden, dass einer der Beteiligten zum Geschรคdigten Leon R. gesagt hรคtte: โ€žNรคchstes Mal bringen wir dich um.โ€œ

Und auch Lina E. kommt nun zum ersten Mal zur Sprache: โ€žIch glaube es war Lina, die (wรคhrend des Angriffs in Eisenach, d. Red.) zu Leon R. gesagt hat: โ€šZeig mal, ob du รผberhaupt ein Messer dabei hast.โ€˜โ€œ Daraufhin soll Leon R. sein Messer gezรผckt haben.

Die Flucht vor der Polizei sei dann relativ chaotisch gewesen. In zwei Autos sollen die Beteiligten geflรผchtet sein, wurde Johannes D. bei dem Treffen in Weimar erzรคhlt. Vereinzelt wurden Leute rausgelassen, um die Beamten zu einer Entscheidung zwingen zu mรผssen, wen man nun verfolgen wolle. So sei beispielsweise Johann G. entkommen, erzรคhlt Johannes D. AuรŸerdem sollen verschiedene Gegenstรคnde aus den Autos geworfen worden sein: Handys beispielsweise.

Es habe ein weiteres โ€žNachbereitungstreffenโ€œ an einem Leipziger See gegeben. Der Rest sei digital besprochen worden. Dabei habe es sich dann nur noch um organisatorische Fragen zum anstehenden Gerichtsprozess gehandelt.

13:30 Uhr: Kundgebung in der Pause

In der Pause wird eine Kundgebung vor dem Gebรคude abgehalten: Johannes D. sei nicht nur Verrรคter, sondern vor allem auch Tรคter. โ€žWir mรผssen uns gegen das Patriarchat verbรผndenโ€œ, so eine Rednerin. โ€žWir sind solidarisch mit den Angeklagten und mit den von Johannes D. durch sexualisierte Gewalt Geschรคdigten.โ€œ

Im Dezember 2017 solle die Vergewaltigung stattgefunden haben, welche man ihm im November 2021 in einem Outing auf Indymedia vorwarf. Eine โ€žVergewaltigungโ€œ, die Johannes D. โ€žanders gesehen habeโ€œ, wie er vergangene Woche vor Gericht erklรคrt und deren Anzeige am 4. Mรคrz 2022 von der Berliner Staatsanwaltschaft eingestellt wurde.

Eine Rednerin von der Interventionistischen Linken (IL, Laila) sagt: โ€žUnsere Gesellschaft macht es cis-Mรคnnern immer wieder zu einfach sexualisierte Gewalt auszuรผben.โ€œ FLINTA* wรผrden traumatisiert und retraumatisiert. Deshalb sei das Outing von Johannes D. leider der einzige Weg gewesen, da das System ihn davonkommen lieรŸ.

14 Uhr: โ€žDa wird nichts dem Zufall รผberlassen.โ€œ

Nach der Mittagspause รผbernimmt der Oberste Richter Schlรผter-Staats wieder die Befragung des Zeugen Johannes D. Auf etwas chaotische Art und Weise dreht es sich nun um die hinter dem Angriff liegende Ebene: um die Organisation in der โ€žlinksextremenโ€œ Szene, um Recherchen und Trainings.

Er selbst habe am Angriff in Eisenach mitgewirkt, da es ihm โ€žpolitisch sinnvoll erschienโ€œ Leon R. anzugreifen und nachhaltig zu schรคdigen. Dieser war unter anderem in der rechten Kampfsport-Gruppe โ€žKnockout 51โ€œ verortet.

Die Recherchen zu potenziellen Zielpersonen seien auch maรŸgeblich durch Johann G. vorangetrieben worden. Er habe auch mehrere anonyme Facebook-Accounts gehabt, um Neonazis anzuschreiben und Informationen zu sammeln. Neben dem Geschรคdigten Leon R. seien dabei auch andere Zielnamen gefallen, wie beispielsweise Benjamin Brinsa, Stadtrat fรผr das Neue Forum Wurzen und Grรผnder des rechtsextremen โ€žImperium Fight Teamsโ€œ.

Die Recherchen zu Personen und die Aufklรคrung der Objekte und Angriffsorte seien grรผndlich gewesen, so der Kronzeuge D.: โ€žDa wurde nichts dem Zufall รผberlassen.โ€œ Auch er selbst sei ja mehrmals in der Aufklรคrer-Funktion gewesen; habe beispielsweise bei Nazi-Aufmรคrschen beobachtet, wie die Personen anreisen, an welchen Stationen sie zusteigen, um danach รœberfรคlle zu planen.

14:20 Uhr: โ€žWir sind keine Kampfsport-Experten.โ€œ

All diese Informationen soll Johann G. auf einem Laptop gespeichert haben. Als Schlรผter-Staats fragt, ob G. das auch im Rahmen von Antifa-Infoplattformen getan haben kรถnnte, entgegnet Johannes D.: โ€žDas war nicht zur Dokumentation, das war fรผr die Angriffsplanung.โ€œ

Zu dieser Planung zรคhlte laut Johannes D. auch eine Art โ€žTrainingโ€œ. โ€žWir sind keine Kampfsport-Experten, aber wir haben uns auf รœberraschungsangriffe und verschiedene Szenarien vorbereitetโ€œ, so D. Dabei habe er unter anderem mit Lina E., Johann G. und Julian R., einem weiteren an Eisenach Beteiligten, zusammen trainiert.

Bei diesen Trainings spielte Reizgas eine groรŸe Rolle. AuรŸerdem wurde fรผr Eisenach ein Plan B gefasst: Sollte etwas anders laufen, wรผrde man Leon R. nicht auf der StraรŸe, sondern spรคter in seiner Wohnung angreifen.

15:15 Uhr: โ€žLina hat an dem Tag abgesichert.โ€œ

Die Staatsanwaltschaft geht nach der Befragung durch den Senat nochmal auf die Rollenverteilung beim Angriff in Eisenach ein. Dabei erlรคutert Johannes D. auch die Aufgabe der Angeklagten Lina E.: โ€žSie hatte die Position der โ€žAbsicherungโ€œ. Das ist auch Teil des Trainings. In dieser Position hat man einen รœberblick รผber das Geschehen, man achtet darauf, dass keiner von auรŸen einwirkt und schaut, ob jemand aus der Gruppe Hilfe braucht.โ€œ Dazu hรคtte E. auch das Reizgas dabeigehabt.

Johann G. hรคtte ihm auรŸerdem im Vorfeld erklรคrt, dass die Autos โ€žprรคpariertโ€œ worden seien: mit Gegenstรคnden fรผr den Angriff โ€“ Reizgas, Westen, Schlagwerkzeuge. So hatte es Johannes D. in einer seiner ersten Vernehmungen geschildert. Spรคter zog er dann zurรผck und gab an, er wisse nicht, was โ€žprรคpariertโ€œ in diesem Kontext geheiรŸen hรคtte.

Nun erklรคrt er vor Gericht, dass die Unterstรผtzer/-innen von E. ihm unterstellen wรผrden, Leute noch tiefer mit reinzuziehen, deshalb habe er die Aussage abgeรคndert.

Als der Szeneanwalt der Gegenseite, Hohnstรคdter, Fragen an den Zeugen richtet, verweigert D. die Aussage. Auch diese Seite wolle er nicht unterstรผtzen.

Ausblick

Fรผr die Befragung von Johannes D. sind noch einige Verhandlungstermine bis zum Herbst angesetzt. Heute sagte Richter Schlรผter-Staats, dass man darauf hoffe die Befragung von D. bis Ende September abschlieรŸen zu kรถnnen.

Empfohlen auf LZ

So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:

Antonia Weber รผber einen freien Fรถrderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar