Nach zwei Verhandlungstagen fiel bereits der Vorhang: Das Landgericht Leipzig verurteilte den 34-jährigen Florian O. am Dienstagnachmittag zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis – der junge Mann hatte gestanden, im vergangenen Jahr mehrfach selbst gebaute Sprengsätze im Zentrum-West deponiert zu haben, die explodierten und zwei Unbeteiligte verletzten. Doch eines bleibt rätselhaft: Was war sein Motiv?
Florian O. ist schuldig des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion, der gefährlichen Körperverletzung und Sachbeschädigung sowie weiterer einschlägiger Versuche – zu diesem Schluss kam die 17. Strafkammer am Leipziger Landgericht und verurteilte den Informatiker am Dienstag zu insgesamt fünfeinhalb Jahren Freiheitsentzug.
Serie an Explosionen mit zwei Opfern
Zum Prozessbeginn am Montag hatte der Angeklagte über seine Verteidigerin die Tatvorwürfe weitestgehend gestanden. Demnach deponierte er von Juni bis September 2021 insgesamt viermal Sprengfallen an verschiedenen Orten im Zentrum-West, die er in seiner Wohnung in der Alexanderstraße selbst zusammengebaut hatte. Ein fünfter Anklagepunkt, der nicht mehr erheblich ins Gewicht für die Strafe fiel, wurde eingestellt.
Blieb es am 6. Juni zunächst bei 840 Euro Sachschaden an einem Kleidercontainer in der Käthe-Kollwitz-Straße, verletzten sich zwei Passanten am 16. und 29. August erheblich, als sie in der Schreberstraße bzw. Marschnerstraße völlig arglos mit präparierten Objekten in Kontakt kamen. Das erste Opfer, ein 41-Jähriger, war danach zwei Wochen arbeitsunfähig, der Mann hatte Verbrennungen erlitten und wurde womöglich nur durch seine Brille vor einer schlimmeren Augenverletzung bewahrt.
Im September war es wohl allein dem Zufall zu verdanken, dass die an einem Zaun nahe einer Grundschule deponierte Blechdose in der Lessingstraße mutmaßlich von selbst hochging, ohne dass Menschen, gar Kinder, zu Schaden kamen.
Am Ende flog Florian O.s Serie an Straftaten auf, weil er sich bei der unbeabsichtigten Detonation einer Flasche in seiner Wohnung am 11. Oktober selbst verletzte. Zwei Tage später landete er in Untersuchungshaft.
Rätselraten um das Tatmotiv
Was den 34-jährigen Mann, der noch nie vor Gericht stand, zu einem derart perfiden Handeln trieb, konnte auch die zweitägige Hauptverhandlung nicht abschließend beantworten. In der Erklärung, die seine Anwältin Henrike Wittner am Montag für ihn abgab, äußerte der Informatiker zumindest sein Bedauern und entschuldigte sich, hüllte sich jedoch sonst in Schweigen und wollte auch keine Fragen beantworten.
Der psychiatrische Gutachter, der sowohl mit dem Angeklagten selbst als auch dessen Angehörigen sprechen konnte, zeichnete das Bild eines verschrobenen Eigenbrötlers und Einzelgängers mit autistischen Zügen, der schon in der Kindheit die Faszination und Leidenschaft für das Basteln an elektronischen Geräten entdeckt hatte. Auch eine Kriminalbeamtin, die die Wohnung des allein lebenden Florian O. nach dessen Enttarnung durchsucht hatte, konnte bestätigen, dass diese in ihrem Zustand eher einem völlig zugemüllten Labor glich, allein der Balkon sei einigermaßen wohnlich gewesen.
Gutachter hält Angeklagten für schuldfähig
Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung bzw. eingeschränkte Schuldfähigkeit erkannte der Gutachter bei Florian O. dennoch nicht. Er habe seinen Alltag im Griff gehabt, sei als Informatiker zunächst beim inzwischen insolventen Unternehmen Unister und bis 2021 bei einem Online-Portal für Reisen beschäftigt gewesen. Trotz des gelegentlichen Konsums von Metamphetaminen entglitt Florian O. letztlich nie die Kontrolle über sein Leben, so der Befund des Sachverständigen.
Auf die Frage nach der Tatmotivation schloss er tendenziell eher aus, dass es Florian O. darum gegangen sei, Angst und Schrecken zu verbreiten. Womöglich habe er eine Bestätigung vor sich selbst und Gleichgesinnten gesucht, ohne die unkalkulierbare Dimension seines Handelns für andere überhaupt einzubeziehen. Letztlich bliebe dies aber Spekulation – Florian O. äußerte sich auch ihm gegenüber nicht zu seinem Motiv.
Angeklagter sagt 6.000 Euro an Explosionsopfer zu
„Das Motiv ist ungeklärt geblieben, wir wissen es einfach nicht“, konstatierte dann auch der Vorsitzende Richter Robby Bauer etwas ernüchtert in seiner Urteilsbegründung. Zugunsten von Florian O. wertete die Kammer vor allem dessen weitreichendes Geständnis. Dass er den Sprengsatz an der Grundschule aber eigentlich woanders abgelegt haben will, sei nicht glaubhaft, da ein gefahrloser Transport ohne Detonation faktisch nicht möglich gewesen sei.
Zusätzlich fielen die fehlenden Vorstrafen und die Entschuldigung, die der Angeklagte über seine Verteidigung gegenüber dem ersten Geschädigten zum Ausdruck brachte, positiv ins Gewicht. Hier wurde bereits ein Vergleich erzielt, wonach Florian O. dem 41-jährigen Mann, der im Prozess Nebenkläger war, 6.000 Euro Entschädigung zahlen soll.
Das zweite Opfer aus der Marschnerstraße erschien übrigens nicht vor Gericht – der Betroffene ist für die Behörden aktuell nicht auffindbar.
Staatsanwaltschaft wollte Sicherungsverwahrung
Auch wenn das Gericht das massive Gefahrenpotenzial der Taten hervorhob, blieb es deutlich unterhalb der Forderung der Anklage. Staatsanwalt Ralph Hornig, der Florian O. einen Wandel zum Positiven nicht abnahm, hatte neben sieben Jahren Haft auch eine Sicherungsverwahrung verlangt. Nebenklage-Anwalt Erkan Zünbül schloss sich dem geforderten Strafmaß von sieben Jahren an.
Die Kammer lehnte eine Sicherungsverwahrung ab, vor allem, weil sie keinen Hang zu Straftaten nachgewiesen sah.
Verteidigerin Henrike Wittner hielt dagegen fünf Jahre für ausreichend und hob die Bereitschaft ihres Mandanten zur Kooperation hervor, die nicht zuletzt einen monatelangen Prozess verhindert habe. Außerdem wolle ihr Mandant sein Handeln im Rahmen einer Sozialtherapie aufarbeiten, betonte sie.
Florian O. selbst hatte die gesamten zwei Verhandlungstage schweigend und mit betretenem Blick verfolgt. „Ich verbleibe bei den Worten meiner Anwältin“, sagte er am Ende kleinlaut, verzichtete auf ein weiteres Schlusswort.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Hinweis: In einer ersten Version des Artikels hieß es, die Nebenklage habe ebenfalls Sicherungsverwahrung gefordert – tatsächlich hat sie sich aber nur dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf das Strafmaß von sieben Jahren Haft angeschlossen. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, diesen zu entschuldigen.
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