8:30 Uhr, 9:30 Uhr โ€“ die Prozessbegleitung durch Demonstranten, Gรคste und Presse begann an diesem 28. Juli 2022 mal wieder gewohnt frรผh in Dresden. Um dann auch wie gewohnt auf die Gemรคchlichkeit der Gesetzesmรผhlen des Staatsschutzsenates des OLG zu treffen. Denn die Aussage von โ€žKronzeugeโ€œ Johannes D. verzรถgerte sich erwartungsgemรครŸ. D.s Anwalt beantragte gleich zum Beginn des Verhandlungstages, die ร–ffentlichkeit wรคhrend der Aussage seines Mandanten auszuschlieรŸen. Bereits die Begrรผndung dafรผr gab es ohne Publikum.

Was am Morgen noch mit einer etwa 40 Personen umfassenden Demonstration fรผr Lina E. und gegen den als โ€žVerrรคterโ€œ gesehenen Johannes D. begann, endete so in einer langen Pause fรผr alle, die nicht direkt am Prozess beteiligt sind. Wรคhrend kaum jemand der wartenden Pressevertreter/-innen annahm, selbst dem Prozessverlauf und damit den als regelrechte Enthรผllungen angekรผndigten Aussagen Johannes D.s nicht mehr folgen zu dรผrfen, standen die Karten fรผr das eher Lina E.-solidarische Publikum schlechter.

Weniger, weil man sie nicht dabeihaben wollte, eher, weil Ausschlussgrรผnde oft in privaten Details oder anderen Schutzgrรผnden unterliegen kรถnnen, die der Zeuge Johannes D. erzรคhlen wรผrde. Hinzu kam heute die offenbar seitens der Polizeibehรถrden und der Bundesstaatsanwaltschaft angenommene besondere Gefรคhrdung des Zeugen, welcher von bis zu sechs Beamten abgeschirmt wurde.

Zur Stunde warten nun alle auf dem Innenhof des Gerichtsgebรคudes am Hammerweg auf eine Entscheidung รผber diesen grundlegenden Antrag des Anwaltes von Johannes D. Vor 12 Uhr dรผrfte der eigentliche Prozess heute wohl nicht beginnen.

Johannes D.s erste Aussage

Nachdem am Vormittag ohne ร–ffentlichkeit beraten worden war, wie es nun weitergehen soll im Verfahren rings um Lina E., fiel gegen 11:45 Uhr die Entscheidung รผber etwaige Ausschlรผsse der ร–ffentlichkeit denkbar unspektakulรคr: alle durften bleiben und der Aussage von Johannes D. lauschen.

โ€žPolitisch hat sich fรผr mich die Frage gestellt, wie es weitergehen sollโ€œ, so der heutige Szeneaussteiger und Kronzeuge der Bundesstaatsanwaltschaft. Wiederholt schilderte Johannes D., dass er sich in Polen, in Warschau mit seinem Umzug im Sommer 2021 ein neues Leben als Erzieher in einer dortigen Kindertagesstรคtte aufbauen wollte. In seinem vorigen Umfeld sei es nicht mรถglich gewesen, ein โ€žruhiges Lebenโ€œ zu fรผhren, da sei es immer wieder โ€žvon vorn losgegangenโ€œ, so D. zum Beginn seines ersten Aussagetages vor der Staatsschutzkammer Dresden.

Im Dezember 2017, weit davor, solle die Vergewaltigung stattgefunden haben, welche man ihm im November 2021 in einem Outing auf Indymedia vorwarf. Eine โ€žVergewaltigungโ€œ, die Johannes D. โ€žanders gesehen habeโ€œ. Das Outing im Netz habe aus seiner Sicht dazu gedient, andere vor ihm zu warnen. Warnung auch direkt gegen ihn habe er zudem erhalten: Er solle beispielsweise Berlin und Leipzig nicht mehr betreten, so D. heute vor Gericht.

Im Jahr 2021 lag bei der Staatsanwaltschaft Berlin eine Strafanzeige gegen Johannes D. wegen des Vergewaltigungsvorwurfes vor, welche jedoch โ€“ so Zeuge und Anwalt heute โ€“ am 4. Mรคrz 2022 eingestellt wurde. Auf Nachfrage der Verteidigung der Gruppe um Lina E. fรผhrte Johannes D. aus, dass die Einstellung der Anzeige erfolgt sei, weil die Ex-Freundin erklรคrt hรคtte, dass es sonst keine kรถrperliche Gewalt in der Beziehung gegeben hรคtte.

Zum Vergewaltigungsvorwurf hingegen wollte sich Johannes D. nicht nรคher und โ€žnochmalsโ€œ รคuรŸern, im Wortwechsel ergab sich dann die Erklรคrung, dass D. selbst wohl keine Vergewaltigung erkennen konnte, welche nachtrรคglich die damalige Freundin so wahrgenommen hรคtte.

Zu den weiteren Auswirkungen fรผhrte D. aus, er sei in Warschau Ziel eines Angriffes durch Nationalisten und Rechte geworden, nachdem das Outing mit seinem Foto bei Indymedia erschienen war. Dies sei halt von der linken Szene auch so hingenommen worden, so D., dass er sich zunehmenden gefรคhrdet sah.

Wie es zur Gefรคhrdung konkret kam, wollte das Gericht nรคher beschrieben wissen. Am 11.11.2021, dem Nationalfeiertag in Polen, sei Johannes D. aus diesem Anlass zu einer eher โ€žrechten Demoโ€œ gegangen, um diese zu beobachten. Wobei er sich da wieder entfernen musste, da er aufgrund des Outings erkannt und von Rechtsextremen angegangen wurde.

Der 2. รœberfall in Eisenach

Als ersten Komplex, welcher der Gruppe um Lina E. vorgeworfen wird, befragte nach den ersten Einlassungen Johannes D.s Richter Hans Schlรผter-Staats diesen nach dem รœberfall auf das als rechtsextremen Treffpunkt bekannte โ€žBulls Eyeโ€œ in der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 2019 in Eisenach.

Da D. noch eine Verurteilung wegen schweren Landfriedensbruchs aus dem Jahr 2015 aus Frankfurt a. Main in seinen Akten wusste, gab er an, in Eisenach beim versuchten รœberfall auf Gรคste und Inhaber des โ€žBulls Eyeโ€œ im Dezember 2019 nur fรผr die Observierung zustรคndig gewesen zu sein.

Dabei habe er Kontakt zu Johann G., dem bis heute mit Haftbefehl gesuchten, damaligen Lebensgefรคhrten von Lina E. gehabt. Dieser habe ihn angefragt, an der Aktion in Eisenach teilzunehmen, woraufhin die Aktion im Vorfeld zwei bis drei Wochen รผber den Messengerdienst โ€žJabberโ€œ besprochen worden sei. Johann G. sei am Tattag auf einem Parkplatz bei Leipzig auf dem Weg nach Eisenach in seinen Smart gestiegen, Lina E. war laut Johannes D. ebenfalls vor Ort, wรคhrend der ebenfalls angeklagte Philipp M. das Auto fรผr den damaligen Neukรถllner Kita-Erzieher in Berlin bereitgestellt hรคtte.

Den Ablauf der Aktion selbst, welche damals in einem Angriff auf einen einzelnen Neonazi mรผndete, schilderte Johannes D. heute als eher durchwachsen. Am Ende sprach er von einem Fehlschlag, auch angesichts der an diesem Tag erfolgten ersten Ingewahrsamnahmen auf dem Rรผckweg.

So habe man vor der Kneipe gewartet, um nach dem รœberfall im Oktober des gleichen Jahres hier einen Angriff auf der StraรŸe durchzufรผhren. Die ausgespรคhten Opfer des vorbereiteten รœberfalls seien gegen 2 Uhr auf die StraรŸe getreten, was genau aus Sicht D.s schieflief, blieb vorerst unklar.

Nachfragen von Schlรผter-Staats richteten sich vor allem darauf, mit wie viel Leuten D. an dem Tag genau telefoniert hatte. D. geht von mindesten zweien aus, darunter Johann G.

Auseinandersetzungen

Der Zeuge Johannes D. scheint โ€“ so zumindest der geรคuรŸerte Eindruck der Verteidigung heute โ€“ schon in den Aussagen gegenรผber den Polizeibehรถrden heftig spekuliert zu haben. Nun verlangte die Verteidigung, dass der Richter Schlรผter-Staats dafรผr sorgen solle, dass sich das in der Verhandlung vor seiner Staatsschutz-Kammer nicht fortsetzt. Dieser antwortete, er wรผrde schon einschreiten, wenn es zu viel wรผrde.

Details zu den Attacken in Eisenach

Nach den Grundaussagen Johannes D.s geht es fรผr Hans Schlรผter-Staats nach einer lรคngeren Pause um die Details. Wann der Zeuge erfahren habe, dass es konkret um den Personenkreis um Herrn Leon R., Inhaber des โ€žBulls Eyeโ€œ, ging, welcher am 13. Dezember 2019 attackiert werden sollte. Und Schlรผter-Staats will noch einmal wissen, ob Johann G. ihn angesprochen habe, an der Aktion am 13. Dezember 2019 teilzunehmen. Was Johannes D. bejahte, dies sei, wie beschrieben, รผber Jabber erfolgt.

Zudem habe es zwischen den beiden รœberfรคllen in Eisenach ein Treffen in einem Berliner Park gegeben, bei welchem die ganze Aktion nach dem ersten รœberfall im Oktober 2019 besprochen worden sei. Dabei sei D. bekannt geworden, dass es einen weiteren รœberfallsversuch gegeben haben soll. Dabei sollen bereits Autos prรคpariert gewesen und in SeitenstraรŸen in der Nรคhe des โ€žBulls Eyeโ€œ geparkt worden sein.

Mit prรคpariert sei gemeint, dass darin Gegenstรคnde gelagert waren, die zum Angriff dienen sollten. Ob er damals eine Vorstellung gehabt habe, welche das gewesen sind, mรถchte Schlรผter-Staats wissen, was Rain Belter umgehend als unzulรคssige Frage beanstandete. Der Grund: es kรถnne sich hierbei durch die Nichtbeteiligung des Zeugen Johannes D. nur um Hรถrensagen handeln.

Eine Beanstandung, die Schlรผter-Staats zurรผckweist, da der Zeuge durch Erfahrungswerte und Vorstellungen von solchen Tatvorbereitungen haben kรถnne. In der anschlieรŸenden Pause stellte die Verteidigerin ihren Antrag mit Begrรผndung schriftlich, um eine gemeinsame Entscheidung des fรผnfkรถpfigen Richter-Senats zu dieser Frage zu erhalten.

Nach der Entscheidung, den Zeugen D. weiter in dieser Richtung zu befragen, sagte Johannes D. zu den Gegenstรคnden aus, welche ihm zur Kenntnis gekommen sind. Johann G. habe โ€žin Chatprotokollenโ€œ nachlesbar als Gegenstand zum รœberfall auch den โ€žHammer genanntโ€œ, so D. zu seinen Kenntnissen. Weiterhin seien in Nachbesprechungen zum ersten รœberfall auf das โ€žBulls Eyeโ€œ am 19. Oktober 2019 auch Quarzhandschuhe genannt worden.

Dabei habe Johann G., der damalige Lebensgefรคhrte von Lina E., laut Johannes D. โ€žBlut verloren, in nicht geringer Mengeโ€œ, was die Vermutung in den Raum stellte, dass hier von G. polizeiliche Spuren im โ€žBulls Eyeโ€œ gefunden wurden. Zudem habe G. Befรผrchtungen gehabt, da er erst eine Haftstrafe abgesessen habe.

Mit diesen Ausfรผhrungen brachte Johannes D. den bis heute flรผchtigen Johann G. neben dem 13./14. Dezember 2019 auch mit dem ersten รœberfall auf das โ€žBulls Eyeโ€œ am 16.10.2019 als Tatbeteiligten direkt in Verbindung. Doch auch diese sei offenbar kein solcher Erfolg gewesen, wie ihn sich manche gewรผnscht hรคtten.

Eine โ€žerfolgreiche Interventionโ€œ sei, so Johannes D. weiter, zum Beispiel die โ€žHand brechen, wenn Neonazis Kampfsportler sindโ€œ und diesen so langjรคhrig die Sportausรผbung zu verleiden. Es sei darum gegangen, den โ€žWillen zu brechenโ€œ so habe es Johann G. quasi definiert.

Die Wirkungsmacht in klandestiner Gewaltausรผbung

Nach einer weiteren Pause hatten weitere Richter Fragen. Zum Beispiel jene, was Johannes D. dazu โ€žbewogen hat, die Anfrage รผber Jabberโ€œ zu dem Vorhaben in Eisenach, Menschen zu รผberfallen, anzunehmen. Daraufhin gab Johannes D. zu, dass ihm nach einigen Demonstrationsteilnahmen diese โ€žklandestine Form wirkungsmรคchtigโ€œ erschienen sei. Deshalb habe er wie auch hier zu verschiedenen Anlรคssen eine โ€žScoutfunktionโ€œ, also Spรคhaufgaben, รผbernommen.

Demnach war es also nicht die erste Aktion, bei welcher der Zeuge sich beteiligt habe, so die Interpretation von der Richterbank. Manche Aktionen habe er auch aus persรถnlichen Grรผnden, wie keine Zeit oder keinen Sinn, abgelehnt.

Interessant auch noch die Frage, ob man noch heute die Kommunikation รผber โ€žJabberโ€œ nachlesen kรถnne, was nicht mรถglich sei, so Johannes D. Die genaue Startzeit am 13.12.2019 nach einer Weihnachtsfeier in seiner Berliner Arbeitsstรคtte, einer Kita in Neukรถlln, erinnerte Johannes D. nur noch ungenau: โ€žes kรถnnte 20 Uhr, 20:30 Uhr vielleicht 21 Uhr gewesen seinโ€œ.

Zuerst sei er dann zur Autoรผbernahme gegangen, die Entscheidung den Smart vom im Lina E.-Prozess Angeklagten Philipp M. zu nutzen, sei bereits im Vorfeld gefallen. Das Auto hatte er auch am โ€žTag danachโ€œ, also am 14.12.2019 noch โ€žin Benutzungโ€œ.

Philipp M. habe er erst nichts รผber die Nutzung des Autos erzรคhlt, erst spรคter, als ein Blitzerfoto von dieser Zeit der Nutzung kam, habe er dem heute Angeklagten von der konkreten Nutzung berichtet. Zum Zustieg von Johann G. bei der Anfahrt auf Eisenach auf einem Parkplatz bei Leipzig erklรคrte D., dass er den Inhalt einer Tasche, die G. in den rรผckwรคrtigen Bereich des Smart stellte, nicht genau gekannt habe.

Ein vorbereitetes โ€žSafe-Handyโ€œ sei ihm hier รผbergeben worden.

Was heute begann, wird sich รผber die kommenden Verhandlungstage bis in den Herbst 2022 fortsetzen: Aussagen des โ€žKronzeugenโ€œ der Anklage Johannes D.

Empfohlen auf LZ

So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:

Michael Freitag รผber einen freien Fรถrderbetrag senden.
oder

Es gibt 3 Kommentare

> Auf alle Fรคlle ist dieser โ€œZeugeโ€ genauso absurd, wie dieser ganze Prozess an den โ€œHaaren herbei gezogenโ€.
Finde inzwischen sicher nicht nur ich.
โ€“
Ich finde es schon interessant, dass nun auch mal auf dieser Seite der Gesellschaft etwas heller hingeleuchtet wird. ๐Ÿ™‚
Was da juristisch รผbrig bleibt ist eh fraglich bei solchen โ€œAussteigeraussagenโ€.

PS:
Und eigentlich geht es ja bei dem โ€œHammerโ€ bei den Autonomen um den โ€œNothammer aus dem Busโ€, den man* erstmal braucht um eine Bank auszurauben ^^
So 1993:
โ€œMit dir und anderen Banken ausrauben, dazu hรคttโ€™ ich so Lust
Doch vielleicht ist es besser wir klauen erstmal nur den Nothammer aus dem Bus
Nur mutig gestritten, the futureโ€™s unwritten
Nur mutig gekรคmpft und nicht so herzlos und gedรคmpftโ€
Ist jetzt blรถd, wenn der VS beim Abhรถren im Auto solche Textzeilen hรถrt ๐Ÿ˜‰
Quetschepaua โ€“ Monstren, Ufos, Autonome
https://www.youtube.com/watch?v=YPfvK973CKQ&t=2454s

Ehe das jetzt vollends zur Farce gerรคt, wรผrde ich ja diesem โ€œZeugenโ€, eine aus meiner Sicht notwendige, psychologische Hilfe zukommen lassen.
Und diese unwรผrdige Untersuchungshaft von Lina aufheben.

Selbst wenn der sich mit irgendjemanden unterhalten hat, um gewalttรคtige Rechtsextreme zu verprรผgeln.
Wenn ER auf die absurde Idee kommt, โ€œKampfbox-Sportlernโ€ die Hรคnde mit โ€œHรคmmernโ€ zu zertrรผmmern, um sie โ€œfรผr Jahre auรŸer Gefechtโ€ zu setzen?
Irgendwie ist das die Phantasie von jemandem, der meint, wenn so 10 Leute den festhalten, geht das schon.
Dass ICH persรถnlich keine Faust mehr ins Gesicht bekomme.
Absurd.

Inwieweit seine anderen eigenen Phantasien zur Aussage gegen andere dienen, ich denke, wohl รผberhaupt nicht.

Und wenn seit 2020 der Vergewaltigungsvorwurf zur Akteneinsicht im Lina Prozess auch den rechten Verteidigern bekannt war,
erstaunlich viel Zeit, um einen kranken, zerstรถrenden Menschen unter Druck zu setzen, hat sich da jemand genommen.

Meine ich. Zumal er in Warschau von Rechtsextremen gejagt wurde.
Im Indymedia-Schreiben: โ€œDu hast dich mit den falschen angelegt.โ€
Vielleicht wollte er ja beweisen, dass er ein โ€œGuterโ€ ist und den Durchblick hat, als selbst ernannter โ€œFรผhrungspersรถnlichkeitโ€.

Wie gesagt, dieser Mensch mag viel schlechtes erlebt haben, aber wenn es paranoid wird, sollte die Betrachtung doch psychologisch/psychiatrisch und nicht juristisch sein.

Auf alle Fรคlle ist dieser โ€œZeugeโ€ genauso absurd, wie dieser ganze Prozess an den โ€œHaaren herbei gezogenโ€.
Finde inzwischen sicher nicht nur ich.

Schreiben Sie einen Kommentar