Oft vergehen tatsächlich Jahre, bis das rechtsextreme Treiben auch den Strafverfolgungsbehörden zu braun wird. Nachdem die Leipziger Zeitung bereits im November 2016 erstmals über einen damals noch unter einer privaten Wohnadresse in der Leipziger Reichsstraße beheimateten Verlag namens „Der Schelm“ berichtet hatte, geschah erst einmal lange Zeit gar nichts. Der offene Verkauf rechtsextremer und antisemitischer Schriften schien die Strafverfolgungsbehörden nicht zu interessieren. Nun deckt der Generalbundesanwalt offenbar weitere Strukturen auf.
In Leipzig war man in Sachen „Der Schelm“ nicht wirklich weitergekommen, während der Handel mit den Büchern aus dem Giftschrank blühte. Höhepunkt eines jahrelangen Tauziehens war eine Razzia am 18. Dezember 2020 in den Privaträumen des Leipziger Rechtsextremen und Ex-NPD-Stadtrates Enrico B. und einer Lagerhalle. Dabei hatten die Strafverfolger von der Staatsanwaltschaft diverse Bücher beschlagnahmt und zur Sichtung einbehalten.
Selbst diese Razzia kam erst zustande, als ein Bericht des öffentlich-rechtlichen Jugendformates „STRG F“ und ein entsprechender Bericht der LZ die Rolle Enrico B.s in Preißingers Versandhandel unübersehbar machten.
Das Problem der Ermittler in all den Jahren neben diesem Mangel an Ermittlungsarbeit auch: Augenwischerei und ein eher dubioses Versteckspiel des eigentlichen Shopbetreibers Adrian Preißinger, welcher sich ab einem noch ungewissen Zeitpunkt offenkundig teils wechselnder Handlanger in Deutschland und dabei vor allem in Sachsen wie Enrico B. bediente und selbst bis heute einen Wohnsitz im Norden Thailands angibt. Mittlerweile fehlt auf der Webseite, über welche auch heute weiterhin (Stand 1. Juni 2022, 18 Uhr) rechtsextreme Literatur angeboten wird, zwar der Name Preißingers.
Doch bis zum Beweis des Gegenteils darf man auch weiterhin davon ausgehen, dass der von den Strafverfolgungsbehörden Gesuchte am Umsatz des Shops partizipiert, ohne greifbar zu sein.
Vor allem nach der ersten Razzia Ende 2020 war deutlich geworden, dass „Der Schelm“ unbeeindruckt von Ermittlungen und Strafandrohungen sein Geschäft fortsetzte. Indem auf der Webseite zu diesem Zeitpunkt lediglich längere Wartezeiten und einige Lieferengpässe bekanntgegeben wurden, war klar, dass die Vertriebsstrukturen auch weiterhin funktionieren würden.
Die zweite Razzia am 1. Juni 2022
Während man seit Anfang 2021 auf weitere Ergebnisse der ersten Razzia wartete, hatte die Bundesanwaltschaft seit 14. Mai 2021 „von der Staatsanwaltschaft Leipzig wegen der besonderen Bedeutung des Falles übernommen“. Mittlerweile behandelt man hier den Fall unter dem Tatverdacht der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ und ist heute zu einer weiteren Durchsuchung bei insgesamt vier Verdächtigen in Sachsen und Brandenburg vorangeschritten. Ein weiterer Hinweis darauf, dass die erste Razzia in Leipzig wenig Effekt gehabt hatte.
Der Tatvorwurf der Ermittler zur „kriminellen Vereinigung“, welche nach ihrer Ansicht seit spätestens August 2018 besteht: „Der Zweck dieser Vereinigung war es, unter dem Dach des Verlags ,Der Schelm` eine nationalsozialistische und antisemitische Ideologie insbesondere durch den Verkauf entsprechender Bücher zu verbreiten und damit fortgesetzt Volksverhetzungsdelikte (§ 130 StGB) zu begehen. Über den Verlag vertrieben die Beschuldigten rechtsextremistische Schriften, vor allem Nachdrucke indizierter Werke. Sie nutzten dafür auch Lagerräume, in denen sie mehrere tausend im Ausland gedruckter Bücher mit strafrechtlich relevanten Inhalten vorrätig hielten.“
Im Zuge der heutigen Durchsuchungen wurde einer der vier Verdächtigen im sächsischen Röderaue festgenommen. Die Gründe laut Bundesanwaltschaft: „Matthias B. kam in der Vereinigung eine herausgehobene Funktion zu. Unter anderem bearbeitete er über das Internet eingegangene Bestellungen und wies andere Gruppenmitglieder zum Versand der Bücher an.“
Offenkundig Teile jener Tätigkeit, welche 2020 auch zur Durchsuchung bei Enrico B. geführt hatte, welchen die Journalisten von STRG F beim Versand zuvor bestellter „Schelm“-Bücher über eine Leipziger Poststelle ertappt hatten.
Die heutigen Durchsuchungen erfolgten unter der Führung der mit den Ermittlungen beauftragten Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex) des Landeskriminalamtes Sachsen.
Der Beschuldigte Matthias B. „wird im Laufe des morgigen Tages (2. Juni 2022) dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt, der ihm den Haftbefehl eröffnen und über den Vollzug der Untersuchungshaft entscheiden wird“, heißt es abschließend in der Pressemitteilung des Bundesanwaltes.
Ob diese zweite Razzia auch erneut Enrico B. betraf, er also weiterhin in den schelmischen Buchversand verwickelt ist, war heute noch nicht zu erfahren.
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